Hagen. Der Krieg vertreibt Anoar Raed aus Syrien. In Hagen hat er einen Job gefunden und kann seine Leidenschaft ausüben – als Schiedsrichter.

„Am Anfang werden Steine geworfen, dann kommen die Waffen und schließlich die Bomben.“ Anoar Raed ist ruhig, wenn er von den Schreckensszenarien in seiner alten Heimat Syrien berichtet. Nicht mal die schrecklichen Erinnerungen können den 34-Jährigen aus der Ruhe bringen.

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Ganz bedächtig berichtet er, wie ihm immer mehr klar wird, dass es in Syrien für ihn keine Perspektive mehr geben kann. Zu gefährlich ist es geworden. Gemeinsam mit seiner Familie verlässt er die Heimat, um erst einmal im benachbarten Libanon zu verweilen. Nah an der Grenze wollen sie abwarten, ob sich die Lage nicht doch noch verbessert und sie wieder in die Heimat zurückkehren können. Doch der Krieg nimmt kein Ende. Und für den Informationstechniker fehlen die beruflichen Perspektiven.

2015 Flucht nach Deutschland

So entscheidet er sich, 2015 nach Deutschland zu kommen. „Es ist ein großes Land, ohne Krieg das viele Chancen und Sicherheit bietet“, ist er noch heute froh über seine Entscheidung. Nach einem ersten Aufenthalt in Bad Berleburg kommt er nach Hagen. Und ist bis heute geblieben. Die ersten anderthalb Jahre muss Anoar Raed sich alleine durchschlagen, dann darf auch seine Familie nachkommen.

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Raed lernt über einen Sprachkurs an der Volkshochschule schnell Deutsch und findet eine Ausbildungsstelle. Aber etwas fehlt ihm. Seinem Hobby aus der alten Heimat will er auch in Deutschland nachkommen. „Ich habe schon als kleines Kind davon geträumt, Schiedsrichter zu sein.“ Während für die anderen immer das Fußballer-Dasein im Vordergrund steht, findet er seine Passion schon in jungen Jahren an der Pfeife.

In Syriens erster Liga aktiv

Und ist bis zu seiner Flucht in der höchsten syrischen Liga aktiv. „In Syrien haben wir allerdings nur vier Ligen. Die höchste ist in etwa mit der Landes- oder Westfalenliga hier vergleichbar“, berichtet Raed, der ab 2005 aktiv mit dem Schiedsrichtern beginnt.

Während er den Sprachkurs besucht, spricht er seinen Lehrer an, ob er nicht wüsste, wie er seinem Hobby auch hier weiter nachgehen kann. So entsteht der Kontakt zum Verein Hagen United, für den Raed nun seit fünf Jahren pfeift.

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Doch bringt die damals noch vorhandene Sprachbarriere nicht Probleme mit sich? „Ich hatte schon einmal den Vorteil, dass mein Zertifikat aus Syrien hier auch anerkannt wurde. Es bedurfte nur einer Überprüfung und dann konnte ich anfangen.“

Verständnisprobleme zu Beginn

Probleme, das Spiel zu verstehen hatte er nie, die Regeln kannte er. Doch die Interaktion mit den Spielern gestaltete sich noch schwierig: „Am Anfang war ich schon nervös, gerade vor den ersten Spielen. Wenn schnell gesprochen wurde, habe ich nicht genau verstanden was gemeint war. Oder was die Spieler oder Trainer über mich gesagt haben. Auch, weil ich zum Beispiel gängige Beleidigungen nicht kannte. Sowas lernt man ja nicht in einem Deutschkurs an der VHS.“ Aber der Syrer lernt schnell, spricht inzwischen einwandfrei die zu Beginn noch so schwierige Sprache. „Da hat der Fußball und die Arbeit viel zu beigetragen. Da tauscht man sich nochmal ganz anders aus.“ Und inzwischen kennt er auch die meisten Beleidigungen, die ihm an den Kopf geschmissen werden, schaute zuhause nach, was sie bedeuten oder fragte bei Bekannten nach. Nun kann er passend darauf reagieren.

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Und inzwischen nimmt das Hobby auch große Teile seiner Freizeit ein. Immer samstags und sonntags ist Anoar Raed auf dem Platz zu finden. Während er Spiele in der Kreisliga selbst leitet, unterstützt er als Assistent auch Partien in der Landes- oder Westfalenliga.

Er bringt Ruhe ins Spiel

Und wird dabei vor allem für seine ruhige Art geschätzt. „Aus der Ruhe bringen kann mich eigentlich nichts. Wenn ein Spiel mal heißer her geht, dann bin ich der Ruhepol und versuche das auf die Spieler zu übertragen, indem ich sie auch mal rausnehme und mit ihnen rede.“ Was von außen, von den Zuschauern an ihn herangetragen wird, das interessiert ihn nicht. „Ich bin auch nur ein Mensch, ich mache auch Fehler. Wenn etwas vom Rand reingerufen wird, dann geht das in das eine Ohr rein und durch das andere wieder raus. Das ist nicht wichtig.“

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Seine Gelassenheit brachte ihm in seiner Berufsschulklasse schon den Spitznamen „Klassenpapa“ ein. Und auch auf die Fußballer wirkt es beruhigend. „ Die Spieler entschuldigen sich oft nach der Partie. Sie haben aus der Emotion heraus etwas gesagt. Aber wenn sie dann zu mir kommen und sich entschuldigen, ist alles vergessen.“

Lieber Senioren als Junioren

Auf die Frage, ob er lieber Senioren oder Junioren pfeift, hat Anoar Raed eine klare Antwort: „Lieber sind mir die Senioren. Die diskutieren meist nicht so viel und verstehen die Entscheidungen öfter, als der Nachwuchs.“

Beruflich hat der Informationstechniker nun das erste Jahr seiner Ausbildung geschafft. „Leider wurde mir meine Ausbildung aus Syrien nicht anerkannt, da die Fächer etwas andere sind. Deshalb musste ich hier noch einmal von vorne beginnen. Das ist ärgerlich, weil ich ja auch nicht mehr ganz jung bin. Aber nun habe ich eine gute Firma gefunden, mache meine Ausbildung und danach vielleicht noch eine Weiterbildung. Das wird man sehen.“

Großer Traum: Bezirksliga

Und einen Traum hat er noch: „Vielleicht bin ich schon zu alt, aber ich möchte unbedingt noch mindestens eine Klasse höher pfeifen. Die Bezirksliga ist mein nächstes Ziel und dafür bin ich auch bereit, hart zu arbeiten.“

Und bei allem was er in den vergangenen Jahren erreicht hat, wird er sich auch von diesem Ziel nicht abbringen lassen.