Bad Ragaz. Emre Can führt den BVB als Kapitän an. Hier spricht er über seine Ziele und die Kritik, die oft auf ihn einprasselt. Das Interview.

Emre Can ist und bleibt BVB-Kapitän. Im Interview erzählt er, wie er sein Training verändert hat, wie er die Mannschaft führen. Und der Nationalspieler verrät, was den neuen Trainer Nuri Sahin auszeichnet. Das Interview.

Herr Can, wann sind Sie das letzte Mal Achterbahnfahrt gefahren?

Emre Can: (überlegt lange) Das müsste vor zweieinhalb Jahren gewesen sein, als ich in Abu Dhabi in der schnellsten Achterbahn der Welt war. Ein richtiger Adrenalinkick. Ich mag die Geschwindigkeit. Nur wenn es sich zu schnell dreht, da bin ich raus.

Ich frage, weil wir dieses Bild der Achterbahn häufig bemüht haben, um Ihre Zeit bei Borussia Dortmund zu beschreiben. Eine mit Höhen und Tiefen, vielen Wendungen. Ist das treffend?

Wenn man sich die vergangene Saison anschaut, ist der Vergleich nicht völlig falsch. Ich bin zum Kapitän ernannt worden, was eine Riesenehre für mich ist. Zu Beginn der Saison lief es für mich persönlich einige Zeit lang nicht optimal. Ich finde aber, dass wir anschließend als Mannschaft eine gute Saison gespielt haben, an deren Ende wir im Champions-League-Finale standen. Dass ich zunächst nicht für die EM nominiert gewesen bin, war dann natürlich eine Enttäuschung, gerade, weil das Turnier im eigenen Land war. Und dann kam es doch anders.

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Sie wurden doch noch in den Kader berufen, weil Aleksandar Pavlovic erkrankt absagen musste.

Ich habe überhaupt nicht mehr damit gerechnet, als Julian Nagelsmann mich angerufen hat. Julian hat mich gefragt, ob ich Bock habe, dabei zu sein. Für mich war sofort klar, dass ich zusage. Dann ging es nach Herzogenaurach, am Donnerstag habe ich erstmals mit der Mannschaft trainiert und Freitag war schon das Eröffnungsspiel gegen Schottland. Ich hatte nicht erwartet, im Kader zu stehen, weil alles so schnell ging. Am Ende habe ich sogar ein Tor geschossen – eine super Geschichte, ich habe diese Momente sehr genossen.

Emre Can, BVB-Kapitän, und Christian Woop, Funke-Reporter. 

Foto: Dennis Ewert/RHR-FOTO
Emre Can, BVB-Kapitän, und Christian Woop, Funke-Reporter. Foto: Dennis Ewert/RHR-FOTO © FUNKE Foto Services | Dennis Ewert/RHR-FOTO

BVB-Kapitän Emre Can über die EM und seinen Urlaub

Wie kam es dazu, dass Sie im Viertelfinale gegen Spanien in der Startelf standen?

Ich denke, dass ich gut trainiert hatte und Julian gesehen hat, dass ich darauf brenne, spielen zu dürfen. Leider hat es für uns an dem Abend nicht zum Einzug ins Halbfinale gereicht.

Brauchten Sie Urlaub, um all das Revue passieren zu lassen? Oder wären Sie lieber gleich in die Vorbereitung eingestiegen?

Der Urlaub tat schon sehr gut. Denn die Enttäuschung war groß, wenn man sich die Art und Weise anschaut, wie wir ausgeschieden sind. Es ist kein schönes Gefühl, wenn man weiß, dass mehr gegangen wäre. Wir hatten mehr verdient. Aber das ist der Fußball. Die drei Wochen Pause haben auch gereicht, ich habe wieder richtig Bock und Lust, für den BVB aufzulaufen. Ich kann nicht erwarten, dass es losgeht und möchte mich natürlich auch für die Nationalmannschaft empfehlen.

Sie tragen weiterhin die Kapitänsbinde von Borussia Dortmund. Was bedeutet Ihnen das?

Es ist eine Riesenehre, weil ich genau weiß, welchen Stellenwert der BVB bei den Fans hat. Es ist ein Weltklub. Ich versuche, dem gerecht zu werden, in dem ich einfach so bin, wie mein Naturell ist. Ich versuche, meine Mitspieler mitzureißen, vor allem die jüngeren. Nicht nur auf, sondern auch abseits des Platzes.

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BVB: Emre Can schwärmt von Steven Gerrard

Mitreißen – wie muss man sich dies vorstellen? Ein Zeichen per Grätsche zu setzen?

Ich war schon immer ein Typ, der gerne mal dazwischenhaut (lächelt). Jeder hat seine Weise, wie er so eine Aufgabe ausübt. Möglicherweise komme ich auf dem Platz aggressiv rüber, aber eigentlich geht es mir immer nur darum, meine Mitspieler positiv zu bestärken – egal, in welcher Form.

Welche Kapitäne haben Sie beeinflusst?

Ich habe das Glück, sehr große Persönlichkeiten als Kapitän erlebt zu haben. Das war Philipp Lahm bei Bayern München oder Steven Gerrard beim FC Liverpool. Er hat nicht häufig das Wort ergriffen, aber wenn er es dann tat, hatte es Gewicht. Giorgio Chiellini war bei Juventus Turin war auch so. Spieler mit einem guten Charakter, die für jeden ein offenes Ohr haben. Du musst als Kapitän nicht immer sprechen, aber eben in den richtigen Momenten.

Sie haben vor einem halben Jahr gesagt, dass Sie mit der Binde um den Arm das Gefühl hatten, die Welt retten zu müssen. Sind Sie entspannter geworden?

Ja, man lernt dazu. Ich dachte damals, dass ich für alles verantwortlich bin, was in und um den Klub passiert. So ist es aber nicht. Ich trage zwar die Binde, aber nicht der einzige Kapitän dieser Mannschaft. Wir haben so viele Führungsspieler, wir können unseren Rollen nur im Verbund gerecht werden. Das versuchen wir in dieser Saison.

In Person von Marco Reus und Mats Hummels sind zwei Leader weggebrochen. Wie verschiebt sich die Hierarchie?

Mats und Marco sind zwei großartige Spieler und Charaktere, die unsere Mannschaft mitgeprägt haben. Jetzt müssen andere Spieler in diese Rollen hineinwachsen. Ich sehe in unserer Mannschaft aber einige, die bereit sind Verantwortung zu übernehmen und eine wichtige Rolle für uns als Team spielen werden – sowohl auf, als auch neben dem Platz.

Klare Vorstellungen: Emre Can beim BVB
Klare Vorstellungen: Emre Can beim BVB © FUNKE Foto Services | Dennis Ewert/RHR-FOTO

Emre Can erklärt, was von ihm beim BVB bleiben soll

Was soll von Ihnen mal bleiben beim BVB?

Jeder hat andere Typen Fußballer, die er gut findet. Mir ist es wichtig, dass die Leute mich hier als guten Typen in Erinnerung behalten. Wenn sich die Leute in zehn, 15 Jahren auch als guten Fußballer an mich erinnern und wertschätzen, dass ich für den Verein auf dem Platz alles gegeben habe, wäre das umso schöner. Dafür gebe ich jeden Tag mein Bestes.

Dennoch ist in den vergangenen Jahren viel Kritik auf Sie eingeprasselt. Wie nehmen Sie das wahr?

Ich komme damit gut klar. Als junger Spieler habe ich mir vieles zu nah an mich herangelassen. Inzwischen bin ich so lange im Geschäft, dass ich das gut einschätzen kann. Aber natürlich freut es einen mehr, wenn du positive Schlagzeilen liest als wenn du kritisiert wirst. 

Sind Sie ein nachdenklicher Mensch?

Ich denke sehr viel an Fußball. Nicht nur, wenn ich am Trainingsgelände bin, sondern auch, wenn ich zuhause bin. Und klar beschäftige ich auch mit Kritik, wenn ich weiß, dass sie berechtigt ist. Aber da höre ich eher auf die Leute, die mir nahestehen als auf Benotungen in der Öffentlichkeit. Davon lasse ich mich zum Beispiel nicht beeinflussen, sondern höre darauf, welchen Eindruck mein Trainer, meine Familie und meine Freunde haben.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie besonders kritisch gesehen werden?

Das weiß ich nicht. Zur Wahrheit gehört, dass ich mich eigentlich bei allen Vereinen, in denen ich war, durchgesetzt habe, unter vielen großen Trainern gespielt habe. Sie sehen, was ich im Training leiste, was ich im Gym mache. Ob ich von der Öffentlichkeit kritischer gesehen werde als andere Fußballer, das kann ich ja nur schwer beeinflussen. Für mich zählt es, dass ich meine Leistung abrufe und das liefere, was mein Trainer und meine Mitspieler von mir erwarten.

Hat sich das Verhältnis zu Ihrem Job verändert?

Ich liebe den Fußball wie an Tag eins und das wird sich nicht ändern. Ich bin jedoch nicht mehr so verkrampft. Natürlich gibt es besondere Spiele wie ein Champions-League-Finale, da ist die Anspannung natürlich etwas größer. Insgesamt aber bin ich gelassener geworden. Irgendwann realisierst du, dass die Zeit, die du im Profifußball hast, begrenzt ist, immer weniger wird. Man genießt jeden Moment dann umso mehr. Und wird professioneller.

Haben Sie ein Beispiel?

Früher hat mir die schnelle Dusche nach dem Training gereicht, heute weiß ich, dass ich lieber drei Minuten mehr im Eisbad investiere, um besser zu regenerieren. Die Ernährung wird strikter, kein Vergleich zu meiner Jugendzeit – das war eine Katastrophe (lacht).

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Emre Can über BVB-Zugang Groß: „Pascal ist ein super Spieler“

Sie haben viele große Trainer erlebt in Ihrer Karriere. Was erkennen Sie in Ihrem neuen Trainer Nuri Sahin davon wieder?

Jeder Trainer ist anders. Jupp Heynckes war ein Menschenfänger, Jürgen Klopp ein überragender Motivator, Massimiliano Allegri ein Taktikfuchs, der extrem hart trainieren lässt und für den Details sehr wichtig sind. Edin Terzic hatte ebenfalls eine super Ansprache. Bei Nuri erkenne ich viel wieder. Er fordert sehr viel von den Spielern. Nuri mag es nicht, wenn wir leichtfertigen Fußball spielen, es geht auch hier um Details. Wenn du einen Fehlpass spielst, kann es schon mal lauter werden, das hat man in den ersten Tagen in Bad Ragaz gemerkt. Aber genau das brauchen wir als Mannschaft. Der erste Eindruck ist sehr positiv, und ich habe auch nichts anderes erwartetet. Ein neuer Trainer, neue Spieler, alle wollen sich beweisen. Unser Spirit ist gut.

Wie sehen Sie ihre Rolle?

Ich will so viel wie möglich auf dem Platz stehen. Wir werden so viele Spieler haben, da wird jeder seine Einsatzzeit bekommen. Uns tut der Konkurrenzkampf gut.

Den befeuert Pascal Groß im zentralen Mittelfeld. Dass jemand für die Position geholt wird, auf der sonst der Kapitän spielt, ist nicht unbedingt ein Vertrauensbeweis, oder?

Das sehe ich nicht so. Pascal ist ein super Spieler, ich kenne ihn aus der Nationalmannschaft und habe in England gegen ihn gespielt. Fakt ist, dass es für Borussia Dortmund sehr gut ist, dass er nun für uns spielt, denn er bringt ein Profil mit, das es so im Kader bei uns noch nicht gibt

Können Sie ausschließen, den BVB zu verlassen?

Ich sehe gerade keinen Grund, warum ich den Verein wechseln sollte.

Was muss erreicht werden, damit Sie am Ende der Saison von einer erfolgreichen Saison sprechen können?

Am besten halten wir dann einen Titel in der Hand.