Ennepetal. Der Ennepetaler Andreas Sander ist Vize-Weltmeister im Abfahrtslauf. Wie hat es der „Flachland-Tiroler“ an die Weltspitze geschafft?

Westfalen hat einen Vize-Weltmeister im Skilaufen. Die internationale Presse überschlägt sich mit Geschichten über den „Flachland-Tiroler“ Andreas Sander, der am Sonntag sensationell Zweiter im Herren-Abfahrtslauf wurde.

Auch wenn seine Heimat Ennepetal schon einmal ins Sauerland verlegt wird – wo auch sonst sollte es in NRW Skipisten geben? –, schwingt aus jedem Satz Respekt vor seiner Leistung mit. Alle gönnen es dem Athleten, der sich die Bodenständigkeit Westfalens erhalten hat.

Beim Abendessen auf die Silbermedaille angestoßen

Andreas Sander sitzt beim Anruf in einem Fahrzeug des Deutschen Skiverbandes auf der Rückfahrt aus Cortina d’Ampezzo. Dass er den größten Erfolg seiner Laufbahn so ausgiebig gefeiert hat, dass er am Tag danach die tiefen Ränder unter den Augen mit Hilfe einer Sonnenbrille verdecken müsste, ist in Corona-Zeiten eher unwahrscheinlich.

Der in Schwelm geborene und in Ennepetal-Rüggeberg aufgewachsene Sport-Soldat klingt quietschfidel: „Wir haben beim Abendessen auf die Silbermedaille angestoßen“, sagt Sander, „das Feiern wird nachgeholt, wenn es wieder möglich ist.“ Wird es auch in Ennepetal eine Feier geben? „Eine?“, fragt er und gibt sich selbst die Antwort: „Mehrere.“

Verbindung nach Ennepetal nie abgerissen

Nach der Siegerehrung in Cortina d'Ampezzo ließ sich Andreas Sander vom Betreuerteam des Deutschen Skiverbandes feiern.
Nach der Siegerehrung in Cortina d'Ampezzo ließ sich Andreas Sander vom Betreuerteam des Deutschen Skiverbandes feiern. © dpa | Michael Kappeler

Die Verbindung in den Ennepe-Ruhr-Kreis ist nie abgebrochen, auch wenn der 31-Jährige seit 16 Jahren in Bayern lebt. Er ist nach wie vor Mitglied der Skigemeinschaft (SG) Ennepetal, ab und an ist er bei den Eltern und den drei Geschwistern zu Besuch. Häufiger ist die Verwandtschaft bei ihm zu Gast.

Andreas „Andi“ Sander wohnt mit Ehefrau und zwei Kindern (2,5 Jahre und 15 Monate alt) in Burgberg im Allgäu, keine 20 Kilometer von Oberstdorf entfernt. „Meine Eltern und Geschwister verknüpfen gerne Besuche mit Reisen in die Berge. Und ich muss nicht, wo ich oft genug unterwegs bin, die langen Autofahrten nach Westfalen machen.“

Wenn der Vize-Weltmeister „G’fühl“ oder „G’schichten“ sagt, hört man heraus, dass er seit langem Wahl-Bayer ist. „Allerdings wissen die Allgäuer sofort, dass ich hier nicht aufgewachsen bin“, lächelt Sander und lüftet das Geheimnis, wie man es als „Flachland-Tiroler“ in die Weltspitze schafft: „Mit Talent, Glück und Förderung.“

Sander konnte als Junge nicht wie Gleichaltrige in Bayern nach der Schule auf die Piste gehen. Seine skibegeisterten Eltern Michael (63) und Ingeborg (61) fuhren ihn und seine Geschwister so oft es ging in die Alpen – an Wochenenden, in den Ferien.

Belegte Brötchen für die Belegschaft

„Wenn man mit 14, 15 Jahren noch den Anschluss hält“, sagt Sander, „kann man es durch optimale Förderung an die Spitze schaffen.“ Nachdem er 2004 Deutscher Schülermeister wurde, wechselte er vom Ennepetaler Reichenbach-Gymnasium an das Ski-Gymnasium Berchtesgaden, zwei Jahre später ging es nach Oberstdorf.

Ingeborg Sander kommt gerade aus dem Familienbetrieb – eine Firma für Präzisionsdruckguss. „Wir haben der Belegschaft einen ausgegeben“, sagt sie, „belegte Brötchen und Süßigkeiten.“ Seit dem Silberlauf sind 250 Glückwunsch-Whatsapps bei ihr eingegangen.

Aufregende Fernseh-Übertragung

Sie und ihr Mann konnten wegen der Pandemie nicht an der WM-Strecke sein. Die TV-Übertragung gestaltete sich höchst aufregend: „Wir haben es auf dem Sofa nicht mehr ausgehalten. Wir sind aufgestanden und haben Andreas ins Ziel geschrien.“

Nachdem der Sohn Silber geholt hatte, ging es in die Videokonferenz mit den anderen Kindern und Andreas‘ Ehefrau: „Wir haben mit einem Glas Sekt angestoßen.“ Erst am Abend hatte Ingeborg Sander ihren Sohn am Telefon. „Er war jetzt einfach dran“, sagt sie, „er kümmert sich immer um alle im Team. Jetzt musste er mal an sich denken.“

„Andreas fährt mit dem Kopf“

Abfahrtsläufern wird eine gute Portion Wildheit nachgesagt. „Früher bin ich mehr neben als auf der Piste Ski gefahren“, sagt Andreas Sander. Aber: „Man wird ja mit dem Alter ruhiger.“

Man benötige aber schon ein gewisses Draufgängertum, findet er, es gelte dennoch, kontrolliert zu fahren. Das unterstreicht seine Mutter: „Manche hauen sich den Hang runter und stellen das Denken ein. So ist Andreas nicht. Er fährt mit dem Kopf.“

Nicht zu viel Rummel um seine Person

Andreas Sander ist Vize-Weltmeister. Dass ihm der Erfolg zu Kopf steigen könnte, daran glaubt keiner, der ihn kennt. Peter Kornatz fotografiert im Ski-Zirkus und war auch in Cortina. „Der ist bodenständig und bescheiden, da müssen Sie sich keine Sorge machen.“

Auch der Gelobte will von zu viel Rummel um seine Person nichts wissen: „Ich werde mich nicht ändern, alles soll so bleiben, wie es ist.“ Und die Zukunft? „Ich will noch einige Jahre Rennen fahren.“ Und dann? „Ich lasse mich überraschen“, sagt Sander in westfälischer Gelassenheit, „ich werde Pläne schmieden, wenn es so weit ist.“

Mit zwei Jahren erstmals auf Skiern gestanden

Womöglich Skifahren mit den beiden Söhnen. WM-Teufelskerl Andreas Sander hat mit zwei Jahren erstmals auf Skiern gestanden – auf der Teufelswiese in Ennepetal. Sein zweieinhalb Jahre alter Sohn habe es kürzlich ausprobiert. „Von Skifahren konnte man noch nicht sprechen“, lacht Sander herzhaft. Aber wie man seit Sonntag weiß, können große Karrieren im zartesten Alter ihren Ursprung nehmen.