Hamburg. Nach 0:2-Pausenrückstand holte Schalke in Hamburg noch einen Punkt. Geht es nach oben oder ist die Ruhe trügerisch?
Kenan Karaman schäumte. Laut fluchend ging der Kapitän des FC Schalke 04 vom Platz, 0:2 lag sein Team zur Pause beim Hamburger SV zurück, eine klare Niederlage drohte. Kaum in der Kabine angekommen, erhob Karaman die Stimme. „Ob ich geschrien habe? Und wie! Es wurde laut in der Halbzeit. Von mir wurde es sogar sehr, sehr laut“, sagte Karaman mit heiserer Stimme. Seine Ansage half: Schalke holte im Zweitliga-Traditionsduell beim 2:2 (0:2) am Samstagabend noch einen Punkt, der ein paar Rätsel hinterließ: War es ein gewonnener Punkt oder hatte Schalke zwei verloren? Welches ist das wahre Gesicht der Königsblauen? Geht es nach dem dritten Spiel in Folge ohne Niederlage nach oben – oder ist das Tabellenbild trügerisch?
„Mein Gefühl ist, und das sage ich schon sehr lange, dass ich das Potenzial der Mannschaft sehe“, analysierte Schalkes Trainer Kees van Wonderen. „Ich sehe das, auch auf dem Trainingsplatz. Nur noch nicht über ein ganzes Spiel. Es muss Schritt für Schritt gehen. Wir haben nicht viel Zeit, aber die zweite Halbzeit kann uns Vertrauen geben.“
Schalke: Bittere Fehler von Heekeren und Schallenberg
Das Spiel in Hamburg bot vor 57.000 Zuschauern die ganze Bandbreite des Schalker Könnens – und Nicht-Könnens. In der ersten Halbzeit kassierte S04 innerhalb von einer Minute zwei aberwitzige Gegentore. In der 29. Minute ließ Torwart Justin Heekeren einen haltbaren Freistoß von Marco Richter passieren, weil er die Torwartecke verließ. „Ich darf da nicht spekulieren“, sagte er. Die Schalker führten den Anstoß aus, nur 18 Sekunden später landete der Ball im eigenen Strafraum bei Ron Schallenberg. Der spielte einen katastrophalen Querpass in den Lauf des Hamburger Stürmers Ransford Königsdörffer, der ohne Probleme das 2:0 erzielte. „In neun von zehn Fällen killt dieser Fehler das Spiel. Das ist meine Verantwortung“, sagte Schallenberg selbstkritisch.
Es war das Schalker Abstiegskampf-Gesicht. Schwach und harmlos in der Offensive. Eins, das Angst hinterließ für die schweren Aufgaben bis zur Winterpause – auf das Heimspiel gegen Kaiserslautern (Freitag, 18.30 Uhr/Sky) folgen drei Partien gegen die Hinrunden-Topteams Paderborn, Düsseldorf und Elversberg. Es war das Gesicht, das so sehr Karamans Zorn weckte, dass van Wonderen gar nicht viel sagen musste.
Schalke: Younes und Karaman treffen
Doch auch der so umstrittene und vielfach kritisierte Trainer zog seine Konsequenzen. Er veränderte taktische Nuancen – und machte Schalkes Spiel so besser, dass er seine Position noch einmal stärkte. Schalke ist noch zu sehr von Einzelspielern abhängig, zwei der besten – Amin Younes (57.) und Kenan Karaman (74.) – glichen aus. Aber die Defensive funktioniert besser, die Ergebnisse stimmen, in der Tabelle geht es in Mini-Schritten nach vorn. Und selbst bei den emotionalen Schalkern fängt niemand an zu träumen, neun Punkte Abstand zum dritten Platz wären ja noch locker aufzuholen. Bei nur zwei Punkten Rückstand ist der HSV sogar noch besser dran, doch die Leistung gegen die eigentlich verunsicherten Schalker war so schlecht, dass am Sonntag Trainer Steffen Baumgart rausgeworfen wurde. Punktverluste in einem Heimspiel gegen Schalke sind in der Zweiten Liga aktuell kein Erfolg mehr, sondern ein Makel.
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Das weiß auch Schalkes Stimme der Vernunft – und die ist Youri Mulder. Nach seinem ersten Spiel als Interims-Sportchef erledigte er geduldig einen TV-Interview-Marathon und zeigte, dass er für die Königsblauen aktuell genau die richtige Person ist, weil er die passenden Worte findet und ein Fußball-Fachmann ist. „Ich habe ganz ruhig auf der Tribüne gesessen, auch nach dem 0:2-Rückstand. Vor dem Fernseher habe ich es meist schwieriger. Da bin ich auf und ab gelaufen“, sagte Mulder mit einem Lächeln im Gesicht.
Mulder betonte noch einmal die Entwicklung, die er in den vergangenen Wochen auch durch van Wonderens detaillierte Arbeit sehen würde. „So ein Punkt kann etwas auslösen. Sehr wichtig für den restlichen Saisonverlauf ist nicht, wie aktuell die Tabelle aussieht, sondern die Spielweise, ob eine Verbesserung zu sehen ist. Und die war in der zweiten Halbzeit zu sehen.“ Van Wonderen ist dabei, eine Stammelf zu finden, bot zum zweiten Mal in Folge dieselbe Defensivformation auf. Vorn sind Younes, Karaman und Moussa Sylla (erzielte ein Abseitstor) gesetzt – dieses Trio gehört zu den besten in der Zweiten Liga.
Schalkes sportlicher Frieden hält mindestens noch eine weitere Woche – aber er bleibt wackelig. Eine schnelle Heimniederlage, und das mühsam mit viel Geduld aufgebaute Kartenhaus stürzt wieder zusammen. Denn Kenan Karaman kann nicht immer in der Kabine so brüllen, dass er seine Stimme verliert.
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