Der Wettkampfkalender 2020 im Kunstturnen wird gerade auf den Kopf gestellt. Für die Siegerländer KV stellen sich dadurch viele Fragen.

Dreis-Tiefenbach. In diesem Jahr so gut wie keine Wettkämpfe und Meisterschaften mehr, Absage der gesamten Liga-Saison 2020, dafür im nächsten Jahr die geballte Ladung – für die Siegerländer Kunstturn-Vereinigung und ihre Bundesliga-Turner, von denen viele zur nationalen und internationalen Spitze gehören, wäre diese einseitige Verlagerung ein Horror-Szenario. Wir beleuchten die aktuelle Situation.

Die Corona-Folgen

Das Leistungszentrum für männliches Kunstturnen in Dreis-Tiefenbach wurde bereits am 13. März und vorerst bis zum Ende der Osterferien geschlossen. Damit ist kein Training möglich. Für den hauptamtlichen Trainer Rainer Weishaar wurde rückwirkend zum 16. März Kurzarbeit beantragt. Die Eltern der rund 40 Nachwuchsturner wurden mit Wirkung 1. April von der Zahlung der Elternbeiträge befreit.

Die Saison 2020

Bis jetzt wurden für die Nachwuchsturner der Turntalent-Schulpokal am 18. April, die ersten beiden Wettkämpfe der Nachwuchs-Bundesliga, für die die SKV erstmals gemeldet hatte, sowie der WTB-Landescup abgesagt.

Stay-at-home-Challenge als Überbrückung

Kein Training im gewohnten Umfeld und an den Geräten – diese Not hat SKV-Turner Sebastian Bock auf eine Idee gebracht. Er entwarf ein Trainingsprogramm für zu Hause, die „Stay-at-home-Challenge“.

Anhand von Skizzen und Erklärvideos, die er in den eigenen vier Wänden gedreht hat, können die vielen SKV-Nachwuchsturner nun vor allem ihre athletischen Fähigkeiten (Kraft, Beweglichkeit, Ausdauer) stärken – aber nicht nur die: Wer mitmachen möchte, kann das Programm auf der SKV-Seite herunterladen: www.skv-stay-at-home-challenge.de.

Da bei den Erwachsenen die für Anfang Juni in Oberhausen als Olympia-Qualifikation geplante DM ausfällt, haben sich die vorgeschalteten Landesmeisterschaften erledigt. Ob sie nachgeholt werden? Offen. Fraglich sind die Deutschen Jugendmeisterschaften, die am ersten Juli-Wochenende stattfinden sollten.

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Das Problem ist, dass man kurzfristig Ausrichter braucht und die Turner eine zwei- bis dreimonatige Vorbereitung benötigen. Das geht nicht aus der kalten Hose“, gibt SKV-Präsident Reimund Spies zu bedenken. Vor diesem Hintergrund sei es von entscheidender Bedeutung, wann die Trainingszentren den Sportlern wieder zur Verfügung stehen.

Abgesagt sind für die Top-Turner neben den Olympischen Spielen auch die Europameisterschaft Ende Mai in Baku und diverse Weltcups.

Die Liga-Saison 2020

Acht Wettkämpfe im Zeitraum zwischen dem 3. Oktober und 5. Dezember umfasst die Saison 2020. Noch ist sie fest im Terminkalender verankert. Sollten jedoch abgesagte Meisterschaften und Weltcups in den Spätsommer oder den frühen Herbst verlegt werden, könnte dies Einfluss auf die Liga haben, ist ein Verzicht der Besten oder eine Verbandssperre zu befürchten. Von diesem Szenario gehen die SKV-Verantwortlichen aber (noch) nicht aus. Sie planen die drei Heimwettkämpfe am 10. und 24. Oktober sowie am 14. November.

SKV-Ass Philipp Herder hat angekündigt, auch 2021 noch Leistungsturnen betreiben zu wollen.
SKV-Ass Philipp Herder hat angekündigt, auch 2021 noch Leistungsturnen betreiben zu wollen. © Reinhold Becher

Reimund Spies meint sogar: „Als Übergang ins neue Jahr wären die Liga-Einsätze für viele Turner perfekt.“ Bei einer Absage würde sich der finanzielle Kollateralschaden für die SKV in Grenzen halten, weil die Abhängigkeit von Zuschauereinnahmen eher gering ist, die Turner nur bei einem Einsatz einen Aufwandersatz bekommen und die Kosten für die Miete des Geräteparks und die technische Ausrüstung wegfallen. „Dennoch ist klar, dass wir die Liga-Wettkämpfe gerne durchführen möchten“, so Reimund Spies.

Das nächste Jahr

Europameisterschaft Ende April in Basel, Deutsche Meisterschaft Mitte Mai im Rahmen des Internationalen Deutschen Turnfestes in Leipzig, Weltcups, diverse Qualifikationen, Olympische Spiele Ende Juli in Tokio, Weltmeisterschaft Mitte Oktober in Kopenhagen, anschließend DTL – für die Spitzenturner könnte 2021 ein Jahr mit einer grenzwertigen Belastung werden. Darauf stellt sich auch SKV-Aushängeschild Philipp Herder ein. Obwohl dann fast 29 Jahre alt, will der Berliner nochmal die Motivation aufbringen, sich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren. Auf dem Sprung in die nationale Elite steht mit dem noch 18-Jährigen Dario Sissakis ein vielversprechendes SKV-Talent.

Der Code de Pointage

Damit werden die internationalen Wertungsvorschriften im Kunstturnen bezeichnet. Der „Code de Pointage“ wird vom internationalen Turnverband FIG für das weibliche und das männliche Gerätturnen getrennt herausgebracht.

Alle Turner richten ihre Kürprogramme nach den in regelmäßigen Abständen veränderten Vorgaben des FIG aus, benötigen für die Umsetzung am Gerät aber eine Vorbereitungszeit von mindestens einem Jahr, müssen ihre Übungen „abspecken“ oder ziehen sich im schlimmsten Fall vom Leistungsturnen zurück. Das war 2017 für SKV-Routinier Jonas Rohleder ein wesentliches Argument, sich zumindest vorübergehend aus der Ligamannschaft zu verabschieden. Dass der Zyklus aus aktuellem Anlass von 2021 auf 2022 verschoben wurde, dürfte für die Top-Turner kein Problem sein.

Die sportpolitische Wirkung

Das 1980 eingeweihte Kunstturnzentrum in Dreis-Tiefenbach ist seit vielen Jahren ein vom LandesSportBund NRW anerkannter Landesleistungs-Stützpunkt für männliches Gerätturnen. Träger sind der Kreis Siegen-Wittgenstein und die Stadt Netphen. Eine vergleichbare Einrichtung gibt es in NRW nur noch in Bochum. Um den Turnsport zu fördern, werden im LSB Überlegungen angestellt, ab 2021 in beiden Zentren jeweils eine halbe Trainerstelle zu finanzieren. „Dies wäre bei uns angesichts des großen Zulaufs an jungen Turnern notwendig“, erklärt Reimund Spies.

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Das Problem: Die Verschiebung der Olympischen Spiele ins Jahr 2021 würde den Olympia-Zyklus ändern, nach dem in Deutschland das Fördersystem ausgerichtet ist. Der neue nacholympische Zyklus würde erst 2022 beginnen, sich damit die zusätzliche halbe Trainerstelle in dieses Jahr verschieben und nur bis 2024 gelten. „Das würde uns hart treffen und einiges in Frage stellen“, mutmaßt Reimund Spies.