Dortmund. Der Mittelfeldspieler gehört zu den neuen Anführern bei Borussia Dortmund. Nun steht er wie viele andere vor seinem größten Spiel.
Julian Brandt hielt sich bedeckt, als er am Montagvormittag die Ankunftshalle des Dortmunder Flughafens betrat. Marco Reus ging voran, und wie immer, wenn er irgendwo in der Stadt auftaucht, riefen die Fans voller Verzückung seinen Namen. Kapitän Emre Can folgte ihm strammen Schrittes und mit leicht gesenkten Augenbrauen – so ernst blickend, als wolle er gleich zu einer Grätsche ansetzen.
Brandt kam in einem Pulk anderer BVB-Profis an, schnappte sich seine Bordkarte, die ihm Zugang zu Flug EW1909 verschaffte, und trug seine Sporttasche in Richtung Gate. Unscheinbar ist Julian Brandt.
BVB bei Paris Saint-Germain mit der Chance auf Wembley
Nicht so breitbrüstig wie Nico Schlotterbeck. Der Hüne in Dortmunds Innenverteidigung hatte auf das einheitlich elegante dunkelgraue Jackett verzichtet. Eine Baseball-Cap saß falschherum auf seinem Kopf. Ein bisschen rowdyhaft schien er, obwohl er brav in die Selfie-Kameras grinste.
Nicht so schillernd wie Karim Adeyemi, der als letzter Dortmunder den Sicherheitscheck passiert. Er musste noch auf seine Freundin, die Rapperin Loredana warten.
Die Mannschaft der so verschiedenen Charaktere eint an diesem Dienstagabend (21 Uhr/Prime) ein Ziel. Sie treten bei Paris Saint-Germain an und müssen einen 1:0-Vorsprung aus dem Hinspiel verteidigen, um ins Champions-League-Finale zu springen. „Wenn wir so kurz davor sind, dann wollen wir jetzt auch das große Ganze“, sagt Brandt dieser Redaktion. „Da spreche ich noch nicht vom Titel. Sondern wir wollen das Finale in Wembley miterleben. Dort ist dann alles möglich. Egal, wie der Gegner heißt. Egal, wer man selbst ist.“ Und Brandt ist dabei eine Schlüsselfigur.
BVB: Julian Brandt brauchte lange, um in Dortmund zu glänzen
Das war längst nicht immer so seit er im Sommer 2019 von Bayer Leverkusen ins Ruhrgebiet gewechselt ist. Die Erwartungen waren groß an den blonden Wirbelwind, doch so recht erfüllen konnte er sie nie. Da wollte man den in der vergangenen Woche 28 Jahre alt gewordenen Mittelfeldspieler so häufig packen und schütteln, damit endlich das Talent herauskommt, das in jeder Zelle seiner Füße schlummert. Auf engem Raum kann er Bälle durch die Beine seiner Gegenspieler führen. Mit einer Bewegung kann er einen Angriff einleiten und beschleunigen – wie es Marco Reus so lange getan hat.
Seit Edin Terzic den BVB trainiert, ruft Julian Brandt sein Leistungspotenzial endlich konstant ab. Reus geht dem Ende seiner Karriere zu, am Ende der Saison werden sich die Wege trennen. Eine Szene am vergangenen Samstag beim
5:1 gegen Augsburg
, Reus‘ vorletztem Heimspiel, hatte daher tiefe Bedeutung: Als bei dessen Auswechslung die Fans ihrem Helden Herzen zuwarfen, stand auch Brandt an der Seitenlinie und applaudierte, ehe er für Reus in die Partie kam. Die endgültige Wachablösung, die schon länger voranschreitet.
BVB: Julian Brandt spricht über die Führungsspieler
Am Dienstag geht Julian Brandt ins größte Spiel seiner Karriere, eine „Riesenerfahrung“ stehe ihm da bevor. Er ist nicht das einzige, aber eines der neuen BVB-Gesichter. „Ich bin kein Fan davon zu sagen, dass es eine einzige Person gibt, die eine Mannschaft anführt. Ich bezweifele, dass dies funktionieren kann. Es braucht mehrere Spieler, die vorangehen“, sagt er. Auch er zählt sich auf eine gewisse Weise dazu, auch wenn „ich nicht so lautstark auftrete, wie das ein Mats Hummels macht. Ich bin auch nicht derjenige, der durch seine Robustheit auffällt. Das Wichtigste ist meiner Meinung nach, dass man Leistung bringt, Bälle nicht verliert, immer anspielbar ist. Das gelingt mir in der Champions League diese Saison sehr gut.“
In gewisser Weise ist Brandt noch ein Unvollendeter, einer des hochtalentierten deutschen Fußball-Jahrgangs 1995/96, der im Erwachsenenbereich bisher zu häufig hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist – was freilich nie am gebürtigen Bremer allein gelegen hat. „Ich möchte etwas Großes mit diesem Klub gewinnen, das steht auf meiner Bucket List (Dinge, die man vor seinem Tod erreichen möchte; Anm. d. Red.)“, kündigt er an. „Ich habe bislang nur den Supercup hier gewonnen und den DFB-Pokal während Corona, also ohne Fans. Da fehlt noch etwas.“ Fast wäre es die Meisterschale geworden. Jetzt könnte es der Henkelpott werden.
BVB: Julian Brandt will „Menschen glücklich nach Hause schicken“
„Ich weiß gar nicht genau, was hier mehr Gewicht hätte“, gesteht Brandt. „Die Meisterschaft wäre auch ein dickes Ding gewesen, weil wir die Dominanz der Bayern gebrochen hätten. Grundsätzlich ist es einfach eine Genugtuung, die Menschen glücklich nach Hause zu schicken.“
Tief unter der Südtribüne sind die Champions-League-Helden von 1997 auf einem Graffiti verewigt. Irgendwann wird Marco Reus‘ Konterfei auf einen der wuchtigen Betonpfeiler gesprüht. Da ist sich auch Julian Brandt sicher. „Aber ich bin noch ein Stück weit davon entfernt“, findet er. Ganz zurückhaltend, ganz unscheinbar eben.