Ennepetal/Burgberg. Erstmals in seiner Karriere erlebt Andreas Sander eine Leistungskrise. Im Exklusiv-Gespräch spricht der Vize-Weltmeister über Olympia.

Für Andreas Sander gab es in der jüngeren Vergangenheit schon einmal bessere Tage. Jahrelang ging es für den Skirennfahrer aus Ennepetal nur in neue Sphären, seine Platzierungen in den Weltcups wurden immer besser und es schien spätestens nach der Vize-Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr in der Abfahrt von Cortina d’Ampezzo kein Limit zu geben. Eben an diesem Limit ist Sander in diesem Winter angekommen – es läuft einfach nicht so, wie der Wahl-Allgäuer gerne möchte. Aufgeben? Keine Option. Für die anstehenden Olympischen Spiele in Peking verfolg Sander wieder einmal ambitionierte Ziele. Denn beweisen muss Andreas Sander niemandem mehr etwas.

Schwierige Kleiderordnung für Olympische Spiele

Er wirkt deutlich lockerer als zuletzt, als wir Andreas Sander am Montag erreichen. Gerade eben hat er die Einkleidung des Olympia-Teams in München für die anstehende Reise ins Reich der Mitte hinter sich gebracht. „Das ist gar nicht einfach, sich zu merken, worauf wir bei den Spielen immer alles achten müssen“, sagt er. Dieser Anzug dort, keine Sponsoren wie sonst auf der Kleidung – die Olympischen Spiele sind auch in dieser Hinsicht etwas besonderes für einen erfahrenen Weltklasse-Sportler wie Andreas Sander. Doch nicht nur die spezielle Kluft für die Wettkämpfe unter den fünf Ringen sorgt bei dem 31-Jährigen für große Vorfreude.

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Dabei hatte er sich einen Tag vor dem Gespräch mit dieser Zeitung noch ganz anders vor den Fernsehkameras geäußert. „Mit den Leistungen, die ich zuletzt in der Abfahrt abgeliefert habe, könnte ich verstehen, wenn ich nicht für das Abfahrtsrennen in Peking aufgestellt werde“, sagte er. Einen Tag später bestätigt Sander seine Aussage, gibt sich aber bereits wieder deutlich selbstbewusster. „Ich möchte aber natürlich unbedingt an den Start gehen und ich glaube auch, dass ich gut genug dafür bin“, sagt er.

Ab geht es: Andreas Sander drückt sich kraftvoll aus dem Starthaus in Saalbach.
Ab geht es: Andreas Sander drückt sich kraftvoll aus dem Starthaus in Saalbach. © dpa

Sander ist selbstkritisch genug, um seine bisherigen Leistungen in diesem Winter einordnen zu können. Noch kein einziges Mal schaffte es der Ennepetaler in diesem Winter unter die besten Zehn bei einem Weltcup-Rennen. Nach einem 41. Platz beim Lauberhornrennen im schweizerischen Wengen nahm sich Sander eine Auszeit und verpasste auf eigenen Wunsch hin das zweite Rennen beim Klassiker. Auszeit, Luftholen. Abschalten und in sich gehen stand im Vordergrund. „Ich kenne mich und weiß, was ich kann“, sagt er.

Genau das möchte er auf den Pisten von Yanqing, 75 Kilometer nördlich von Peking entfernt, zeigen. Er wisse, wie schnell es gehen kann und er die Form, die ihn dort hingebracht hat, wo er heute ist, wiederfinden könnte. „Manchmal weiß man nicht, warum es nicht läuft, so wie jetzt. Genauso schnell kann es aber auch auf einmal wieder sehr gut laufen“, sagt Sander. Pessimismus und Resignation klingen anders.

In einem Rennen ist alles möglich

Olympia ist eine große Chance für den gebürtigen Ennepetaler, das weiß er auch selbst. In einem Rennen, so Sander, sei immer alles möglich. Das hat er bereits im vergangenen Winter bei den Weltmeisterschaften gelernt. Er wirkt mental gut vorbereitet auf ein weiteres Highlight in seiner Karriere. „Ich kann nur gewinnen, selbst wenn ich kein herausragendes Ergebnis liefere. Wenn ich nach den Spielen wieder in Form bin, ist das auch schon ein großer Erfolg für mich“, sagt er. Auch weil die Spiele eine Auszeit vom Weltcup sind. Bis zum Start am 6. Februar kann sich Sander voll und ganz auf sich konzentrieren, hat Zeit, um sich im Training wieder auf seine Stärken zu besinnen.

Wer Sander kennt, der weiß, dass er es damit ernst meint. Wer Sander kennt, weiß aber auch, dass er mehr will. Das er wieder an die starke Form aus den vergangenen Jahren anknüpfen möchte – und dass er im Idealfall mit Edelmetall auf die Heimreise unmittelbar nach dem Super-G am 8. Februar geht. „Ich fahre da nicht nur hin, um dabei zu sein“, sagt er.

Tägliche Corona-Kontrolle

Dafür ordnet Andreas Sander bereits seit Wochen schon alles andere dem großen Ziel unter. Seit elf Tagen muss er jeden Tag Bericht erstatten über seinen aktuellen Gesundheitszustand, muss sein Wohlbefinden protokollieren und sich um so banale Dinge wie eine Meldebestätigung seines Wohnorts Burgberg im Allgäu kümmern. Die notwendigen Corona-Tests gehören da schon fast zu einer Nebenbeschäftigung.

Denn kurz vor den Spielen kann sich Sander zwar vielleicht ein Form-Tief erlauben, eine Corona-Infektion würde aber das Olympia-Aus bedeuten – und genau das möchte er vermeiden. „Wir sind angehalten, unsere Kontakte komplett zu reduzieren“, sagt er. Die letzten 24 Stunden vor dem Abflug in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch verbringt der Familienvater mit seiner Frau Julia und seinen beiden Kindern.

Befreiung pur nach einem guten Ergebnis in Beaver Creek. Der Ennepetaler möchte sich bei den Spielen wieder in Form bringen.
Befreiung pur nach einem guten Ergebnis in Beaver Creek. Der Ennepetaler möchte sich bei den Spielen wieder in Form bringen. © dpa

Corona soll ihm bloß nicht in die Quere kommen. So wie dem gesamten deutschen Speed-Team, weshalb Sander und die anderen DSV-Fahrer in den ersten Tagen nach der Ankunft in Yanqing abseits der Pisten getrennt voneinander in Einzelzimmern untergebracht werden. „Das sind wir inzwischen gewohnt“, meint Sander. Spitzensport auf einem Niveau auszuüben wie es Andreas Sander macht, ist für die Sportler in diesen Tagen mit vielen Einschränkungen verbunden.

Den Geist der Spiele wird Sander deswegen wohl wieder nicht so atmen, wie er sich gerne wünscht. „2018 war das ja nicht anders, weil wir als Team weit abseits von den anderen Sportlern untergebracht waren“, sagt der Ennepetaler. Auf die Maßnahmen vor Ort könne er sich ohnehin nicht einstellen, da sich die Tag für Tag ändern würden und der Situation angepasst werden. So wie sich Sander auf die ungewohnte Abfahrt in China einstellen muss.

Fünf verschiedene Meinungen über Piste in Peking

„Die Pisten dort sind schon besonders, ich rede mir nach den bisherigen Eindrücken einfach ein, dass sie mir liegen werden“, hofft Sander. Besonders einstellen könne er sich auf die örtlichen Gegebenheiten ohnehin nicht. „Wenn man fünf verschiedene Menschen fragt, bekommt man fünf verschiedene Meinungen“, sagt der Olympionike.

Andreas Sander schaut nur auf sich selbst. Abschalten. Luft holen. Angreifen. Für bessere Tage sorgen.