Hagen/Schwelm. Der Hagener Merlin Kedzior ist homosexuell – und Fußballschiedsrichter. Beleidigungen und physische Gewalt machen ihm keine Angst.
„Schiri, du blöde Sau!“ Das ist noch eine der harmloseren Beschimpfungen, denen Schiedsrichter vor allem im Amateurfußball Woche für Woche ausgesetzt sind. Mitunter kommt es sogar zu tätlichen Übergriffen auf die Menschen, die für die Ausführung eines Spiels unabdingbar sind. Solche Vorfälle gab es schon immer, der Ton und der Umgang im Fußball ist ein anderer als in vielen anderen Sportarten. Und doch sorgten Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit dafür, dass sich der eine oder andere Schiedsrichter unwohl fühlen könnte, wenn er einen Fußballplatz betreten muss. Merlin Kedzior aus Hagen gehört nicht dazu. Der 29-jährige Unparteiische kennt die Sprüche, weiß um prekäre Situationen auf und neben dem Fußballplatz – Angst hat er deswegen aber nicht.
Wenn Merlin Kedzior einen Fußballplatz betritt, fällt er meistens auf. „Ich gelte schon als der ‚bunte Vogel‘ unter den Schiedsrichtern“, sagt er. Kedzior ist schwul, geht damit offen um, lässt Beleidigungen oder abwertend gemeinte Sprüche aber nicht an sich heran. Er trägt gerne karierte Hosen, manchmal sind auch seine Outfits deutlich bunter als das, was gewöhnlich auf Sportplätzen zur Kleiderordnung gehört. „Das reicht oft schon, um aufzufallen“, weiß er. Verstecken möchte er sich nicht. Nicht als Schiedsrichter und erst recht nicht für seine sexuelle Orientierung.
Wer beleidigt, bedient für Kedzior oft Klischees
Der Hagener unterscheidet dabei zwischen Beleidigungen auf dem Sportplatz oder neben dem Sportplatz. Auf dem Feld habe er ja Mittel, Beleidigungen konsequent zu sanktionieren. „Ich fühle mich da aber auch oft nicht angegriffen, weil ich die meisten argumentativ schlagen würde“, sagt Merlin Kedzior. Neben dem Feld aber fehlt ihm der Hebel der Sanktionen. Oft seien die Menschen, die sich ihm gegenüber abfällig äußern würden, aber leicht zu identifizieren. „Das finde ich eigentlich lustig, weil es oft viele Klischees bedient. Ich denke mir dann meinen Teil, wenn einer meint, er müsse das machen, soll er das eben tun“, schildert der 29-Jährige seinen Umgang mit dem rauen und oft auch nicht fairen Ton auf den Sportplätzen.
Enorme Bandbreite
Angst begleitet jeden von uns – von Beginn unseres Lebens an bis zu seinem Ende. In unterschiedlicher Form, in unterschiedlicher Intensität – und geprägt durch sehr individuelle Perspektiven. Was dem einen Ängste bereitet, kann den anderen ganz kalt lassen.
In unserer Serie „Was uns Angst macht“ werden wir uns den gesamten November über mit dieser enormen Bandbreite des Themas beschäftigen. Ganz bewusst geht es dabei um sehr individuelle Ängste, etwa um Krankheiten und um deren Therapien. Aber genauso auch um die gesellschaftliche Angst in unsicheren Zeiten. Sowohl hier im Lokalteil Ihrer Zeitung als auch auf den Region-Seiten werden Sie, liebe Leserinnen und Leser, Geschichten zu diesem Thema lesen, in denen Menschen ihre Geschichte erzählen, die immer auch die Wege aus diesen Ängsten aufzeigen sollen.
Wer im Fußball Schiedsrichter sein will, der muss oft ein dickes Fell haben. Nicht jeder Unparteiische hat das. Manche seiner Kollegen, und das weiß Kedzior auch, nehmen sich die abwertenden Sprüche oft zu sehr zu Herzen, andere treten arrogant auf und verbessern hitzige Situationen dadurch nicht unbedingt. „Wer austeilen möchte“, findet Kedzior, „der muss auch einstecken können.“ Natürlich nur, bis das Ende eines erträglichen Rahmens erreicht ist. Und natürlich nie im wahrsten Sinne des Wortes. Körperliche Gewalt gegen Schiedsrichter sei eine Grenze, die nicht überschritten werden dürfe. Man müsse es aber als Schiedsrichter auch nicht drauf ankommen lassen.
Jugendfußball ist mitunter am anstrengendsten
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Es gibt aber auch Spiele, die sind anders als andere Spiele. Manchmal steckt sportliche Brisanz dahinter, manchmal das Aufeinandertreffen zweier Teams, die sich nicht besonders mögen – und es gibt Jugendspiele. Die sind vor allem für sehr junge Nachwuchsschiedsrichter oft schwerer zu leiten als ein Spiel in einer höheren Liga bei den Senioren. „Generell kann man schon sagen, dass es umso hitziger wird, je tiefer die Liga ist“, sagt Merlin Kedzior. Spiele im Jugendfußball aber bringen noch einmal einen anderen Aspekt mit ein: (über)engagierte Eltern.
Diese versuchen gerade bei jungen Schiedsrichtern, die oft nach ihrer Ausbildung erst einmal im Jugendfußball eingesetzt werden, Einfluss zu nehmen. „Das geht teilweise über das ganze Spiel so“, berichtet Kedzior. Wer das nicht aushält, hört oft schnell wieder auf mit der Pfeiferei. Eigentlich gäbe es in der jüngeren Vergangenheit nämlich wieder deutlich mehr Anwärter bei den Ausbildungslehrgängen, doch nur ein Bruchteil dieser Anwärter pfeift nach der bestandenen Prüfung auch mehrere Jahre – eben weil die ersten gemachten Erfahrungen so negativ sind.
Auf Fortbildungen werden Vorfälle diskutiert
Bei den monatlichen Fortbildungen sind die Situationen auf den Fußballplätzen auch immer wieder Thema. Die Schiedsrichter bekommen Handlungsanleitungen, wie sie sich idealerweise in schwierigen Situationen verhalten sollten. Es wird dargelegt, wann ein Spielabbruch tatsächlich eine Option ist und wann nicht. Und es wird geraten, sich in eskalierenden Situationen zwischen zwei Parteien nicht dazwischenzuwerfen. „Wenn sie sich hauen wollen, sollen sie sich hauen“, sagt Kedzior. Auf alle Situationen, gerade wenn Fußballern die Sicherungen durchbrennen, kann man sich aber nicht vorbereiten.
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Wie man sich dann zu verhalten hat, ist im Vorfeld schwierig zu definieren. Schiedsrichter darauf vorzubereiten, allein der Gedanke daran, dass es solche Maßnahmen geben sollte, steht Merlin Kedzior sehr kritisch gegenüber. „So etwas sollte nicht passieren, da müssen wir uns als Schiedsrichter nicht drauf vorbereiten.“ Die Lösungen für Übergriffe gegenüber anderen Spielern oder gar Schiedsrichtern sei ein Fall für die Vereine.
Situationen, die ihm Angst machen könnten, gehören nicht zum Fußball.