Menden. Tobias Schulte erreicht in Hannover eine magische Marke – und das, obwohl er seit 2016 an Diabetes Typ I leidet. So geht er mit der Krankheit um.
„Weiter, immer weiter!“, ist nicht nur ein berühmtes Zitat des früheren Bayern-Torhüters und heutigen Vorstandsbosses Oliver Kahn. Es ist auch eines der großen Mottos im Leben von Tobias Schulte. Der 42-jährige Läufer und Triathlet desMarathon-Club Menden hat kürzlich einen großen Meilenstein erreicht. Am 26. März finishte er beim Marathon in Hannover seinen 100. Wettbewerb dieser Art. Das alleine schon ist eine schier unglaubliche Zahl.
Doch das wird noch gesteigert, wenn man weiß, dass Tobias Schulte seit knapp sieben Jahren an Diabetes Typ I leidet. Trotz der Diagnose, die er 2016 erhalten hatte, hat er noch 17 Marathons erfolgreich absolviert. Im Gespräch mit der Westfalenpost erklärt er, was ihm diese Zahl bedeutet und wie er mit seiner Krankheit umgeht.
Erster Marathon mit 17 Jahren
„Es war schon etwas Besonderes. Dass es aber so besonders ist, habe ich erst ein paar Tage vor dem Lauf gemerkt. Es war nicht nur der 100. Marathon, sondern gleichzeitig auch mein Letzter. Mir ist unterwegs bewusst geworden, dass ich 25 Jahre lang im Schnitt viermal die 42,195 Kilometer absolviert habe und dabei auch verletzungsfrei geblieben bin. Da habe ich rückblickend wirklich großes Glück gehabt und dafür bin ich sehr dankbar“, erklärt Schulte.
Den Marathon in Hannover ist er mit seinem Bruder gelaufen. „Er war wie jedes andere Rennen davor auch. Ich habe mich immer gefragt, ob alles gut geht, wann wird es mich erwischen und wie bin ich drauf. Das war sowohl beim ersten Marathon als auch beim letzten Marathon so, da schützt auch die Zahl 100 einen nicht vor“, glaubt Schulte, der sich an seinen ersten Marathon noch sehr gut erinnern. Dieser fand 1998 statt, auch in Hannover. „Mein Vater hat mich damals hingefahren, denn ich war erst 17 und hatte noch gar keinen Führerschein. Eigentlich durfte man auch erst mit 18 einen Marathon laufen, aber ich habe dann mein Geburtsdatum gefälscht, weil ich unbedingt einen Marathon laufen wollte. Ich bin damals nach 3:45 Stunden angekommen. Und da war ich mir schon sicher, dass das ein Hobby bleiben wird.“
Mit Rucksack bei jedem Rennen
Weitere 82 Marathons in vielen verschiedenen Ländern sollten in den kommenden Jahren zwischen 1998 und 2016 folgen. Dann folgte im Leben von Tobias Schulte ein einschneidendes Erlebnis. Bei ihm wurde Diabetes Typ I diagnostiziert. „Ich hatte schon vor der Diagnose das klare Ziel die 100 Marathons vollzumachen. Als ich dann von der Krankheit erfahren habe, war ich zunächst überrascht und auch traurig und habe mich gefragt, ob ich dieses Hobby jetzt abschreiben muss. Ich wusste zunächst nicht, was das für mich bedeutet. Erst einmal wurde ich eine Woche im Krankenhaus darauf eingestellt.“ Als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, wollte er wissen, wie es um seine Form bestellt war. „Ich weiß noch, dass es ein Freitag war und ich eine Runde auf dem Ergometer gedreht habe. Das wichtigste war, dass ich gute Ärzte hatte, die mir sagten, dass ich weitermachen kann. Es gäbe keinen Grund, dass ich auf mein Hobby Marathon verzichten müsse“, erläutert Schulte die Konversation mit seinen Ärzten.
Diese sagten ihm aber auch, dass sich einige Dinge dennoch verändern mussten. „Mit dem Bewusstsein, dass Experten zu mir sagten, dass ich voll leistungsfähig bin, ließ es sich schon einmal gut leben. Geändert hat sich, dass ich seitdem in jedem Rennen einen Rucksack dabei hatte. Damit war ich auf alle Situationen vorbereitet. Darin war ein Blutzuckermessgerät, Traubenzucker und Cola. Denn durch Diabetes Typ I kann es passieren, dass man durch die Belastung unterzuckert. Und in diesem Moment wollte ich nicht abhängig sein von irgendwelchen Organisatoren und der üblichen Verpflegung, die bei den Rennen bereitgestellt wird. Das ist zwar etwas nervig, das mitzuschleppen, aber das habe ich gerne in Kauf genommen.“ Durch die Krankheit hat sich auch Schultes Ernährung geändert. „Früher konnte ich vorm Wettkampf essen, was ich wollte. Heute muss ich entsprechend den Kohlenhydraten, die ich zu mir nehme, mir Insulin spritzen. Spritze ich aber zu viel, besteht die Gefahr einer Unterzuckerung.“
Ein Appell an junge Sportler
Durch die technologische Entwicklung gab es für Schulte auch noch einmal eine extreme Hilfestellung, sodass er seine letzten 15 Marathons ohne Unterbrechungen und ohne Kontrollen seines Blutzuckerspiegels durchlaufen konnte. So konnte er letztlich sein Ziel von 100 Marathons vor wenigen Wochen erreichen.
Daher appelliert Schulte vor allem auch an junge Sportler mit der gleichen Diagnose. „Man darf sich davon nicht unterkriegen lassen. Mit ein paar Hilfestellungen ist man immer noch voll leistungsfähig. Es ist wie im Sport generell sehr viel Kopfsache. Gewinnen oder verlieren, hängt meiner Meinung nach gar nicht so viel davon ab, ob ich technisch oder konditionell so viel besser bin, als mein Gegner. Es hängt viel davon ab, wie ich eingestellt bin und ob ich an mich glaube. Natürlich ist die Diagnose bitter, aber man sollte an seinen Zielen festhalten.“