Hagen. In der siebten Folge von Kabinengeflüster erinnert sich Nils Longerich (43) an legendäre Momente seiner langen Basketball-Laufbahn in Hagen.

Wenn Nils Longerich (43) heute mit seinem Sohn Ben (14) über Basketball spricht, dann kommen vom Spross manchmal freche Sprüche wie: „Ach, du hast doch früher nur ein bisschen in der zweiten Liga auf Körbe geworfen.“ Aber dann muss der Vater den jungen Guard, der für die Phoenix Hagen Youngsters auf Korbjagd geht, eines Besseren belehren: Longerich war im Phoenix-Trikot einer der gefürchtetsten Dreierschützen der 2. Liga Nord, schnupperte mit Erstligist Brandt Hagen die Luft internationaler Wettbewerbe und holte jede Menge landesweite wie nationale Titel.

Seit 15 Jahren spielt der Versicherungskaufmann nur noch auf Amateurbasis, ist heute beim Hasper „Loco-Express“ in der Landesliga sowie bei Ü35- und Ü40-Titelkämpfen aber nach wie vor Leistungsträger. In der siebten Folge von „Kabinengeflüster“ mit den Hagener Basketballern Yannick Opitz und Sören Fritze spricht Longerich über prägende Momente. Und über solche, die ihn noch heute zum Lachen bringen.

Mit Polizeischutz zur Halle

Longerich wurde 1994 mit der B-Jugend von Brandt Hagen deutscher Meister, und auch mit der Auswahl des Westdeutschen Basketball-Verbands (WBV) holte er den nationalen Titel. Folgerichtig wurde der talentierte Guard mit dem weichen Wurfhändchen in die erste Mannschaft berufen. Und natürlich wird Nils Longerich seinen ersten Bundesliga-Einsatz nie vergessen. 1995, Derby gegen Bayer Leverkusen, volle Halle. Nachdem erst Brandt-Star Keith Gatlin und dann auch noch Ralf „X“ Risse verletzt ausfielen, beorderte Coach Peter Krüsmann den 18-Jährigen aufs Feld. Die Freude des Youngsters hielt sich zunächst in Grenzen. „Ich musste den Ball bringen, aber ich war ja kein Aufbauspieler. Und dann wurde ich auch noch von Tom Garrick verteidigt“, erinnert sich Longerich.

Nils Longerich (hier mit Stefan Svitekl) spielte zwischen 1995 und 1997 für Brandt Hagen.
Nils Longerich (hier mit Stefan Svitekl) spielte zwischen 1995 und 1997 für Brandt Hagen. © Michael Kleinrensing

Wer Garrick war? Nur ein US-amerikanischer Point Guard, der in über 200 NBA-Spielen im Schnitt zweistellig punktete und danach mit Leverkusen zweifacher Meister und Pokalsieger wurde. „Er klaute mir direkt im ersten Angriff den Ball, aber ich bin hinterher gestürmt und konnte ihm wenigstens noch den Ball aus der Hand schlagen“, grinst Nils Longerich.

In bester Erinnerung bleibt dem Hagener aber vor allem das Privileg, mit Brandt internationales Basketball-Parkett betreten zu haben. Weil im europäischen Wettbewerb Korać-Cup nur ein Importspieler pro Team eingesetzt werden durfte, erhielten die jungen Talente Nils Longerich und Robin Gieseck Einsatzzeiten. „Wir haben gegen Real Madrid gespielt, gegen Paris St. Germain“, schwärmt Longerich. Damals konnte der junge Mann nicht zum Bund, sondern „musste“ Zivildienst machen, denn da konnte er spontan für seine Auslandsreisen beurlaubt werden. „Das war die geilste Zeit. Wir sind mit dem Flieger nach Israel, wurden dort mit Polizeieskorte zur Halle gebracht. Während des Spiels hat man Münzen auf uns geworfen“, denkt Longerich an legendäre Reisen und Spiele zurück.

Unangenehmes Wiedersehen

Das Jahr 1998 war für die BG Hagen ein historisches: Der Aufstieg in die 2. Bundesliga gelang, und im WBV-Pokal setzten sich die „Eilper“ mit ihrem treffsicheren Guard Nils Longerich die Krone auf. Im Endspiel ging es damals gegen den TuS Iserlohn. Und wie es sich für ein Lokalderby gehörte, wurde das Spiel ganz schön hitzig. Vielleicht sogar zu hitzig. Nils Longerich legte sich mit Gintaras „Vytas“ Krapikas an, provozierte den litauischen Nationalspieler immer wieder mit frechen Sprüchen. „Irgendwann standen wir uns gegenüber, ich habe ihm etwas nicht ganz so Nettes gesagt, und dann ist er komplett ausgerastet. Der wollte mir aufs Maul hauen“, lacht Longerich.

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Der Hagener schätzte seine Chancen auf einen K. O.-Sieg als ziemlich gering ein, denn Krapikas hätte auch als Preisboxer eine glänzende Karriere hinlegen können. Die „litauische Kante“ jagte den schmächtigen Longerich durch die ganze Halle. Der Hagener sprang sogar über eine Spielerbande, um sich vor Krapikas zu retten. Iserlohns 1,96 Meter großer Flügelspieler konnte schließlich gebändigt werden und wurde folgerichtig disqualifiziert. Die BG Hagen feierte später ihren Sieg – und Longerich wurde zum Pokalhelden der anderen Art.

Das Ende der Geschichte? Nicht ganz. In der Folgesaison wechselte Longerich nach Iserlohn, und so wurden die Streithähne zu Mitspielern. In seinem allerersten Training in der Waldstadt war Longerich als erster da, als Zweiter trudelte – wie konnte es anders sein – „Vytas“ Krapikas in die Halle. Ganz schön unangenehm. „Aber es war dann alles gut, wir haben uns ausgesprochen“, erzählt Nils Longerich. „Wir wurden dicke Kumpels.“

Schmerzhafter Fehler

Pokalsieg und Aufstieg mussten 1998 natürlich gebührend gefeiert werden. Mallorca? Ibiza? Nicht ganz, es wurde das österreichische Kaprun, wo man auf Skifahrt ging. In der beschaulichen „Pension Heidi“ waren Liebespaare, Familien mit kleinen Kindern untergebracht – und ein Dutzend feierwütige BG-Basketballer, die sich in der Aufstiegssaison allesamt die Haare blond färbten. Mit dabei: BG-Legenden wie Tome Zdravevski, Thomas Rehrmann, Frank Buschmann, der viel zu früh verstorbene Michael „Baba“ Oberland und natürlich Fredi Rissmann. Der Vereinschef, der sich beim Skifahren aber mindestens so schwer tat wie US-Center Daniel Swintowsky aus Arizona, der Schnee zuvor nur aus dem Fernsehen kannte.

Auch für Phoenix spielte Longerich, war Teil des allerersten Kaders im Spieljahr 2004/05.
Auch für Phoenix spielte Longerich, war Teil des allerersten Kaders im Spieljahr 2004/05. © KLEINRENSING, Michael

„Einmal saßen wir gemeinsam beim Mittagessen und Fredi sagte zu uns: Ich hör auf mit Skifahren, ich kann nicht mehr. Mir tun die Füße so weh.“ Nils Longerich schaute auf Rissmanns Beine und fing an zu lachen. Der BG-Vorsitzende hatte den ganzen Vormittag lang den linken Skischuh am rechten Fuß und umgekehrt. „Kein Wunder, dass dir die Füße weh tun“, schüttelte Longerich den Kopf. Die neue Erkenntnis brachte aber auch nichts mehr. „Fredi konnte nicht mehr weiterfahren, die Schmerzen waren zu groß.“

Vermeintlicher Retter

Nils Longerich stand schon früh mit beiden Beinen im Leben. Sich nur auf Profibasketball zu verlassen, das war für ihn keine Option. Longerich ließ sich zum Versicherungskaufmann ausbilden, und schon im Alter von 23 arbeitete er als selbstständiger Makler. „Ich habe morgens immer zwei Taschen gepackt. Eine fürs Training, die andere für den Job“, erinnert er sich. Als Longerich 2006 erstmals Vater wurde, bekam er allmählich Schwierigkeiten, Familie, Zweitliga-Basketball, und Beruf unter einen Hut zu kriegen. Nach zwei Jahren bei Phoenix Hagen zog er 2006 einen Schlussstrich unter seine Profisport-Laufbahn. Aber ein Leben ohne Basketball? Das ging nicht.

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Longerich schloss sich dem SV Haspe 70 in der 1. Regionalliga an. Das Ziel: Klasse halten. Vor dem letzten Spieltag standen die 70er auf dem zweiten Abstiegsrang, doch ein Sieg gegen den Drittletzten, den UBC Münster, sollte den Sprung ins sichere Fahrwasser klar machen. Und tatsächlich spielte Nils Longerich wie ein Besessener, schenkte Münster unfassbare zehn seiner zwölf Dreierversuche ein. Der 29-Jährige kam beim spektakulären 112:88-Sieg auf 34 Punkte.

Haspe 70 feierte den Verbleib in der ersten Regionalliga wochenlang feucht-fröhlich – bis die bittere Nachricht vom westdeutschen Verband kam: Haspe stieg als Drittletzter ab, weil aus der 2. Liga, die damals noch deutlich länger spielte als die Regionalligisten, nun doch drei Teams runter kamen. „Haspe hatte mich als Verstärkung geholt, und dann sind wir direkt abgestiegen“, kann Longerich heute über die unschöne Wendung lachen. „Aber immerhin hatten wir ein paar schöne Abende nach dem Saisonende.“

+++ Info +++

In der Serie „Kabinengeflüster“ sprechen aktuelle und ehemalige Größen des Hagener Basketballs über prägnante, kuriose und witzige Momente ihrer Laufbahnen. Gast der nächsten Folge ist Jonas Grof (23. Februar).

Die Serie hat unsere Zeitung in Zusammenarbeit mit Yannick Opitz und Sören Fritze, die bei Erstregionalligist BG Hagen spielen, ins Leben gerufen. Die Basketballer sind auch abseits des Feldes ein Team und betreiben in Herdecke gemeinsam ein Immobilienmakler-Büro.