Hagen-Mitte. Ralf Tenne war tot. Sein Leben verdankt er drei Menschen, die beim BG-Turnier 2012 keine Sekunden zögerten und ihn zurückholten. Eine Berichterstattung über unterlassene Hilfeleistung hat ihn sehr geärgert. Jetzt will Ralf Tenne mit seiner Geschichte Menschen zum Helfen ermutigen.

Plötzlich sagt er kein Wort mehr. Er hält inne. Als ein Rettungswagen mit lautem Sirenengeheul an der Fensterfront seines Ladens in der Kampstraße vorbeirauscht, hat Ralf Tenne viele Dinge im Kopf, nur nicht das Ende des Satzes, den er gerade noch begonnen hatte. Dann plötzlich ist er wieder da. Er erzählt. Von jenem 6. Juli 2012, als der bekannte Hagener Sporthändler gerade den Platz des BG-Freiluftturniers auf Emst betreten hatte.

Unsere Berichterstattung über einen Hagener Mediziner, der auf offener Straße versuchte, einen sterbenden Mann wiederzubeleben und mindestens drei Pkw-Fahrer dabei an sich vorbeifahren sah, die ihm nicht zur Hilfe eilten, hat Ralf Tenne aufgewühlt. Ihn, der sein Leben drei Menschen verdankt, die keine Sekunde gezögert haben, die ihn beim BG-Freiluftturnier 2012 zurückholten, als sein Herz plötzlich aufhörte zu schlagen.

Ein neuer Geburtstag

Wir sitzen in Tennes Laden zwischen Laufschuhen, Laufhosen, Laufoberteilen. Und der Läufer erzählt. Von der Zeit vor seinem Herztod. Vor dem schrecklichsten Tag seines Lebens, der zugleich ein neuer Geburtstag werden sollte. Mit 18 wurde er Läufer, fuhr in der Jugend Radrennen. Seit er seine Laufkarriere wegen Knieschmerzen beenden musste fährt er zur Fitnesserhaltung wieder viel mit dem Rennrad. Heute ist er 50. Zumindest biologisch. „Am 6. Juli 2014 feiere ich eigentlich meinen zweiten Geburtstag.“

Es ist der Tag, den Ralf Tenne und so viele Menschen in dieser Stadt, die den Sporthändler kennen, niemals vergessen werden. „Ich saß doch morgens noch auf dem Fahrrad“, sagt er und zuckt mit den Schultern. Mit seiner Frau marschierte er am frühen Abend hinauf nach Emst. Er wollte zum BG-Freiluftturnier. Gute Tradition. Für Tenne ein Stück Heimat. Und für viele Menschen gehört es zu einem Stück Heimat, Menschen wie Tenne auf den rauen Betonflächen zu treffen, die sich einmal im Jahr in ein kleines Basketball-Mekka verwandeln.

„Ich habe nur noch ein Bild vor Augen“, sagt Tenne, „ich bin auf das Gelände eingebogen und habe kurz mit Phoenix-Trainer Steven Wriedt geplaudert.“

Ralf Tenne wird drei Tage später auf der Intensivstation des Johannes-Hospitals in Dortmund die Augen öffnen. Er wird leben. Er wird aufatmen. Doch was ihm geschehen ist, muss er nachlesen, sich erzählen lassen. Heute weiß er es. Er kennt das ganze Bild. Das Herz des Sportlers blieb von einer auf die andere Sekunde stehen. „Plötzlicher Herztod“ steht später im Bericht.

Sein Herz blieb plötzlich stehen

Ralf Tenne war tot.

Dass er überlebt hat, verdankt Tenne zwei zufällig anwesenden Ärztinnen und einem Mitarbeiter des „Würzburgers“, der gerade erst seinen Ersthelfer-Schein gemacht hatte. Sie rissen dem zusammengebrochenen Tenne das Hemd auf, massierten sein Herz so heftig, dass sie ihm mehrere Rippen brachen und holten ihn zurück ins Leben. Der Rettungswagen kam, man versetzte ihn ins künstliche Koma und fuhr ihn ins Krankenhaus. Nach einer Verlegung nach Dortmund pflanzte man Tenne dort zwei Bypässe ein. Heute weiß er: Eine verstopfte Nebenvene seines Herzens war der Grund. Vielleicht auch dafür, dass er wenige Wochen zuvor an einer Ampel in Schwerte einfach vom Fahrrad fiel.

Tenne: „Leute, ich kann es nur immer wieder sagen: Wenn irgendwo jemand Hilfe benötigt oder man sieht, dass jemand bereits hinzugeeilt ist, dann bietet trotzdem noch eure Hilfe an.“

Wegsehen sei keine Option.

Jetzt gleich kommt der Moment, in dem der Rettungswagen an Tennes Laden vorbeifährt. Wir werden schweigen. Zu verarbeiten, was man selbst nicht wirklich mitbekommen hat, zu realisieren, dass man eigentlich schon tot war und jetzt weiterleben darf, das hat Ralf Tenne viel Kraft gekostet.

Vielleicht noch mehr, als die lange Reha und das viele Training. Er ist mit dem Geschäft noch mal umgezogen. Ende 2012. Der Gesundheit zuliebe. Er wollte weniger Stress im kleinen Laufladen als im großen Sportgeschäft. Im vergangenen September ist er 220 Kilometer mit dem Rad um den Bodensee gefahren – natürlich unter ärztlicher Anleitung und Aufsicht.

Rissmann tauscht die Wertmarken

Letztes Jahr war Ralf Tenne wieder auf dem BG-Turnier. Er hatte die Wertmarken dabei, die in seiner Tasche steckten, als er im Vorjahr tot zusammenbrach.

„Ich bin zu Fredi Rissmann gegangen und habe ihn gefragt, ob er diese Marken eintauschen kann. Eigentlich meinte ich das mehr als kleinen Scherz.“

Wer Fredi Rissmann kennt, weiß, dass er Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hätte, um Ralf Tenne damals wieder leben zu sehen. Er hat die Marken umgetauscht.

Ralf Tenne lebt.

Weil andere gehandelt haben.

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Von „Jeder ist ein potenzieller Retter. Jeder kann etwas tun. Jeder kann helfen.“ – Markus Leischner, Rettungssanitäter