Sauerland. Ein Vereinsname der über drei Zeilen geht? Acht Orte, die keine Mannschaft mehr stellen können? Das ist im Hochsauerlandkreis inzwischen Realität

Wenn Grenzen von Städten, Gemeinden, Landkreisen oder sogar Bundesländern überschritten werden müssen, damit Kinder und Jugendliche am Spielbetrieb im Fußball teilnehmen können, sagt das bereits eine ganze Menge über die aktuelle Situation aus. Dem Fußball im ländlichen Bereich laufen die Kinder weg. Damit die Kinder, die noch im Verein spielen möchten, überhaupt noch im Wettbewerb gegeneinander antreten können, gehen die Vereine ihre eigenen Wege - und gründen immer mehr Jugendspielgemeinschaften. Das sorgt mitunter für bizarre Namen, die sich kaum noch auf den Rücken eines Trikots drucken lassen können.

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Im Fußballkreis Hochsauerland gibt es im Jugendfußball immer weniger Mannschaftsmeldungen. Gegenüber der annullierten Corona-Saison sank die Zahl der gemeldeten Mannschaften von 197 auf 175. Das sind in nur einem Jahr 22 Mannschaften weniger. Eine Situation, die auch Kreisjugendobmann Manuel Torreiro bewusst ist. „Die Zahlen sinken in den letzten Jahren immer mehr. Zum einen gibt es immer weniger Kinder und zum anderen ist der Schwund an Mannschaften hauptsächlich auf Corona zurückzuführen.“

20 Teams weniger im Jahresvergleich

Aufgrund des immensen Schwunds an Spielern sprießen in den vergangenen Jahren auch immer neue Jugendspielgemeinschaften aus dem Boden, damit die Jugendlichen aus den kleinen Orten die Möglichkeit haben, weiter ihrem Hobby Fußball im Wettbewerb nachzugehen. Für die Saison 2021/22 sind 20 Jugendspielgemeinschaften gemeldet worden. Auffallend ist, dass sich immer mehr Orte zusammenschließen. „Früher war es so, dass eine Jugendspielgemeinschaft nur aus zwei Orten gebildet wurde. Heute schließen sich gleich drei bis fünf Orte oder noch mehr zusammen. Trotzdem werden Mannschaften vom Spielbetrieb noch zurückgezogen. Eine eventuelle Rückkehr zur Eigenständigkeit von Vereinen hat es in den letzten Jahren nicht gegeben und wird es auch in naher Zukunft nicht mehr geben. Ich befürchte immer noch mehr Jugendspielgemeinschaften“, so Manuel Torreiro.

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Ein Beispiel ist die JSG Assinghausen/Wiemeringhausen/Wulmeringhausen/Bruchhausen/Elleringhausen/FC Hilletal. Vereine aus Olsberg und Winterberg haben sich zusammengeschlossen, um den Spielbetrieb im Jugendbereich aufrechtzuerhalten. Dabei ist bereits der FC Hilletal ein Zusammenschluss aus den Winterberger Gemeinden Niedersfeld, Grönebach und Hildfeld, so dass bei den A-Junioren gleich acht Ortschaften eine Spielgemeinschaft bilden. Dennoch wurde die A-Jugend für die laufende Serie nicht mehr gemeldet. Heißt: Selbst aus acht Ortschaften gelingt es im ländlichen Bereich derzeit nicht, eine spielfähige Mannschaft auf den Platz zu bringen. Und so rücken Spieler, die eigentlich noch im Juniorenbereich spielen könnten, bereits sehr früh in die jeweiligen Seniorenteams.

Allheilmittel Jugendspielgemeinschaft

„In diesem Jahr ist es beim den älteren Jahrgängen ganz besonders schlimm. Wir haben keine A-, B- und D-Jugend mehr. Da fehlt der Unterbau immer mehr“, erzählt Hüseyin Durguter, Jugendleiter beim FC Assinghausen/Wiem./Wulm. „Wir haben vier A-Jugendliche, die in diesem Jahr beim TSV Bigge-Olsberg spielen.“ Es ist schwer vorstellbar, wo diese Entwicklung noch hinführen soll. Christof Grosser, Vorsitzender des FC Ass./Wie./Wu. sieht diesbezüglich schwarz. „Die Situation ist sehr schlecht. Wir werden mit Olsberg Gespräche aufnehmen müssen, ob eine Spielgemeinschaft nicht Sinn macht“, so Grosser.

Weite Wege: Die Orte der JSG SV Oberschledorn/Grafschaft/Hoppecke/Messinghausen/Bontkirchen/Upland.
Weite Wege: Die Orte der JSG SV Oberschledorn/Grafschaft/Hoppecke/Messinghausen/Bontkirchen/Upland. © WP | Wiebke Molzahn

Ein vergleichbares Beispiel ist der SV Oberschledorn/Grafschaft, der bei den A- und C-Junioren mit der SG Hoppecke/Messinghausen/Bontkirchen und sogar mit der JSG Upland aus Hessen kooperiert. Dort haben sich bereits vier Vereine zu einer Spielgemeinschaft zusammengefunden. Diese führt über die Grenze der Bundesländer Nordrhein/Westfalen und Hessen, was dazu führt, dass die A-Junioren in der hessischen Liga und die C-Junioren in der westfälischen Liga spielen. „Wir haben uns seit zwei Jahren nur prophylaktisch der Jugendspielgemeinschaft Upland angeschlossen“, erklärt Martin Gerbracht, Vorsitzender beim SV Oberschledorn/Grafschaft. „Wir haben bis zur D-Jugend alles in eigener Hand“, sagt er. Darüber hinaus versuche der Verein alles, um die jungen Fußballer nicht gänzlich zu verlieren.

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Für einige Vereine gibt es keinen anderen Weg mehr, als eine Jugendspielgemeinschaft zu bilden. „Das ist eine Win-win-Situation, da die Vereine in diesen Altersklassen keine eigene Mannschaft stellen konnten. Die Kooperation soll aber auch langfristig gelten. Wir wollen schließlich nicht jedes Jahr eine andere Jugendspielgemeinschaft bilden“, sagt Jugendleiter Jens Tillisch von der JSG SV Oberschledorn/Grafschaft/Hoppecke/Messinghausen/Bontkirchen/Upland.

Neue Spielgemeinschaften kommen

In Bestwig gibt es sogar die Gemeindeauswahl. Aus fünf Orten spielen von der D- bis zur A-Jugend die SG Ostwig/Nuttlar/Valmetal/Velmede-Bestwig um Meisterschaftspunkte. Von der G- und hin zur E-Jugend sind die jeweiligen Vereine immerhin noch eigenständig. Noch, denn: „Ich denke, dass der nächste Schritt der Zusammenschluss bei den G-, F- und E- Junioren kommen wird. Dass ein Verein wieder Eigenständigkeit erlangt, ist nicht in Sicht“, so Jugendleiter Michael Schmoranzer, der den Zusammenschluss als die richtige Maßnahme sieht.

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„Wir bewegen jede Woche etwa 250 Jugendliche, die bei uns Fußball spielen. Da sind viel Engagement und Begeisterung gefragt. Die A-, B- und C-Junioren laufen unter der Jugendspielgemeinschaft, ab der D-Jugend abwärts stellt jeder Verein eine eigene Mannschaft“, berichtet Guido Vollmer, Jugendleiter bei der JSG Fleckenberg/Grafschaft/Gleidorf/Holthausen/Lennetal/Obersorpe. Gleich sechs Ortschaften aus Schmallenberg haben sich 2019 in dieser Spielgemeinschaft zusammengetan, damit vor allem die Teams bei den älteren Jugendmannschaften besetzt sind. Einen einheitlichen kürzeren Namen gibt es nicht. Im DFB-net wird die Jugendspielgemeinschaft als FC Fleckenberg/Grafschaft geführt, da dort eine Nennung von mehr Ortsnamen nicht möglich ist.

Nicht nur ein Segen

Besonders stolz ist Vollmer, dass der Mädchenfußball bei der JSG nicht zu kurz kommt. „Wir stellen Teams bei den E-, C- und B-Juniorinnen. So etwas kann kein großer Verein wie zum Beispiel der SSV Meschede oder SV Brilon vorweisen.“

Weite Wege II: Die Ortschaften der JSG Ass./Wie./Wu./Bruch./Ell./Hill.
Weite Wege II: Die Ortschaften der JSG Ass./Wie./Wu./Bruch./Ell./Hill. © WP | Wiebke Molzahn

Doch ist nur die Corona-Pandemie der Grund für die massenhaften Zusammenschlüsse der Vereine? Guido Vollmer sieht auch auch andere Gründe. „Der demografische Wandel bereitet schon Kopfzerbrechen“, sagt er. Immer weniger Jugendliche bleiben nach dem Ende ihrer Schullaufbahn in den Dörfern, das macht sich auch bei den heimischen Vereinen bemerkbar.

Dass die Spielgemeinschaften im Jugendbereich nicht nur als Segen zu sehen sind, ist Guido Vollmer bewusst. „Der Koordinierungsaufwand wie die Spielverlegungen, die Fahrgemeinschaften oder die Platzreservierungen sind immens. Da kommt schon eine Menge Stress auf einen zu.“ Stress, der für viele Vereine unumgänglich geworden ist, wenn es mit dem Fußball auf dem Land weitergehen soll.