Hagen. Auf Fußballplätzen in Hagen kommt es immer wieder zu Gewalt. Welche Rolle Migration bei diesem Thema spielt und worin die Ursache liegen könnte.

Warum eskaliert es auf den heimischen Fußballplätzen so häufig? Und woher kommt bei vielen, meist männlichen Fußballern die kurze Zündschnur? Wer sich mit diesen Fragen beschäftigt, der kommt an den Themen Migration und Integration nicht vorbei. Denn die Erfahrung hat gezeigt, dass es oft Vereine mit hohem Migrationsanteil sind, die auffällig häufig involviert sind, wenn es um Spielabbrüche nach Gewalttaten und andere unschöne Szenen auf und neben dem Platz geht, wie es jüngst bei einer Schlägerei beim Fritz-Kahl-Turnier zu beobachten war.

Losgetreten hatte diese Diskussion Mathias Schneidmüller. Der Fußball-Abteilungsleiter des TSV Fichte Hagen hatte nach der Vorrunde des traditionsreichen Turniers ein ernüchterndes Fazit gezogen und sagte mit Blick auf Schlägereien: „Ständig geht es bei solchen Rangeleien um die Ehre der Familie, der jeweiligen Nation oder Religion. Ganz ehrlich: Ich kann das nicht mehr hören und nicht mehr sehen. Das hat im Fußball nichts verloren“, befand der Chef-Organisator des Fritz-Kahl-Turniers.

„Südländer sind heißblütiger“: Bei der Familie sind sie empfindlich

Das Kreissportgericht in Hagen untermauert diesen Eindruck, denn wie der Kreisvorsitzende Peter Alexander berichtet, sei die Zahl der Fälle mit Migrationshintergrund höher als bei Fällen ohne Zuwanderungsgeschichte. Alexander warnt aber vor Stigmatisierung: „In allen Vereinen gibt es Spieler mit Migrationshintergrund und wenn wir sie nicht hätten, dann könnten wir manche Klassen gar nicht stellen. Sie sind sehr wichtig für den Kreis.“ Was das Thema gekränkte Ehre betrifft, so vermutet Alexander bei manchem Spieler aus fremden, südlichen Kulturkreisen, „dass sie heißblütiger sind. Wenn die Familie beleidigt wird, sind sie empfindlicher.“

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Aber stimmt das? Wir haben mit mehreren Menschen aus Hagen über Familien-Ehre, Gewalt im Fußball und Integration gesprochen. Die Perspektiven sind vielfältig und die Meinungen gehen durchaus auseinander.

Erdal Yildiz (1. Vorsitzender SV Boele-Kabel) sieht den Migrationshintergrund bei solchen Fällen als einen eher untergeordneten Faktor: „Ich denke, dass der soziale Stand eine noch größere Rolle spielt als die bloße Herkunft. Deutsche sind in der Regel gebildeter und Besserverdiener im Vergleich zu Menschen mit Migrationshintergrund. Ausnahmen bestätigen zwar die Regel, aber allgemein betrachtet ist der Deutsche eher ein Polizist, Feuerwehrmann oder Kaufmann mit Oberschulreife. Menschen mit Migrationshintergrund in Hagen sind überwiegend Paketfahrer, Hilfsarbeiter oder Security-Mitarbeiter mit Hauptschulabschluss“, sagt Yildiz.

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Natürlich seien Menschen mit geringerem Bildungsstand aus sozial schwächeren Milieus weniger diszipliniert. Auch hier gebe es Ausnahmen. Menschen, die in solchen Fällen oft auffällig werden, kämen meist aus einem sozial niedrigeren Stand, oder haben einen starken Migrationshintergrund (sind nicht so lange in Deutschland wohnhaft): „Menschen mit ganz schwachem Migrationshintergrund, bei denen die Eltern schon in Deutschland geboren sind, und die einen guten Bildungs- und Sozialstand haben, werden genauso selten auffällig wie Deutsche“, sagt Yildiz.

Schiedsrichter Leander Dreher aus Hagen spricht über Gewalt im Fußball. Wer auf dem Fußballplatz seine Ehre beleidigt sieht und sie dann mit Gewalt schützen will, der handelt unehrenhaft, so die Haltung des Schiedsrichters aus Hagen.
Schiedsrichter Leander Dreher aus Hagen spricht über Gewalt im Fußball. Wer auf dem Fußballplatz seine Ehre beleidigt sieht und sie dann mit Gewalt schützen will, der handelt unehrenhaft, so die Haltung des Schiedsrichters aus Hagen. © WP | Privat

Leander Dreher (Schiedsrichter aus Hagen): „Ich pfeife seit sechs Jahren Kreisliga-Fußball in Hagen und ich studiere Sportwissenschaften und Pädagogik. Ich habe deshalb vielleicht eine eigene Art und Weise, mit der ich auf dieses Problem blicke. Gewalt keimt auf, wenn die Diplomatie verliert, also die Kommunikation versagt. Viele verbale Auseinandersetzungen, die zu Gewalt führen, bekommen wir als Schiedsrichter aber einfach nicht mit und wir können dann nur reagieren, wenn die Fäuste geflogen sind. Mir ist aber eines wichtig: Kein Spieler hat das Recht, seine Meinung mit Gewalt durchzusetzen, egal wie schlimm er vorher beschimpft wurde. Wer Opfer einer Beleidigung wird, kann sich über seinen Mannschaftskapitän an den Schiri wenden und der muss das dann protokollieren und überprüfen. Was viele Spieler machen, ist gewissermaßen Selbstjustiz, weil sie jemanden selbst dafür bestrafen wollen, dass er sie beleidigt hat. Das sieht unser System aber nicht vor und deshalb halte ich Gewaltanwendung als ein Mittel für ziemlich unehrenhaft, vor allem, wenn man sich eigentlich als Verfechter der Ehre inszenieren möchte.“

Hakan Severcan ist Vorsitzender des Integrationsrates in Hagen.
Hakan Severcan ist Vorsitzender des Integrationsrates in Hagen. © WP | Michael Kleinrensing

Hakan Severcan, Vorsitzender des Integrationsrates sagt: „Das Thema kann man nicht einschichtig betrachten. Eine Fülle an Gründen sorgt dafür, dass die Situation in unserer Gesellschaft so ist, wie sie ist. Der Hauptgrund für solche Fälle, wie sie jetzt auf dem Fußballplatz aufgetreten sind, dürfte allerdings ein soziales Gefälle sein. Denn Menschen mit Migrationshintergrund kommen häufiger aus einem einfacheren Umfeld, was wiederum unter anderem mit der Geschichte der Gastarbeiter in diesem Land zu tun hat“, sagt Severcan. Dass es in südlichen Ländern bei manchen Menschen kulturell bedingt mehr Temperament gebe, ist auch seine Wahrnehmung. Aber die geringe Frustrationsgrenze von Fußballern mit Migrationshintergrund sieht er weniger in der Kultur des Herkunftslandes begründet, sondern mehr im Bildungsgrad der jeweiligen Person, in den persönlichen Erfahrungen, die jemand gemacht hat. Kriegserlebnisse, Traumata und auch eigene Gewalterfahrungen könnten dabei eine Rolle spielen.

Nicht selten erlebten Menschen, insbesondere aus der Türkei oder dem arabischen Raum, alltägliche Ausgrenzung. Was manche Menschen mit Migrationshintergrund erleben, können viele Deutsche nicht nachvollziehen: „Wenn man als junger Mensch, der beispielsweise aus der Türkei kommt, eine Wohnung oder einen Job sucht, wird man sehr oft gefragt, wo der Name denn herkommt. Wenn der Name dann türkischen Ursprungs ist, sagen viele Vermieter, dass sie an Ausländer nicht vermieten wollen. So etwas ist kein Einzelfall. Da spielt es dann noch nicht einmal eine Rolle, ob die Person ein Abitur mit 1,3 bestanden hat, ob sie völlig integriert ist oder ob er oder sie stets freundlich ist. Wir haben ein strukturelles Problem, bei dem nicht nur Gewalt von Migranten eine Rolle spielt, sondern auch Ausgrenzung und mangelnde Teilhabe-Chancen. Wenn wir diese Missstände lösen, hätten wir deutlich weniger Probleme.