Paris. Das Duell zwischen Vingegaard und Pogacar elektrisiert die Tour – und dürfte auch die kommenden Jahre in der Radsport-Szene prägen.

Es steckte auch ein wenig Kampfansage in den Worten von Tadej Pogacar: „Ich bin wieder ich selbst“, sagte der 24-Jährige, kurz nachdem er die weiße Linie auf dem Markstein überquert hatte.

Der Slowene hatte am vorletzten Tag dieser Tour seinen zweiten Etappensieg geholt. Am Klassement konnte er damit nicht viel ändern. Mehr als sieben Minuten liegen zwischen ihm und Jonas Vingegaard, dem Gewinner der Tour de France – das sind bei Spitzenfahrern Welten.

Chris Froome fährt in seinem besten Jahr 4:20 Minuten raus

Im letzten Jahr hatte der Däne keine drei Minuten Vorsprung. Pogacar selbst hatte bei seinen beiden Toursiegen ebenfalls wesentlich weniger Abstand auf die Verfolger.

Vierfach-Sieger Chris Froome konnte in seinem besten Jahr 2013 lediglich 4:20 Minuten auf Nairo Quintana herausfahren. Mit mehr als sieben Minuten Vorsprung hatte zuletzt der Italiener Vincenzo Nibali im Jahr 2014.

Bestes und spannendstes Duell der Tour

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Trotz des großen Abstands ging das aktuelle Duell als eines der besten und spannendsten der Tour überhaupt in die Annalen ein.

Selbst Eddy Merckx war überwältigt. „Das war ein fantastisches Rennen. Ich hätte es wirklich geliebt, bei dieser Tour mitzufahren“, sagte der fünfmalige Gesamtsieger.

Keine Vorsicht sondern elektrisierender Schlagabtausch

Für die Spannung sorgte vor allem Pogacar. In den ersten beiden Wochen griff er an, wo er nur konnte. Er machte aus einer Tour, die gewöhnlich von Vorsicht geprägt ist, einen regelrecht elektrisierenden Schlagabtausch. „Ich liebe Radrennen einfach, und wenn ich an den Start gehe, will auch gewinnen“, lautet sein forsches Credo.

In Vingegaard hatte er jedoch einen ausdauernden Gegner. Er ließ sich von Pogacars explosiven Antritten nicht aus der Ruhe bringen.

Tour wird "nicht nach Sekunden, sondern nach Minuten entschieden"

„Ich weiß, wir haben einen guten Plan. Und darauf vertraue ich“, sagte Vingegaard dieser Zeitung in der zweiten Woche. Als nur zehn Sekunden die beiden Rivalen trennten, betonte er: „Diese Tour wird nicht nach Sekunden, sondern nach Minuten entschieden.“

Pogacars Einbruch beim Zeitfahren und der totale Zusammenbruch des Slowenen am Tag danach gaben ihm recht. Der Plan seines Teams, den als Einzelkönner talentierteren Pogacar ans Limit zu bringen und schließlich zu brechen, hatte funktioniert.

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    Nur drei Wochen Training

    Ob dieser Plan in den nächsten Jahren ähnlich aufgehen kann, ist allerdings fraglich. „Tadej ist mit nur drei Wochen Training in diese Tour gekommen. Das reicht für eine einwöchige Rundfahrt, aber nicht für drei Wochen. Wir haben das auch gewusst und deshalb Adam Yates als Back-Up gehabt“, erläuterte UAE-Manager Mauro Gianetti dieser Zeitung.

    Gianetti gab freilich auch zu, dass er sich vom Elan seines Spitzenfahrers hinreißen ließ. „Die erste Woche hat in uns die Illusionen geweckt, dass wir doch mit Tadej um den Toursieg mitfahren können.“

    Duell Pogacar vs. Vingegaard

    Die Realitäten wischten die Illusionen hinweg. In naher Zukunft wird das Duell Pogacar vs. Vingegaard aber den Straßenradsport prägen. „Fahrer von der Qualität dieser beiden gibt es nur alle Jubeljahre. Und jetzt stecken zwei, die für die großen Rundfahrten derart talentiert sind, sogar in einer Generation“, schwärmte Grischa Niermann, sportlicher Leiter bei Jumbo-Visma.

    Er sieht die beiden auch weiterhin auf einem Level über der Konkurrenz, zumindest über der, die bei dieser Tour dabei war. „Wenn einer der beiden antritt, kommt der Rest nicht mehr mit. Da ist eine Lücke“, konstatierte Niermann gegenüber dieser Zeitung.

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    Nur ein Pogacar kann derzeit einen Vingegaard bei einer Grand Tour, einer großen Rundfahrt schlagen, und nur ein Vingegaard einen Pogacar.

    Erneuter Schlagabtausch im nächsten Jahr

    Für das nächste Jahr darf man sich auf einen erneuten Schlagabtausch der beiden bei der Tour freuen. „Ich bin froh, dass ich diese Tour noch mit meinem zweiten Etappensieg abschließen konnte“, sagte Pogacar Samstagabend. Er kündigte an, einem dritten Toursieg den Vorrang vor einer Teilnahme am Giro zu geben.

    „Ich werden den Giro sicher einmal in Angriff nehmen. Aber Giro und Tour im gleichen Jahr sind sehr schwer zu vereinbaren“, sagte er. Höhere Priorität hat für ihn, die Tour zu gewinnen, gegen den Rivalen, der ihm ebenbürtig ist.

    Hoch das Rad, Tour de France gewonnen: Jonas Vingegaard nach seinem Triumph in Paris.
    Hoch das Rad, Tour de France gewonnen: Jonas Vingegaard nach seinem Triumph in Paris. © afp

    Auch Vingegaard will gern seinen dritten Toursieg, ließ er durchblicken. Im Hause Jumbo-Visma gibt es allerdings noch einen Bewerber für das Gelbe Trikot: Primoz Roglic.

    „Natürlich hat auch er das Potenzial, um den Toursieg zu fahren. Das werden wir gemeinsam im Team mit den Fahrern besprechen, wenn wir die Strecke kennen“, sagte Artur van Dongen, sportlicher Leiter im Rennstall der beiden, dieser Zeitung.

    Nonplusultra des Straßenradsports

    Neben Roglic fährt auch der Belgier Remco Evenepoel auf einem Niveau, das dem von Pogacar und Vingegaard zumindest nahekommt. Dieses Quartett bei einer Grand Tour wäre das Nonplusultra des Straßenradsports.

    Evenepoel und Roglic, die beiden Absenten dieser Tour, treffen in ein paar Wochen bei der Vuelta aufeinander. Auch das verspricht ein heißes Duell.

    Spannung wie in den 1960er und 1970er-Jahren

    Der Radsport unserer Zeit ist auf einmal so spannend wie der in den 1960er- und 1970er-Jahren, als Größen wie Jacques Anquetil und Raymond Poulidor, später Poulidor und Eddy Merckx sowie Felice Gimondi, Joop Zoetemelk und Bernard Thevenet aufeinandertrafen.

    Oder wie in den 1980er-Jahren, die von Bernard Hinault, Laurent Fignon und Greg Lemond geprägt wurden. „Und immer wieder muss man damit rechnen, dass noch ein Junger dazukommt“, warnte Pogacar, der an diesem Sonntag das letzte Mal zum Tragen des weißen Trikots des besten Jungprofis berechtigt war.