Hagen/Iserlohn. Im Kabinengeflüster spricht Maja Grothe offen über den Verlust ihres Mannes Matthias Grothe und erinnert sich an schöne wie traurige Geschichten.

Wer ihm begegnete, wurde von seinem Lächeln und seiner Ausstrahlung direkt in den Bann gezogen. Matthias Grothe war einmalig, ein Basketball-Verrückter, der Generationen von Korbjägern geprägt hat wie kaum ein anderer. Der 31. Oktober 2017, der Tag, an dem der ehemalige Spieler und Trainer von Phoenix Hagen sowie der Iserlohn Kangaroos im Alter von nur 39 Jahren seinem Krebsleiden erlag, geht als einer der traurigsten in der Geschichte dieser Sportregion ein.

Mehr als drei Jahre später ist der Einfluss von „Matze“, der legendären Nummer 9, auf den heimischen Basketball und darüber hinaus noch deutlich zu spüren. In einer besonderen Folge von „Kabinengeflüster“ mit den Gastgebern Yannick Opitz und Sören Fritze haben wir mit Matthias Grothes Ehefrau Maja Grothe (42) über Liebe auf den ersten Blick, verrückte Rituale und Abschied gesprochen.

Matzes Traumfrau

Fangfrage: Wo haben sich Maja und Matthias kennengelernt? In einer Basketball-Halle, natürlich. „Es war der 22. Februar 1994. Als ich Matthias gesehen habe, waren da von der ersten Sekunde an eine Nähe und ein Vertrauen, das ich noch zu keinem Zeitpunkt erlebt hatte. Matthias war sofort in mich verliebt und hat gedacht: Das wird mal meine Frau. Und da waren wir gerade mal 15“, lacht Maja Grothe. Erst waren sie nur Freunde, der junge „Matze“ war halt etwas schüchtern, aber es wurde schnell mehr draus. Maja und Matthias haben fortan alles miteinander gemacht. „Es war bedingungsloses Vertrauen und bedingungslose Liebe“, sagt Maja.

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Maja war Matzes Traumfrau, und das ließ er auch jeden wissen. „Als wir 2010 mit Phoenix Hagen in die Bundesliga aufgestiegen sind und das abends in der Stadthalle gefeiert haben, ist Matthias angetrunken durch den ganzen Saal und über die Tanzfläche gelaufen und hat immer gesungen: Ich liebe meine Frau, ich liebe meine Frau (zur Melodie von „Ich liebe Deutsche Land; d. Red)“, erinnert sich Yannick Opitz, der von 2008 bis 2010 Grothes Teamkamerad bei Phoenix war, ehe er von 2014 bis 2017 unter ihm bei den Iserlohn Kangaroos spielte.

Seelenverwandte

„Matthias und ich waren Seelenverwandte, wir waren eine Einheit“, sagt Maja. Beispiel gefällig? Als sie sich im Spätsommer 2014 einen doppelten Bänderriss zuzog, war Matze gar nicht gut drauf. Seine Spieler wussten, dass irgendetwas im Busch war. Beim traditionellen Barbecue-Abend vorm Saisonstart der Iserlohn Kangaroos fragte Orlan „OJ“ Jackman, wie lange Maja schon verletzt sei. „Drei Wochen, habe ich ihm gesagt, worauf er seufzte: Okay, das erklärt alles.“ In diesen drei Wochen scheuchte ein mies gelaunter Coach Grothe seine Spieler durch die Halle, „schnauzte uns an, wenn wir ihn nur schief angeguckt haben“, wie „OJ“ berichtete.

Aber Maja legte ein gutes Wort für die Spieler ein. „Es wurde dann deutlich besser im Training“, grinst Opitz. Maja war die Mama der Iserlohner Mannschaft, die gute Seele. „So war das ein paar Mal in der Saison“, weiß Opitz, „Maja war unser Joker. Wenn das Training wieder so hart war, dass wir samstags nicht mehr geradeaus gehen konnten, musste einer aus dem Team mal mit ihr reden.“

Ein Leben für den Sport

Matthias Grothe lebte Basketball, bis zu 90 Stunden hat er pro Woche für seinen Sport gearbeitet. Er war Perfektionist, niemals zufrieden. Nach jedem Sieg und jeder Niederlage setzte er sich am späten Abend an den Schreibtisch, schaute das Videomaterial vom Spiel und kritzelte in seinem Notizblock herum. „Er war unermüdlich“, sagt Maja. Funktioniert hat das alles aber nur, weil er von seinen Kindern, Sophie (heute 18) und Philip (10) und seiner Frau stets den nötigen Rückhalt hatte.

Ein Förderer der Jugend: Matthias Grothe coachte viele Jahre die Phoenix Hagen Youngsters.
Ein Förderer der Jugend: Matthias Grothe coachte viele Jahre die Phoenix Hagen Youngsters. © WP-BILD

Seine Spieler waren für den Basketball-Coach auch Familie. Und so formte Grothe aus jungen Korbjägern gestandene Profibasketballer, wie etwa einen Fabian Bleck, der jetzt Kapitän von Bundesligist Crailsheim ist, oder Niklas Geske, dem vielleicht besten Spieler der aktuellen ProB-Saison. Als Mitspieler nahm er neue Teamkameraden wie Kris und Malte Schwarz oder Chase Griffin unter seine Fittiche, tat alles dafür, dass sie sich hier wohlfühlten. Aber er formte aus ihnen auch, und das ist viel wichtiger, bessere Menschen. Als der Coach mal die schlechten Schulnoten seines Iserlohner Spielers Gabriel de Oliviera sah, erteilte er ihm ein zweiwöchiges Trainingsverbot, damit er sich auf seine Hausaufgaben konzentrierte. „Er ging sogar zu Gabriels Elternsprechtag“, erzählt Maja.

Die Werte des Sports waren für ihren Ehemann unglaublich wichtig. Respekt, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Familiensinn, Zusammenhalt. „Er hat alles im Sinne der Familie und alles im Sinne der Spieler getan. Das hat er von seinen Eltern gelernt, aber auch zum Beispiel von seinen Trainern. Matthias hat immer versucht, von jedem Menschen zu lernen“, sagt Maja Grothe.

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Der Basketball hat Matthias Grothe und seiner Familie auch Halt gegeben, nachdem er die Schockdiagnose Lymphdrüsenkrebs erhielt. Maja erinnert sich: „Als Iserlohn in den Playoffs gegen Bayern München II spielte, war er gerade in der stationären Chemo. Am Dienstagmittag hat er den Ärzten gesagt: So, stöpselt mich aus, ich komme später wieder.“ Grothe coachte sein Team zum Sieg, danach hielt er noch Pläuschchen im Iserlohner Business-Club, und um 23.30 Uhr war er zurück im Josefs-Hospital. „Es war so, als wäre nichts gewesen“, sagt Maja. Vom Krankenbett aus hat Matthias Trainingspläne erstellt und Anweisungen an seine Co-Trainer gegeben. „Trotz dieser schrecklichen Krankheit hat er einfach weitergemacht. Basketball hat uns ein Stück Normalität gegeben. Das war auch für mich und die Kinder in dieser Zeit sehr wichtig.“

Post aus Frankreich

Als Matthias Grothe im Jahr 2010 als Co-Trainer die U20-Nationalmannschaft betreute, war er einige Wochen in Frankreich. Maja, Tochter Sophie (8) und der gerade mal zwei Monate alte Philip blieben zu Hause, immerhin sah man sich jeden Abend per Skype. Eines Tages bekam Maja Post, ein Riesenpaket, die darauf befindliche Handschrift war eindeutig die ihres Mannes. Wow, Geschenke aus dem Land der Liebe, was erwartete die Ehefrau des Basketball-Coaches wohl? Handtaschen, Schmuck, Kleider?

Nun ja, Kleider ist nicht ganz falsch. „In dem Paket war seine dreckige Wäsche“, sagt Maja und fängt an zu lachen. Er war ja ein leidenschaftlicher Typ, der Matze, aber „ein Romantiker war er nicht.“

Matzes Rituale

Ohne feste Routine funktionierte Matthias Grothe nicht. Alles musste seinen festen Ablauf haben, vor allem vor Spielen. Und so gab es vor jeder Heimpartie Spaghetti Bolognese. Fast 20 Jahre lang hat Maja ihm dieses Gericht gezaubert. Immer? Nein, nicht immer. Und das hatte Folgen. „Einmal habe ich ihm nicht Spaghetti Bolognese gemacht. Matthias war richtig sauer auf mich, weil das einfach seinen Ablauf gestört hat“, lacht Maja Grothe. „Matthias hat das Spiel abends verloren, und ich durfte es mir wochenlang anhören, dass sie natürlich nur deswegen verloren haben. Ich habe mich nie wieder getraut, vor Heimspielen etwas anderes zu kochen.“

Nie ohne meinen Ring: Matthias Grothe im Jahr 2008 im Dress von Phoenix Hagen. An seinem rechten Schuh hängt sein Ehering.
Nie ohne meinen Ring: Matthias Grothe im Jahr 2008 im Dress von Phoenix Hagen. An seinem rechten Schuh hängt sein Ehering. © KLEINRENSING, Michael

Nachdem „Matze“ seine Pasta verschlungen hatte, machte er immer ein Nickerchen, ehe er sich alte Videos von Michael Jordan oder Spiele seiner Teams anschaute, um sich mental einzustellen. Mindestens zwei Stunden vor der Partie war Grothe in der Halle, immer überpünktlich, und warf sich warm. Bevor es schließlich ernst wurde, küsste er seinen Ehering und band diesen an seinen Schuh. „Nie hat er ohne seinen Ring gespielt“, weiß Yannick Opitz.

Abgelegt wurde der Ring nur in Ausnahmesituationen. Maja erinnert sich, als Matthias 2017 notoperiert werden musste. Sie kam ins Zimmer, und das erste, was er zu ihr sagte, war: Hol meinen Ring. Auch heute noch trägt Maja Grothe ihren Ehering, das wird sie immer tun, aber das Schmuckstück hat sich ein wenig verändert: „Ich habe Matthias‘ und meinen Ring verschmelzen und daraus drei Ringe machen lassen. Für Sophie, Philip und mich.“

Der letzte Wunsch

Am 10. Oktober 2017 brach Matthias Grothe seine Chemotherapie ab. Er konnte nicht mehr. Der Krebs besiegte den eigentlich Unbesiegbaren, diesen Ausnahmebasketballer, den die Hagener Fans „Grothzilla“ nannten. „Er hat mir an dem Tag gesagt, dass er glücklich sterben wird. Er hat die Liebe seines Lebens geheiratet, hat die wundervollsten Kinder und seine Leidenschaft gelebt. Wer kann das mit 39 Jahren von sich sagen?“, sagt Maja. Dem Trainer machte es aber zu schaffen, dass er seiner Familie einen Wunsch nicht erfüllen konnte: Matthias Grothe wollte ein eigenes Haus – doch das hat Maja nachgeholt.

„Vor eineinhalb Jahren habe ich ihm indirekt seinen letzten Wunsch erfüllt. Von der Risikolebensversicherung habe ich ein Häuschen gekauft, es mit einem guten Freund kernsaniert. Das ist Matthias‘ Zuhause, auch wenn er hier nicht eine Sekunde gelebt hat.“ Im Esszimmer von Grothes neuem Zuhause hängt ein großes Bild von ihm. „Ich vermisse ihn so sehr. Ja, es wird mit der Zeit erträglicher, aber ich habe die Liebe meines Lebens und unsere Kinder den besten Vater, den man sich nur wünschen kann, verloren.“

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Was ihnen hilft, sind Gespräche mit Weggefährten, die heute noch vorbeischauen. Vor wenigen Tagen war Phoenix-Center Marcel Keßen zu Besuch, für den Matthias Grothe wie ein Vater war. Es werden Geschichten und Anekdoten von früher ausgegraben, und irgendwie ist es dann so, als wäre „Matze“ auch da. Maja Grothe spürt die Aura ihres Mannes, da ist sie sich sicher. Deswegen mag sie es auch nicht, als „Witwe“ bezeichnet zu werden. „Ich bin und werde immer Matthias’ Ehefrau sein“, sagt sie. „Ich trage mit Stolz den Namen Maja Grothe, Ehefrau von Matthias Grothe.“