Herdecke. Bei Olympia 2024 in Paris ist kein Athlet aus Herdecke dabei, früher war das anders. Diese Asse trumpften von Melbourne bis Tokio auf.

Die erste deutsche Goldmedaille überhaupt nach dem 2. Weltkrieg, dann noch Gold und Silber bei den Ruderern: Die Olympia-Bilanz der Stadt Herdecke kann sich wahrlich sehen lassen, auch wenn bei den am Freitag in Paris startenden 23. Olympischen Sommerspielen nach dem Rücktritt von Johannes Weißenfeld aus dem Deutschland-Achter kein Herdecker Sportler aktiv dabei sein wird. Die Liste der sportlichen Asse bei Olympia oder den Paralympics, die in Herdecke wohnten oder hier in einem Verein waren, ist in jedem Fall beachtlich. Mit einer Übersichtstafel im Schaufenster erinnert der Heimat- und Verkehrsverein im „Heimatpunkt Herdecke“ in der oberen Fußgängerzone anlässlich der Paris-Spiele an zehn Sportler aus Herdecke, die bei Olympia dabei waren.

Mit dieser Übersichtstafel erinnert der Heimat- und Verkehrsverein im Schaufenster kurz vor den Sommerspielen in Paris an zehn Sportler aus Herdecke, die früher bei Olympia dabei waren
Mit dieser Übersichtstafel erinnert der Heimat- und Verkehrsverein im Schaufenster kurz vor den Sommerspielen in Paris an zehn Sportler aus Herdecke, die früher bei Olympia dabei waren © WP | Steffen Gerber
Drei der insgesamt elf Herdecker Olympioniken vereint: Am 4. Oktober 1988 trugen sich Eiskunstläuferin Marina Kielmann und die Olympiasieger Matthias Mellinghaus und Meinrad Miltenberger (von links) ins Goldene Buch der Stadt Herdecke ein.
Drei der insgesamt elf Herdecker Olympioniken vereint: Am 4. Oktober 1988 trugen sich Eiskunstläuferin Marina Kielmann und die Olympiasieger Matthias Mellinghaus und Meinrad Miltenberger (von links) ins Goldene Buch der Stadt Herdecke ein. © WP | Stadt Herdecke

Eine Sportlerin, deren einziger Olympia-Start gar nicht so lange zurückliegt, ist dem Verein dabei durchgegangen: Sprinterin Sina Schielke ging 2004 in Athen an den Start, schied dort gehandicapt durch eine hartnäckige Plantarsehnenverletzung aber in Einzel und Staffel im Vorlauf aus.

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Das sind die Olympioniken aus Herdecke (mit Auszügen aus den Texten vom Heimatverein):

1956 in Melbourne gewinnt der Herdecker Meinrad Miltenberger (links) mit Michael Scheuer Olympia-Gold im Zweier-Kajak.
1956 in Melbourne gewinnt der Herdecker Meinrad Miltenberger (links) mit Michael Scheuer Olympia-Gold im Zweier-Kajak. © AP | ddp images/AP

Meinrad Miltenberger

Helsinki 1952, Melbourne 1956: Als Gewinner der ersten Nachkriegs-Goldmedaille für Deutschland weist auch die aktuelle Internetseite der Olympischen Spiele in Paris Meinrad Miltenberger aus, der Heimatverein schreibt dagegen von der „dritten Goldmedaille für deutsche Sportler bei Olympia seit 1936 in Berlin“. Sicher ist, dass der Kanute (1924 bis 1993) als Mitglied des Herdecker Kanu-Clubs schon 1952 an den Olympischen Spielen in Helsinki teilnahm, zunächst im Einer-Kajak (5.) und Zweier-Kajak (6.) Erfahrungen sammelte. Trotzdem bereitete man ihm nach seiner Rückkehr aus Finnland einen improvisierten Empfang an der früheren Rathaustreppe. 1956 gewann der von allen „Auto“ genannte Kanute aus Herdecke dann im ehemaligen Goldgräber-Dorf Ballarat auf dem Lake Wendouree, westlich von Australiens Metropole Melbourne, gemeinsam mit Michel Scheuer Gold im Zweier-Kajak über 1000 Meter. Eine Straßenparade in seiner Heimatstadt folgte, das Bundesverdienstkreuz wurde ihm verliehen. Seit 2016 gibt es im Wohnquartier Ruhraue den Meinrad-Miltenberger-Weg, auch sein Verein erinnert mit einem Gedenkstein auf dem Vereinsgelände an ihn.

Mit dem Deutschland-Achter gewann der Herdecker Matthias Mellinghaus (2. von rechts) 1988 in Seoul die Goldmedaille.
Mit dem Deutschland-Achter gewann der Herdecker Matthias Mellinghaus (2. von rechts) 1988 in Seoul die Goldmedaille. © imago | imago

Matthias Mellinghaus

Seoul 1988: Das zweite Olympia-Gold für Herdecke gab es auch auf dem Wasser: Ruderer Matthias Mellinghaus vom RC „Westfalen“ Herdecke saß 1988 im Deutschland-Achter, dem Flaggschiff des Deutschen Ruderverbandes, der nach 13 Siegen in Folge auch im koreanischen Seoul die Favoritenrolle hatte. Und doch wäre beinahe alles an einer kleinen Schraube gescheitert, wegen fehlender Befestigung wackelte das Stemmbrett, auf dem die Füße des Ruderers fixiert sind. Bundestrainer Ralf Holtmeyer strampelte mit dem Rad zurück zum Bootslager, um Ersatz zu beschaffen, hektisch wurde das Boot repariert. Im Rennen fuhren Mellinghaus, der seit 2000 als Filmemacher im kanadischen Vancouver lebt, und Co. dann nach zwischenzeitlicher Führung der USA aber einen klaren Vorsprung heraus und gewannen Gold.

Auch Johannes Weißenfeld (links) startete im Deutschland-Achter, 2021 in Tokio gewann er die Silbermedaille.
Auch Johannes Weißenfeld (links) startete im Deutschland-Achter, 2021 in Tokio gewann er die Silbermedaille. © dpa | Jan Woitas

Johannes Weißenfeld

Tokio 2020: Den Traum von Olympia erfüllte sich Johannes Weißenfeld mit einem Jahr Verspätung in Tokio, als die Spiele wegen der Corona-Pandemie erst 2021 hier stattfanden. Statt der erhofften Goldmedaille gewann der Ruderer vom RC „Westfalen“ Herdecke mit dem Deutschland-Achter hinter zu starken Neuseeländern Silber. Und betonte danach: „Man muss davon wegkommen, vom verlorenen Gold zu sprechen. Wir haben unser bestes Rennen gezeigt.“ Schon mit 16 gewann der 1,99 m große Modellathlet 2011 im Junioren-Vierer ohne Steuermann seinen ersten Weltmeister-Titel, ab 2016 im renommierten Achter folgten drei Welt- und vier Europameisterschaften. Nach Tokio legte Weißenfeld, der bereits 2016 als Ersatzmann in Rio de Janeiro dabei war, zunächst eine hochleistungssportliche Pause ein, um sein Medizin-Student an der Ruhr-Universität Bochum zu forcieren, ein Jahr später beendete er doch seine Karriere. Auch wenn die Olympischen Spiele 2024 in Paris zunächst sein Ziel waren.

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Nur knapp verpassten Niels Ellwanger und der Herdecker Carsten Lömker (rechts) 1988 in Seoul im Zweierkajak als Vierter eine Medaille.
Nur knapp verpassten Niels Ellwanger und der Herdecker Carsten Lömker (rechts) 1988 in Seoul im Zweierkajak als Vierter eine Medaille. © imago sportfotodienst | imago sportfotodienst

Carsten Lömker

Seoul 1988: Ein paar Tage nach dem Finale der Ruderer und der Goldmedaille für Matthias Mellinghaus fuhr eine kleine Fan-Gruppe aus dem Ruhrgebiet erneut an den Han-River. Die Kanuten gingen an den Start, mit dabei war ein Mitglied des Herdecker Kanu-Clubs: Carsten Lömker, der für den Stützpunkt Essen startete. Er hatte sich mit seinem Partner Niels Ellwanger (Essen) für den Endlauf im Zweier-Kajak über 1000 m qualifiziert - in derselben Bootsklasse, in der Meinrad Miltenberger 1956 erfolgreich gewesen war. In Seoul liefen die ersten vier Boote innerhalb von 2,21 Sekunden ein, es siegten die USA vor Neuseeland und Australien. 98 Hundertstelsekunden, ein Wimpernschlag, fehlten Lömker/Ellwanger zur Bronzemedaille.

2000 verzichtete Sina Schielke auf den Olympia-Start zugunsten der Junioren-Weltmeisterschaften, 2004 in Athen war die Herdeckerin dabei, schied aber jeweils im Vorlauf aus
2000 verzichtete Sina Schielke auf den Olympia-Start zugunsten der Junioren-Weltmeisterschaften, 2004 in Athen war die Herdeckerin dabei, schied aber jeweils im Vorlauf aus © imago/Ulmer | imago/Ulmer

Sina Schielke

Athen 2004: Als schnellste Frau Deutschlands durfte Sina Schielke vom TSV Herdecke über mehrere Jahre gelten - und als „Glamour Girl“ der deutschen Leichtathletik. Die Herdecker Sprinterin wurde früh dreifache Junioren-Europameisterin, verzichtete aber auf einen ersten Olympia-Staffelstart im Jahr 2000 zugunsten der Junioren-Weltmeisterschaften im gleichen Jahr, bei denen sie Silber hinter der späteren Olympiasiegerin Veronica Campbell-Brown über 200 m gewann. In der Folge erlitt sie zahlreiche Verletzungen, verpasste so alle fünf Freiluft-Weltmeisterschaften ihrer Karriere. Auch vor Olympia 2004 in Athen plagte sie eine hartnäckige Plantarsehnenverletzung, in Einzel und Staffel schied sie im Vorlauf aus. „Ich bin froh, dass ich zumindest einmal bei Olympischen Spielen dabei sein durfte“, sagte sie später: „So ein Ereignis mitzuerleben war großartig, auch wenn das sportliche Abschneiden nicht so toll war.“

Im Deutschland-Achter Nadine Schmutzler
Im Deutschland-Achter Nadine Schmutzler © WP-Wetter | Privat

Nadine Schmutzler

Peking 2008: Ebenfalls in einem von Ralf Holtmeyer trainierten Achter, allerdings in dem der Frauen, war Nadine Schmutzler bei Olympia. Die Riemenruderin vom RC „Westfalen“ Herdecke wurde in zwei Booten Vize-Weltmeisterin, wurde vom Deutschen Ruderverband insgesamt für sechs Weltmeisterschaften nominiert, und sicherte sich einen Stammplatz im Olympia-Achter, der 2008 in Peking Rang acht - für sie enttäuschend - belegte. Vier Jahre später verpasste sie die Spiele in London knapp, sah sich da als „Opfer falscher Entscheidungen“ ausgebootet. Später mit dem Crefelder RC gewann die Herdeckerin nicht nur die Ruder-Bundesliga, sondern auch die erste europäische Champions League.

Mark Warnecke, der hier von Bürgermeister Hans-Werner Koch 2003 in Herdecke begrüßt wird, nahm an vier Olympischen Spielen teil.
Mark Warnecke, der hier von Bürgermeister Hans-Werner Koch 2003 in Herdecke begrüßt wird, nahm an vier Olympischen Spielen teil. © WR | Ingrid Breker

Mark Warnecke

Seoul 1988, Barcelona 1992, Atlanta 1996, Sydney 2000: Als Schwimmer Mark Warnecke bei der Weltmeisterschaft 2005 in Montreal die Goldmedaille über 50 Meter Brust gewann und im Alter von 35 Jahren der älteste Weltmeister in der Geschichte des Schwimmsports seit 1971 wurde, war er schon Herdecker. Im Jahr 2003 ist er auf den Schnee gezogen, vier Jahre später beendete er seine Schwimm-Karriere. Für vier Olympia-Teilnahmen hatte sich Warnecke vor seiner Zeit in Herdecke qualifiziert, seine sportliche Laufbahn krönte er 1996 mit einem Bronze-Rang über 100 m Brust bei den Olympischen Spielen in Atlanta als Aktiver der SG Essen. Zudem gewann er noch etliche weitere Medaillen bei Welt- und Europameisterschaften.

Peter Thiede, der seit 2000 in Herdecke lebt, startete bei vier Olympischen Spielen, gewann als Steuermann des deutschen Achters einmal Silber.
Peter Thiede, der seit 2000 in Herdecke lebt, startete bei vier Olympischen Spielen, gewann als Steuermann des deutschen Achters einmal Silber. © WP-Wetter | Privat

Peter Thiede

Barcelona 1992, Atlanta 1996, Athen 2004, Peking 2008: Ruder-Steuermann Peter Thiede stammt aus Ueckermünde, lebt aber seit 2000 in Herdecke. Über 15 Jahre, von 1993 bis 2008, war er Steuermann des Deutschland-Achters. Und nahm - neben drei Weltmeister-Titeln - viermal an an Olympischen Spielen teil. 1992 - noch im Zweier mit Steuermann - belegte er Rang vier als Mitglied des ASK-Rostock, im Achter folgten nach dem Vereinswechsel zum Ruderclub Hansa Dortmund Silber 1996 sowie die Ränge vier (2004 in Athen) und acht (2008 in Peking). 1987, gerade 19 Jahre jung, sowie in den beiden Jahren darauf hatte er noch mit dem DDR-Achter WM-Medaillen gewonnen.

In Calgary und Albertville ging die damals in Herdecke wohnende Marina Kielmann aufs Eis.
In Calgary und Albertville ging die damals in Herdecke wohnende Marina Kielmann aufs Eis. © WR | GOEKE, Bodo

Marina Kielmann

Calgary 1988, Albertville 1992: Als Marina Kielmann im Februar 1988 an den Olympischen Winterspielen in Calgary/Kanada teilnahm, wohnte sie in Herdecke. Bürgermeister Hugo Knauer ehrte sie bei einem Empfang für einen zehnten Platz im Eiskunstlauf, vier Jahre später erreichte sie bei den Spielen in Albertville/Frankreich erneut Rang sieben. Zwischen 1988 und 1995 nahm die in Herdecke aufgewachsene Athletin, die zunächst als Rollkunstläuferin erfolgreicher war und dort 1990 Vizeweltmeisterin wurde, an sieben Weltmeisterschaften im Eiskunstlauf teil. Ihre beste Platzierung war ein vierter Rang in Chiba-shi/Japan im Jahre 1994. Ein Jahr später beendete sie ihre Amateurlaufbahn und ging für einige Jahre zu „Holiday on Ice“ ging.

Astrid Hengsbach (2 .v. re) gewann 2012 in London bei den Paralympics die Silbermedaille.
Astrid Hengsbach (2 .v. re) gewann 2012 in London bei den Paralympics die Silbermedaille. © WP

Astrid Hengsbach

London 2012: Auch bei den Paralympics hat Herdecke eine Medaillen-Gewinnerin: Astrid Hengsbach vom Ruderclub „Westfalen“ Herdecke gewann im Sommer 2012 in London Silber mit dem Mixed Vierer mit Steuerfrau. Das mit je zwei Frauen und zwei Männern besetzte Boot mit Steuerfrau Katrin Splitt (Berlin) kam nach 3:21,44 Minuten und damit 2,06 Sekunden hinter dem siegreichen Gastgeber Großbritannien ins Ziel, Bronze ging an die Ukraine. Im deutschen Boot saßen neben der aus Meschede gebürtigen Astrid Hengsbach, die von RWH-Trainer Guido Kutscher gefördert wurde, noch Anke Molkenthin (Waging), Tino Kolitscher (Halle) und Kai-Kristian Kruse (Hamburg).

Markus Bräuer vom RC „Westfalen“ Herdecke war 1992 Ersatzkandidat bei den Olympischen Spielen.
Markus Bräuer vom RC „Westfalen“ Herdecke war 1992 Ersatzkandidat bei den Olympischen Spielen. © Heimatverein Herdecke | Heimatverein Herdecke

Markus Bräuer

Barcelona 1992: Markus Bräuer vom Ruderclub „Westfalen“ Herdecke blieb die Chance auf eine Olympia-Medaille versagt. Der Verband hatte ihn als Ersatzmann im bundesdeutschen Ruder-Team für die Olympischen Spiele in Barcelona 1992 nominiert. Bei einem Ausfall im Männer-Vierer oder -Achter hätte man auf ihn setzen können, beide Besatzungen blieben aber fit.