Dortmund. Hier spricht BVB-Verteidiger Nico Schlotterbeck über das Finale, die lautstarken Fans, harte Kritik und Zweifel mit Anfang 20. Ein Interview.
Nico Schlotterbeck, 24, erscheint pünktlich in dem kleinen Besprechungsraum im Trainingszentrum von Borussia Dortmund und erzählt, dass er selbst noch nie in der Dortmunder Innenstadt gewesen sei, seit er im Jahr 2022 ins Ruhrgebiet gezogen ist. Der Ansturm auf ihn wäre zu groß. Aber, der Verteidiger hat derzeit auch genug Fußball um die Ohren; bald beginnt die Heim-Europameisterschaft und davor möchte der BVB am Samstag (21 Uhr/ZDF und DAZN) im Londoner Wembley-Stadion gegen Real Madrid die Champions League gewinnen.
Ein Gespräch über das Finale, die lautstarken Dortmunder Fans, harte Kritik und Zweifel mit Anfang 20.
Die vermutlich aufregendste Woche Ihres Lebens beginnt. Wie gehen Sie damit um?
Bisher war es noch relativ entspannt, aber am Dienstag wird das Kribbeln beginnen. Freitag geht es nach London, dann steigt die Vorfreude sicher noch einmal. Und mal schauen, wie es sich am Samstag anfühlt. Ich habe noch kein Champions-League-Finale gespielt.
Was glauben Sie denn, was Sie erwartet?
Dass es riesig wird. Die ganze Welt schaut auf dieses Spiel. Ich bin gespannt, wie angespannt ich sein werde, wie angespannt die Mannschaft sein wird.
Ein Schritt fehlt der Elf noch bis zur Unsterblichkeit. Spüren Sie das?
Schon in der vergangenen Saison standen wir vor einem Titelgewinn, da hat es leider nicht geklappt. Vielleicht haben wir uns damals zu viele Gedanken gemacht. Wir wissen aber, was hier in der Stadt abgeht, wenn wir einen Titel holen, was dies den Leuten bedeutet. In der vergangenen Saison hatten wir gegen Mainz etwas zu verlieren, jetzt haben wir etwas zu gewinnen. Diese Chance müssen wir ergreifen.
BVB-Verteidiger Nico Schlotterbeck über die Stärken von Real Madrid
Löst der klangvolle Name Real Madrid in Ihnen etwas aus?
Ich wollte schon immer mal gegen Real spielen, für mich ist das der größte Klub der Welt. Wer da schon alles gespielt hat. Aber wir sollten keine Angst, keine Ehrfurcht haben. Es muss für uns ein ganz normales Spiel sein. Wir waren in dieser Saison in der Königsklasse sehr oft die Underdogs, das passt uns ganz gut.
Was kommt als Verteidiger auf einen zu, wenn man gegen Madrid Gegentore verhindern muss?
Einmal ist da Jude Bellingham, den kenne ich ja schon. Er spielt jetzt weiter vorne, verliert fast nie den Ball. In manchen Phasen spielen sie ohne Stürmer, sodass wir als Innenverteidiger keinen Gegenspieler haben. Das ist kompliziert. Und einen Spieler wie Vinicius Junior kann man nicht alleine verteidigen, da müssen wir uns helfen.
Es gibt viele Bilder, wie die Mannschaft nach dem Erfolg in Paris zu den Fans rennt, mit ihnen feiert. Was zieht die Elf daraus?
Das gibt uns Kraft. Es zeigt auch unsere Dankbarkeit gegenüber den Fans. Sie haben uns letzte Saison unterstützt, als wir gegen Mainz gescheitert sind. Sie haben uns dieses Jahr unterstützt, als es nicht so gut lief. Sie haben uns durch die Champions-League-Saison getragen. In London werden wieder sehr, sehr viele Schwarz-Gelbe auftauchen.
Nico Schlotterbeck: Ich habe mich beim BVB sofort wohlgefühlt
Sie scheinen sich sehr mit dem BVB zu identifizieren, in Paris standen sie mit einem Megafon inmitten der Fans.
Ich habe bislang nur in Vereinen gespielt, die Tradition haben. Und hier in Dortmund habe ich mich sofort wohlgefühlt. Ich bin mit 22 Jahren zum BVB gewechselt, das ist und bleibt ein Traum. In Paris hat mir Mouki (Youssoufa Moukoko, Anmerkung der Redaktion) das Mikrofon gegeben, da habe ich einfach übernommen. (lacht)
Julian Brandt meint, dass Sie in der kommenden Saison eine Führungspersönlichkeit werden. Stimmt das?
Leader entwickeln sich durch Spiele, und ich hatte sehr, sehr viel Spielzeit. Mein Wort in der Kabine ist größer geworden. Nächste Saison werde ich das dritte Jahr in Dortmund verteidigen. Da möchte ich Verantwortung übernehmen.
Als Marco Reus in seinem letzten Heimspiel getroffen hat, haben sie sogar mit den Fans „Reus“ gerufen. Wie kam das?
Ich bin in dem Moment auch nur ein Fan. Wenn dreimal sein Name gerufen wird, dann ist das Stadion unfassbar laut, ich hätte sogar gerne noch öfter seinen Namen geschrien. Ich habe so großen Respekt vor seiner Karriere und vor ihm als Menschen.
Bei Fans kommt auch gut an, dass sie das Europokallied beherrschen.
Wir haben es ja jetzt schon häufiger gehört. Am krassesten war es nach dem Tor zum 4:2 gegen Atlético Madrid. Zwei, drei Minuten später stand das ganze Stadion, alle haben das Europapokallied gesungen. Da wusste ich, dass wir das Spiel nicht mehr aus der Hand geben. Das Stadion hat uns zu sehr elektrisiert.
Martin Kree, BVB-Verteidiger bei der Sensation 1997, hat uns erzählt, dass er ein Finale gar nicht richtig genießen konnte aus Furcht vor einem Fehler. Geht Ihnen das auch so?
Bei einem Innenverteidiger und einem Torhüter kann ein Fehler reichen, dann ist man schnell der Depp. Aber generell kannst du ein Spiel selten genießen, weil du immer voll konzentriert sein musst. Trotzdem versuche ich auch immer Freude im Spiel zu entwickeln. Es hilft mir, gut zu starten, zunächst einfache Pässe zu spielen.
Haben Sie Glücksbringer?
Ich habe meine Rituale. Meine Eltern sind immer im Stadion, ich habe immer die gleichen Schuhe an, die Stutzen sind bei mir immer umgedreht. Zudem schaue ich mir den Gegner und die einzelnen Spieler an. Zum Beispiel: Welche Bewegungen macht ein Vinicius Junior? Meine Rituale geben mir ein gutes Gefühl.
Nico Schlotterbeck schwärmt von BVB-Kollege Mats Hummels
Sie treten auf der einen Seite sehr selbstbewusst auf, bei Ihnen klingen aber genauso nachdenkliche Töne durch. Wie gehen Sie mit Rückschlägen um?
Meine Woche hängt schon sehr vom Wochenende ab. Ich möchte immer überzeugen, aber manchmal habe ich einen schlechten Tag, wir verlieren. Nach jedem Spiel telefoniere ich mit meinem Bruder, wir tauschen uns aus. In Dortmund herrscht einfach ein anderer Druck, hier darf man nicht verlieren. Da musste ich mich zunächst dran gewöhnen.
Stört Sie, dass Sie in der Öffentlichkeit lange als fehleranfällig eingestuft wurden?
Nach der Weltmeisterschaft in Katar habe ich viel Kritik abbekommen. Ich konnte selber schon ganz gut einschätzen, dass ich dort nicht meine besten Leistungen gebracht habe. Und trotzdem habe mir diese extreme Kritik vielleicht zu sehr zu Herzen genommen. Mittlerweile beschäftige ich mich mit der öffentlichen Meinung nicht mehr so sehr, ich rede viel mit meiner Familie. Wertschätzung ist ein großes Wort. Mats Hummels hat einen tollen Satz geschrieben.
Er hat Sie bei Instagram gelobt und die fehlende Wertschätzung beklagt.
Das hat mich sehr gefreut. Ich probiere einfach jede Woche Top-Leistung zu bringen. Das gelingt mir inzwischen deutlich häufig als noch vor ein paar Monaten.
Wie haben Sie es geschafft, gemeinsam mit Mats Hummels so sicher in der Champions League zu verteidigen?
Mats hat schon alles erlebt, hat alles gewonnen bis auf die Champions League und den EM-Titel. Er gibt mir viel Sicherheit. Und die Champions League kommt uns gelegen. Hier stehen wir tiefer, kompakter. Mats vertraut mir, er hat ein starkes Aufbauspiel.
Hat er Ihnen schon verraten, ob er bleibt?
Nein. Und ich werde ihn da auch in Ruhe lassen. Ich werde ihn erst im Urlaub anrufen. Dann möchte er sich entscheiden. Ich hoffe, dass er bleibt.
+++ BVB-Elf im Vergleich zu Real - auf einer Position im Vorteil +++
Wie sind Ihre Berührungspunkte mit den Fans?
Im Stadion treffe ich auf sie, viele klopfen mir auf die Schulter, anstatt mir einen mitzugeben. Das hilft. Auf die Meinung bei Social Media kann man nämlich nicht viel geben, da tummeln sich viele, die nur hetzen wollen.
Sie selbst geben wenig Privates preis in den Sozialen Medien. Warum?
Es geht bei mir bei Instagram um Fußball, mein Privatleben schiebe ich beiseite. Das ist mir wichtig. Wenn ich auf dem Fußballplatz mal schlecht spiele, sagt das ja nichts über mich privat aus. Ich bin im Privaten ein komplett anderer Mensch als auf dem Platz.
BVB-Abwehrspieler Nico Schlotterbeck: „Ich möchte das Vertrauen zurückzahlen“
Als Sie noch in Berlin gespielt haben, plagte Sie eine schwerwiegende Muskelverletzung. Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich konnte drei oder vier Monate nicht mitmachen, war Anfang 20, davor lief es schon in Freiburg nicht so gut. Damals musste ich schon überlegen, wie es überhaupt weitergeht. Doch ich habe mich gesteigert, wurde nach meiner Rückkehr nach Freiburg gelöster, zuvor hatte ich mir zu viel Druck gemacht. Und dann ging es sehr schnell nach oben.
Auch in Dortmund gab es schwächere Phasen. Wie hilft Ihnen Trainer Edin Terzic?
Edin lässt mich fast immer spielen, er vertraut mir. Er stand unter Druck, wir standen unter Druck, jetzt haben wir uns als Gemeinschaft daraus gekämpft. Ich möchte das Vertrauen zurückzahlen.
Nach dieser aufregenden Woche geht es aufregend weiter. Es folgt für Sie die Heim-EM. Vorfreude?
Bislang habe mich mit der Nationalmannschaft noch gar nicht so sehr beschäftigt. Ich weiß, wann ich dort sein muss und freue mich natürlich riesig. Aber bislang liegt der Fokus komplett auf Borussia Dortmund. Wir haben ein riesiges Spiel vor uns und sind alle voll fokussiert darauf, in London etwas ganz Großes zu erreichen.