Kaiserslautern/Gelsenkirchen. Der FC Schalke 04 ist nach dem 1:4 in Kaiserslautern zurück im Abstiegskampf. Auch Trainer Karel Geraerts ist daran nicht unschuldig.
An Selbstkritik mangelt es Trainer Karel Geraerts vom FC Schalke 04 nicht. Nach dem peinlichen 1:4 (0:1) beim 1. FC Kaiserslautern, das die Königsblauen wieder tief in den Abstiegskampf der Zweiten Liga stürzte, sogar Existenzängste bei den Königsblauen auslöste, sagte er nachdenklich: „Kollektiv muss es besser sein. Wenn das Kollektive besser werden muss und die Mannschaft nicht bereit für das Spiel wirkte, ist das meine Verantwortung. Ich schaue selbst in den Spiegel, warum meine Mannschaft heute nicht bereit war, nicht präsent in diesem Spiel.“
Seit dreieinhalb Monaten ist Geraerts Schalke-Trainer, fühlt sich wohl im Klub, vermittelt glaubhaft, wie stolz er darauf ist, für den großen Verein zuständig zu sein. Für die falsche Zusammenstellung des Kaders kann er nichts, auch nicht für die finanzielle Krise, die einen großen Umbau im Winter nicht zulässt. Die Fans haben sich an den offenen Belgier gewöhnt. Doch seine Bilanz seit Amtsantritt ist unterdurchschnittlich (4 Siege, 1 Unentschieden, 6 Niederlagen, 19:23 Tore). Es gibt einige Kritikpunkte, weshalb auch Geraerts unter Druck gerät.
Schalke kassiert in elf Geraerts-Pflichtspielen 23 Gegentore
Keine konstant gute Formation gefunden: Geraerts lobte seine Mannschaft immer wieder dafür, sie habe unter Beweis gestellt, verschiedene Systeme spielen zu können - aber keins davon klappte konstant über mehr als drei Spiele hinaus. Geraerts setzte zu Beginn auf das von ihm bevorzugte 3-5-2-System - bis es schiefging. In Düsseldorf und zuvor beim 0:3 in Karlsruhe baute er während des Spiels auf ein 4-2-3-1 um. Einmal, beim 3:2 über Hannover, setzte er auf die 3-4-3-Taktik. Für die drei erfolgreichen Partien vor der Winterpause baute er ein 4-4-2 mit Raute im Mittelfeld - in der Rückrunde gab es damit zwei Niederlagen. Die nächste Änderung ist wahrscheinlich. Aus dem vorhandenen Personal, und aktuell sind fast alle fit, die richtige Strategie zu wählen, das ist Aufgabe des Trainers. Das gilt vor allem für die Defensive, die in der Zweiten Liga 41 Gegentore hinnehmen musste. Diese Abwehrlücken hat er bisher nicht geschlossen. Wer zudem auf große Stürmer wie Keke Topp und Simon Terodde im Zentrum setzt, muss schnelle Außenspieler einsetzen, die regelmäßig den Ball in den Strafraum bringen. Gelang nicht oft genug.
Zu viel Personal in der Startelf: Schon 23 verschiedenen Spielern gab er in seinen 11 Pflichtspielen eine Chance in der Anfangsformation - keiner stand in allen Partien in der Startelf, drei (Ralf Fährmann, Tomas Kalas, Marcin Kaminski) in zehn. Und dieses Trio ist umstritten, da es zuletzt nicht fehlerlos blieb. Die vielen Wechsel hatten nicht nur mit Verletzungen oder Sperren zu tun. Dass Geraerts kein Freund davon ist, die Defensive wieder umfangreich umzubauen, sagte er auf Nachfrage dieser Zeitung auf dem Betzenberg: „Ich habe im Vergleich zum Hamburg-Spiel zwei Positionen geändert, da war die Defensive auch stark kritisiert worden. Ich kann nicht jede Woche zwei Abwehrspieler austauschen, so funktioniert das nicht.“ Er verwies wieder auf das Kollektiv, das besser werden müsse. Aber die Spieler 24 und 25 in der Startelf deuten sich bereits an: Torwart Marius Müller könnte zurückkehren, ebenso Rückkehrer Darko Churlinov, einziger Lichtblick in Kaiserslautern.
Zu viele ganz schwache Spiele: Für den ersten Ausreißer nach unten konnte Geraerts nur bedingt etwas - beim 0:3 in Karlsruhe war er noch nicht so lange im Dienst, kannte seine Spieler nicht gut genug. Als Schalke aber gegen Elversberg verlor (1:2), in Düsseldorf (3:5) schnell mit 0:3 zurücklag und sich ohne Gegenwehr ergab, war er schon länger dabei. Das gilt erst recht für das 1:4 in Kaiserslautern, als er sogar eine drei Wochen lange Vorbereitung absolviert hatte. Wie erklärte Geraerts die Lautern-Blamage? „Ich kann nicht in jeden Kopf schauen. Gegen Hamburg hatten wir die Niederlage nicht verdient, haben nur einen kleinen Schlag bekommen. Heute wollten wir eine Reaktion zeigen, und das haben wir lediglich für zehn Minuten nach dem 1:1 gezeigt. Und im Rest des Spiels? Ja, wir hatten oft den Ball, haben oft von links nach rechts gespielt, aber wir müssen alle realisieren, dass keiner Erfolg hat, wenn man nur von links nach rechts spielt. Im Fußball gilt immer: Willen, Intensität, Leidenschaft, Zweikämpfe entscheiden. Gewinnst du die Zweikämpfe nicht, kann egal welcher Spieler auf dem Platz stehen, du wirst keine Spiele gewinnen, der Beweis war das heutige Spiel.“
Schalke fehlen die Führungsspieler
Mannschaftshierarchie: An der Hierarchie in einer nicht einfachen Kabine hat Geraerts bisher nicht gerüttelt, dass aber in Drucksituationen Führungsspieler fehlen, zeigte das 1:4 in Kaiserslautern einmal mehr. Kapitän Simon Terodde ist mit seiner eigenen Leistung beschäftigt. Dass er erst drei Tore erzielt hat, beschäftigt ihn sehr. Seinen Stammplatz hat er nicht sicher. Vertreter Marcin Kaminski ist ebenso umstritten, auf dem Platz und außerhalb kein Lautsprecher. Was auch für Paul Seguin gilt, der auf dem Platz Geraerts‘ offensiver Schlüsselspieler sein soll. Im Mannschaftsrat sitzen zudem Ralf Fährmann (umstritten) und Henning Matriciani (Ersatzspieler). Wer das Training beobachtet, kann leicht bemerken, dass es drei Spieler gibt, die vorangehen - und am ehesten laut werden, wenn es mal nicht so läuft: Dominick Drexler sowie die Torhüter Michael Langer und Marius Müller. Drexler und Langer sitzen auch im Mannschaftsrat. Langer ist nur der dritte Torwart, Drexler aber fit. Und Müller? Seine Rückkehr zwischen die Pfosten ist nicht unwahrscheinlich.
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Dass Geraerts sehr lernfähig und ihm eine Wende zuzutrauen ist, zeigen vier Punkte. Erstens: Schlimm ist es nicht, dass er auf dem Platz und in Pressekonferenzen nur Englisch spricht, doch das könnte sich bald ändern. Zweimal pro Woche nimmt der ehrgeizige 42-Jährige Deutsch-Unterricht, versteht schon so viel, dass er Fragen auf Deutsch locker beantworten kann. Da hat er sehr an sich gearbeitet, was im Umfeld wohlwollend registriert wird.
Zweitens: Auch sein Verhältnis zur Mannschaft ist besser geworden, nachdem es nach dem Düsseldorf-Spiel noch zu heißen Diskussionen gekommen war. Geraerts‘ Training wird von den Profis gut angenommen, im Trainingslager in Portugal gelang es dem Trainer, eine gute Mischung zwischen harten Einheiten und lockerer Atmosphäre zu schaffen. Dazu sagte er nun aber: „Ich habe allen, die in Portugal waren, auch den Reportern, gesagt: Es läuft zu gut. Und es ist nie gut, wenn es zu gut läuft, wenn die Atmosphäre gut ist, wenn wir gut spielen, wenn sich alle wohl fühlen. Die Wahrheit im Fußball ist immer das nächste Pflichtspiel. Und das war Hamburg, das war nicht gut. Nun Kaiserslautern, das war auch nicht gut.“ Doch wie gut das Verhältnis wirklich ist, dürfte sich bei der Kaiserslautern-Analyse zeigen. „Ich werde meine Analyse machen, werde meine Spieler auffordern, das auch für sich zu tun. Ich werde dann in den kommenden Tagen den Spielern erklären, was ich denke. Und sie können mir sagen, was sie denken“, sagte er.
Drittens: Geraerts hat realisiert, dass die Schalker Situation schwierig ist, was offensichtlich nicht auf alle Spieler zutrifft. „Wir sind nicht oben, wir sind unten. Nicht weiß, sondern schwarz. Wenn wir das nicht alle realisieren, haben wir Probleme. Ich realisiere das. Wenn wir wieder rauskommen wollen, müssen wir kämpfen. Wieder und wieder und wieder. Ich liebe schönen Fußball, aber nun müssen wir die Ärmel hochkrempeln. Ganz einfach“, sagte er.
Viertens, und das ist der wichtigste Grund: In St. Gilloise hat Geraerts bewiesen, dass er eine Mannschaft umbauen und zum Erfolg führen kann. Er ist ein sehr guter Fußballtrainer.
Schalke-Trainer Karel Geraerts braucht Ergebnisse
Er selbst wird vorangehen, keine Frage. Doch Ergebnisse sollte er dennoch schnell liefern. In den vergangenen fünf Jahren (seit dem 28. Januar 2019) hatte Schalke zehn Chef- und drei Interimstrainer. Sollte sich die Schalker Leistung nicht deutlich verbessern und die Tabellensituation immer prekärer werden, wäre ein weiterer Trainerwechsel nicht ausgeschlossen.
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