Menden. . Die Diagnose warf den Sportler zunächst aus der Bahn. Aber eine technische Neuerung in seinem Arm gab ihm neuen Mut. So funktioniert die Technik.

Über 80 Marathon-Läufe absolvierte Tobias Schulte, dann die Schockdiagnose für ihn: Diabetes Typ 1. Der gebürtige Mendener, der auch für den Marathon-Club läuft, glaubte, sein Hobby nie wieder ausüben zu können. Doch er gab nicht auf und steuert mittlerweile auf seinen 100. Marathon zu. Auch Dank einer technischen Innovation.

Westfalenpost: Herr Schulte, Sie bereiteten sich auf eine Ironman-Teilnahme vor, als Sie die Diagnose bekamen. Wie schockiert waren Sie mit Blick auf den Triathlon?

Tobias Schulte: Ich war mitten in meiner einjährigen Vorbereitung für den Triathlon im Juli 2016. im Dezember habe ich dann gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Eigentlich sollte ich mich körperlich verbessern, aber fühlte mich immer schwächer. Im Januar ging ich ins Krankenhaus und wusste nach meinen Recherchen schon, was mich erwartet. Trotzdem war es ein großer Schock, es vom Arzt zu hören, weil ich nicht wusste, was das jetzt bedeutet. Ich hätte nie gedacht, dass mir das passiert. Schnell fragte ich mich, was mit dem Triathlon passieren wird, schließlich hatte ich viele Monate ins Training investiert. Ich kam dann zu der Erkenntnis, dass ich die Idee begraben kann. Schon der Weg vom Krankenzimmer in die Cafeteria war für mich unglaublich schwer.

Und dann gingen Sie dennoch an den Start.

Meine Ärzte kannten meinen Hintergrund und fragten, was ich mir für das Jahr vornehme. Ich wollte im Herbst gerne wieder einen Marathon laufen können. Daraufhin meinten die Doktoren, dass ich mal ein bisschen ambitionierter sein solle. Sie haben mir dazu geraten, den Ironman mitzumachen. Vier Tage nach meiner Diagnose war ich dann das erste Mal auf dem Ergometer. Nach sechs Monaten diszipliniertem Training gab es das Happy End. Der Zieleinlauf in knapp über 12 Stunden nach 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und einem abschließenden Marathon war ein tolles Gefühl. Ich war zurück auf der Wettkampfstrecke, gefühlt wieder zurück im Leben. Das hat mich sehr gefreut.

Gingen Sie mit einem anderen Gefühl an Ihr Training heran?

Das Training ist komplett anders. Früher habe ich die Schuhe angezogen und bin losgelaufen. Jetzt muss ich meinen Blutzuckerwert kennen und stets beobachten, weil die Gefahr besteht, dass ich während des Laufs unterzuckere. Also musste ich alle paar Minuten meinen Finger pieksen und eine Messung vornehmen. Gegebenenfalls dann Insulin spritzen oder Kohlenhydrate zuführen. Ich habe nun immer einen Rucksack dabei mit zuckerhaltigen Getränken, Traubenzucker und einem Insulin-Pen. Ohne ihn gehe ich nicht mehr raus.

Geht dann mit jedem Lauf eine Angst mit einher?

Zu Beginn hatte ich gefühlt immer ein Supermarktregal an Kohlenhydraten in meinem Rucksack, weil ich so viel Angst hatte, dass mir etwas passiert. Auch die Vorbereitung auf lange Läufe ist anders als früher. Für einen Marathon habe ich mich ernährungstechnisch sonst mit einer großen Portion Pasta am Vorabend des Laufs vorbereiten können. Die Menge an Kohlenhydraten kann ich heute nicht mehr auf einmal zu mir nehmen. Statt einer esse ich heute bis zu fünf kleinere Portionen. So muss ich mir dann durchaus zehn Mal pro Tag Insulin spritzen, statt wie an normalen Tagen vier bis fünf Mal.

Bei einem Ironman ist es sicher nicht einfach, ständig zu trinken, beispielsweise im Wasser.

Das ist tatsächlich eine besondere Situation. Unter meinem Schwimmanzug habe ich Glukose dabei. Ich lege mich dann auf den Rücken im Wasser und esse. Das irritiert die anderen Schwimmer dann etwas, wenn man so im Weg liegt. Außerdem habe ich auch ständig die nächstgelegene Boje im Blick und weiß, wie weit das Ufer entfernt ist. Das ist schon auch spannend. Wie bei einem Auto, wenn der Tank leer ist. Man muss wissen, wann man tanken muss oder in meinem Fall Zucker zuführen muss. Da spielt dann auch die Zeit keine Rolle mehr. Wichtig ist, überhaupt an Land zu kommen. Aber bisher klappte immer alles gut. Ich will mich nicht durch die Diagnose limitieren lassen.

Mittlerweile haben Sie einen Begleiter im Arm implantiert, der Sie unterstützt. Wie funktioniert er?

Die Frage war, wie ich wieder näher an der das Sporterlebnis komme, wie es vor der Erkrankung war. Alle zehn Minuten meinen Blutzucker messen ist einfach nervig und ich hörte dann von einem Continous Glucose Monitoring System (CGM). Ein kleiner Sensor in meinem Arm schickt Daten an einen Transmitter, der wie ein Pflaster auf meiner Haut liegt. Und dieser schickt per Bluetooth meinen aktuellen Glukosewert an mein Handy oder meine Smartwatch.

Im Dezember 2016 bekam ich den circa 0,8 Millimeter Sensor erstmalig implantiert. Da ich eh oft auf die Uhr schaue, um zu sehen, wie schnell ich unterwegs bin, ist es praktisch, dort jetzt auch direkt meinen Glukosewert sehen zu können. Der Fingerpieks wird dadurch fast komplett ersetzt und die Daten aktualisieren sich alle fünf Minuten. Außerdem meldet sich der Transmitter, wenn sich der Wert zu schnell ändert. Zehn Minuten vor dem Erreichen eines kritischen Wertes gibt es dann eine Warnung, eine kurze Vibration am Arm und eine Nachricht auf mein Endgerät. Weitere zehn Minuten später vibriert der Transmitter-Alarm dann drei Mal stark, falls ich noch nichts an dem Zustand geändert habe. So kommen jetzt Stunden am Tag zusammen, an denen ich überhaupt nicht an meine Krankheit denke.

Sind Sie mit diesem Gerät schon bei Läufen angetreten?

Ja, bisher habe ich sechs Marathons und einen Ironman damit absolviert und bin begeistert. Das System steuert mich. Zwei Mal am Tag muss ich mich noch pieksen, um das Gerät zu kalibrieren, und der Sensor im Arm muss nach sechs Monaten ausgetauscht werden. Aber das nehme ich gerne in Kauf, um wieder laufen zu können.

Also sind die Sorgen jetzt verschwunden?

Jetzt gibt es keine mehr. Auch nicht bei meiner Familie. Am Anfang waren alle noch geschockt und wir haben uns gefragt, ob die Teilnahme an einem Triathlon denn wirklich sein muss. Aber jetzt freuen sich alle, dass ich weitermachen kann und mit dem System jemanden habe, der auf mich aufpasst. Kein Mitläufer könnte das so gut machen.

Wohin geht es als nächstes?

Als nächstes laufe ich im Januar den Marathon in Mumbai, dann folgen noch zwei Marathonläufe bis Juni. Ich bin jetzt 90 Marathons gelaufen und möchte die 100 vollmachen, bevor ich aufhöre. Die Läufe möchte ich auch gerne im MCM-Trikot laufen. Ich möchte vor allem eines zeigen: Sport und Diabetes schließen einander nicht aus. Im Gegenteil. Sport ist gesund, nicht nur, aber ganz besonders bei Diabetes!