Hagen. Der Hagener Basketballer Marcel Keßen spricht über den „Freyer-Effekt“ beim BBL-Club Heidelberg - und über den Frust unter Coach Joonas Iisalo.
Wenn der Basketballtrainer Ingo Freyer mit seiner Mannschaft gewinnt, dann hat das für ihn ein haarsträubendes Nachspiel: Nach einem Sieg wildern seine Spieler mit ihren Händen ungehemmt in seiner langen blonden Mähne. Völlig zerzaust sieht Freyer dann aus. Auch beim Sieg seiner MLP Academics Heidelberg gegen die Braunschweig Löwen versuchte der 52-Jährige, sich seines strubbeligen Schicksals zu entziehen, aber was will man machen, wenn ein Dutzend euphorisierte Basketballer einen umzingeln und feiern möchten?
Dass die Heidelberger Bundesliga-Basketballer dieses Siegesritual am Sonntagabend nach ihrem so wichtigen Erfolg in Braunschweig eingeführt haben, war Marcel Keßen zu verdanken - dem Center, der sich vor acht Jahren bei Phoenix Hagen unter Freyer die ersten Bundesliga-Sporen verdiente. „Wir haben damals schon immer Ingos Haare durcheinander gewirbelt“, lacht Keßen, „und nach diesem Wahnsinnssieg in Braunschweig mussten wir das einfach machen.“
Sechs Heidelberger siegen in Braunschweig
Die Academics holten einen Sieg, den man mindestens als heldenhaft einstufen kann. Sieben Niederlagen hatten sich die Heidelberger zuvor in Folge eingefangen und taumelten ans Tabellenende, ehe Freyer am 11. Januar offiziell übernahm und den geschassten Coach Joonas Iisalo beerbte. Und dann setzte es am Sonntag, drei Tage später, auch noch personelle Hiobsbotschaften: vier Spieler musste Freyer aus der Aufstellung redigieren, darunter Ex-NBA-Flügel Paul Zipser, und nach nur fünf Minuten Spielzeit schied auch noch Vincent Kesteloot verletzt aus. Es verblieben sechs Mohikaner, die sich leidenschaftlich zum ersten Sieg seit dem 20. November kämpften. Und Marcel Keßen, der gebürtige Hohenlimburger, machte mit 17 Punkten und 8 Rebounds das BBL-Spiel seines Lebens. „Es war ein mega, mega geiles Spiel“, sagt Keßen im Gespräch mit dieser Zeitung. „Absolut überragende Leistung von uns allen, vor allem mit am Ende nur sechs Leuten.“
Vor wenigen Wochen hätte sich Marcel Keßen nicht erträumen lassen, solch eine Leistung abzuliefern. Je mehr sich die kritische Lage Heidelbergs zuspitzte, desto mehr fiel der 27-jährige Center aus Iisalos Rotation. „Das war hart für mich. Ich bin in ein mentales Loch gefallen“, erzählt Keßen. Zuletzt habe der Coach das Vertrauen in ihn und einige andere Spieler verloren. Teils spielte Keßen gar nicht mehr. „So habe ich mir das nicht vorgestellt. Der Coach wollte mich in eine Rolle stecken, die ich zuvor nie hatte. So wurde mir praktisch mein Spiel weggenommen, und sowas funktioniert einfach nicht“, macht Marcel Keßen seinem Ärger Luft. Zumal der Trainer mit dem Team schlecht kommuniziert habe. „Gelobt hat er uns nie. Wenn er Feedback gegeben hat, dann gab es einen auf den Deckel. Aber was wir besser machen sollten, hat er uns nicht gesagt.“
Trainerwechsel als Erleichterung
Dass Joonas Iisalo seinen Hut nehmen musste, empfand der ehemalige Phoenix-Center als „Erleichterung“, und umso großer war die Freude, als die Academics die Verpflichtung Freyers bekannt gaben. „Ich hatte das Gerücht, dass Ingo unser Trainer werden könnte, gehört und natürlich gehofft, dass es so kommen wird. Als es dann so weit war, dachte ich: Jackpot! Ingo ist der beste Trainer für dieses Team und für diese Situation.“ Bei Freyer wisse man, was man bekommt, so Keßen - und der offensive Spielstil komme ihm zugute: „Es ist schnell, aggressiv und manchmal sieht es vielleicht etwas chaotisch aus, aber es ist effektiv.“
In Heidelberg hat sich nun also auch einstweilen der Freyer-Effekt eingestellt. Schon in Oldenburg (2022) und Weißenfels (2023) übernahm Freyer kriselnde Basketball-Teams und rettete sie vor dem Abstieg aus der BBL. In der nationalen Basketballszene hat sich der 52-jährige Trainer so den Ruf eines „Feuerwehrmanns“ erarbeitet - weil er zur Stelle ist, wenn‘s brennt. Spieler, die zuvor kaum oder gar nicht zum Zuge kamen, blühen unter Freyer regelrecht auf. Oder wie es Heidelbergs Aufbauspieler Niklas Würzner ausdrückte: Wir waren im Kopf heute deutlich ‚freyer‘.“
Aber was bewirkt der einstige Aufstiegs-Trainer von Phoenix Hagen in den Köpfen der Spieler, dass sie teils wie verwandelt wirken? „Ingo gibt dir Selbstvertrauen“, erklärt Marcel Keßen. „Er sagt dir: Du bist aus einem Grund in dieser Liga. Spiel dein Spiel. Zeig, was du kannst. Hab‘ keine Angst davor, Fehler zu machen.“
Und das scheint zu wirken. Wobei Keßen, ähnlich wie Freyer nach dem Braunschweig-Sieg, mahnt: „Die Saison ist noch lang und wir haben viel Arbeit vor uns.“ Als nächstes treffen Keßen und Co. auf den Mitteldeutschen BC (Montag, 22. Januar, 20 Uhr). Dann wollen die Heidelberger Fans den Freyer-Effekt live in eigener Halle erleben.