Garbeck. Tobias Midderhoff nimmt am North Cape 4000 teil und fährt von Italien zum Nordkapp. So erlebt der Extremsportler die Grenzerfahrung auf dem Bike.
4400 Kilometer und zehn Länder liegen zwischen ihm und dem Ziel seiner bisher größten Herausforderung. Tobias Midderhoff aus Garbeckschaffte, was für viele Sportler außerhalb des Möglichkeitsrahmens liegt. Mit dem Rad fuhr er in zwölf Tagen und elf Stunden von Turin über Paris bis zum Nordkapp. Der Langstreckenexperte gibt Einblicke über die Höhen und Tiefen seines Abenteuers und erklärt, wie man so eine sportliche Höchstleistung schaffen kann.
180 Kilometer pro Tag sind Pflicht
North Cape 4000 heißt das „unsupported Bikepacking Event“ von Süd- nach Nordeuropa. Der italienische Anbieter veranstaltete die Tour bereits zum sechsten Mal. „Letztes Jahr verlief die Strecke durch Deutschland mit einer Länge von 3800 Kilometern. Die diesjährige Strecke mit 4400 Kilometern war bisher die längste“, erklärt der Radsportprofi. Obwohl es sich dabei nicht um ein Rennen handelt, werden die Teilnehmenden durch GPS getrackt, damit die festgelegte Strecke nicht abgekürzt wird. „Man kann auch disqualifiziert werden, auch wenn es kein Rennen ist“, sagt Midderhoff.
Ganz ohne Unterstützung von außen – also „unsupported“ – stellen sich die Radfahrer der Herausforderung. „Es darf also beispielsweise niemand mit einem Wohnwagen hinter einem herfahren“, beschreibt er. Innerhalb eines bestimmten Zeitlimits müssen die Teilnehmenden das Ziel am Nordkapp erreichen, um in die Wertung aufgenommen zu werden. „Um das Zeitlimit zu schaffen, muss man 180 Kilometer am Tag fahren“, weiß Midderhoff. Sein eigenes Ziel vor Start war 300 Kilometer pro Tag zu fahren, sodass er nach ungefähr 14 Tagen die Ziellinie überquert. Das war allerdings schon nach zwölf Tagen und elf Stunden der Fall, womit Midderhoff seine Erwartungen weitaus übertraf.
Von Turin nach Frankreich
Am ersten Tag startete Midderhoff in Turin. Auf dem Großen Sankt Bernhard Pass in der Schweiz erreichte er gleich am ersten Tag mit 2473 Höhenmetern den höchsten Punkt der Strecke. Entlang des Genfer Sees fuhr er richtig Frankreich. „Durch drei Länder an einem Tag zu fahren und sich solche extremen Ziele herauszusuchen, ist meine Motivation“, berichtet er.
Bis nach Paris, was er am späten Abend des zweiten Tages erreichte, waren sowohl das Wetter als auch seine Fitness in bester Kondition. „Wir mussten kurz nach derTour de France, die dort geendet ist, über die Champs-Élysées fahren. An dem Kopfsteinpflaster habe ich mir dann den Reifen aufgeschlitzt“, berichtet der Radsportler. Diese erste Panne sollte ihm in den kommenden Stunden einige Kraft und Motivation rauben. So fuhr er bis zur belgischen Grenze mit einem selbsteingesetzten Flicken durch die Nacht, bis er das Reifenproblem am nächsten Tag beheben konnte. An der Fähre von Wischhafen nach Glückstadt über die Elbe besuchten ihn seine Schwester Nina mit Familie und Freunden aus Blintrop. „Die Kinder haben selbstgemalte Plakate hochgehalten, das war sehr schön“, freut er sich, da er daraus neue Motivation und Kraft schöpfen konnte. Nach genau einer Woche erreichte er die Hälfte der Strecke in Dänemark. Von dort fuhr er am siebten Tag mit der Fähre nach Oslo. Norwegen war bereits das achte von zehn Ländern, die er auf seiner Tour durchquerte.
Abenteuer fängt in Norwegen und Schweden erst so richtig an
„Mit Norwegen und Schweden fing das richtige Abenteuer für mich an. Ich bin schon mal an der Ostsee entlang nach Stockholm gefahren, aber in Norwegen war ich noch nie. Ich habe mich sehr auf die endlosen Wälder und die vielen Seen in Schweden gefreut“, erzählt Midderhoff. In Oslo startete er als Teil der zweiten Gruppe, die sich den symbolischen Stempel am Checkpoint in einer Touristenstation in Oslo abholten. Einen Tag zuvor erreichte die Spitze der Tour diesen Punkt. Der Vorsprung betrug also lediglich ein paar Stunden. Auch an Tag acht fuhr er, wie viele Nächte zuvor, durch die Abenddämmerung bis zum Morgengrauen ohne zu schlafen. Zwar hatte sich der Radsportler eine in Schweden übliche halboffene Holzhütte herausgesucht, um dort ein paar Stunden zu übernachten, da diese jedoch bereits belegt war, entscheid er sich weiterzufahren.
„In der Nacht war es ungefähr fünf Grad kalt. Mir wäre sowieso sofort kalt geworden, wenn ich mich hingelegt hätte, da mein Schlafsack nur sehr dünn war. Deswegen habe ich mich entschieden die Nacht durchzufahren“, erklärt er. Am nächsten Morgen, als er gegen fünf Uhr eine Schlafmöglichkeit fand und schon 390 Kilometer am Stück zurückgelegt hatte, pausierte er seine Dauerleistung für zwei Stunden, um zu schlafen.
Ohne Nahrung unterwegs
Der nächste Tag startete mit direkt mit einer Herausforderung. So gab es weit und breit keine Einkaufsmöglichkeiten. „Ich musste 80 Kilometer, bis auf ein paar Nüsse und eine halbe Flasche Wasser, ohne Nahrung weiterfahren“, erzählt Miederhoff. Nachdem dieses Problem gelöst war, wartete schon das nächste Hindernis auf ihn. Das Wetter wechselte sich mit hohen Temperaturen und Regen ab und als wäre das nicht genug, riss, bei einem Anstieg zu einem Skigebiet kurz vor Östersund in Schweden, ein Schaltzug. „Ich bin noch 60 Kilometer so weitergefahren, bis ich um 21 Uhr einen Schlafplatz fand“, erzählt er. Dort übernachtete er und tritt am nächsten Tag eine Strecke von 250 Kilometern ohne Einkaufsmöglichkeit an. „Es ist wichtig zu wissen, dass nichts mehr kommt, aber dann muss man die Nahrung für die ganze Strecke mitschleppen“, berichtet Midderhoff.
Am elften Tag überschritt er den Polarkreis in Jokkmokk in Nordschweden, von wo aus er über Norwegen nach Finnland fuhr. Zusammen mit vier anderen Teilnehmern, die er unterwegs immer wieder traf, fuhr er die Tage und Nächte bis kurz vor dem Nordkapp durch. „Es war quasi die ganze Nacht Sonnenuntergang und eine besondere Ruhe in der Nacht. Die Stimmung war herrlich“, beschreibt er eine Fahrt durch die skandinavischen Sommernächte. Bis auf eine 15-minütige Pause für die Augen fuhren er und seine Wegbegleiter ganze 30 Stunden durch.
Fahrt in die Hölle
Eins der letzten einschneidenden Erlebnisse war der sieben Kilometer lange Nordkapptunnel, der 200 Meter unter dem Meeresspiegel durch die Tiefe führt. „Das war sehr beängstigend. Es war als würde man in die Hölle fahren“, beschreibt der Radfahrer die tosenden Lautstärken der LKWs und Motorräder, die kilometerweit hörbar waren. Doch dann, nach dieser herausfordernden Erfahrung und einem letzten Anstieg erreichte Midderhoff, gemeinsam mit einem anderen Teilnehmer das Nordkapp. „Nur sieben Stunden nach den Siegern anzukommen, war überragend“, freut er sich. „Während des Rennens fragt man sich, was man da macht. Aber jetzt überlege ich schon, was ich als nächstes machen kann“, lacht der Radsportler.
Jetzt möchte er sich auf den Laufsport und das Mountainbiken konzentrieren, kann sich aber vorstellen, im nächsten Jahr an einer Tour mit einer Strecke von 1000 Kilometern teilzunehmen. „Es war eine Grenzerfahrung, aber das wird nicht das letzte Mal gewesen sein“.