Hagen. Deutschland und Bosnien haben eine gemeinsame Geschichte. Auch der Fußball spielt eine entscheidende Rolle. Ein Besuch bei Bosna Hagen.
Eine halbe Stunde vor dem Spiel, das das wichtigste des Jahres werden könnte, schleppt Denni Burkic Trainerbänke. Feste Häuschen können nicht gebaut werden, weil die sechsspurige Tartanbahn den Platz umkreist. Auf dem Kunstrasen selbst natürlich auch nicht.
Denni Burkic, 25, trägt heute graue Sneaker statt Stollenschuhen. Beige Daunenjacke statt Trikot. Ihn wurmt das, aber es ist vernünftig. Einmal ist das Kreuzband im Knie schon gerissen gewesen, ein weiteres Mal angerissen. Aber heute Abend, da kitzelt es. Es seien doch genau solche Spiele der Grund, warum man mal Fußballer geworden ist.
Denni Burkic spricht vom Kreispokal-Achtelfinale. Der FC Bosna Hagen empfängt den SC Obersprockhövel. Kreisliga A gegen Westfalenliga, drei Klassen Unterschied. Ob es das Spiel der Saison sei, soll doch bitte noch mal im Mai gefragt werden, sagt der sportliche Leiter des Klubs, der gerade lieber als Sechser auf dem Kunstrasen kicken würde. Bosna Hagen peilt ja den Bezirksliga-Aufstieg an. Der Kreispokal ist ein Bonus.
Bosnien und Deutschland: Durch den Fußball eng verwoben
Die Geschichte, die nun folgt, spielt im südwestfälischen Hagen. Die Stadt mit 200.000 Einwohnerinnen und Einwohnern ist bekannt für die Fernuniversität. Dortmund liegt nur ein paar Auto-Minuten entfernt. Man könnte diese Geschichte genauso gut in Hamburg, Frankfurt oder München erzählen. Überall dort, wo Leute mit bosnischen Wurzeln leben. Sie handelt von Gesellschaft und Integration, Krieg und Frieden. Und Fußball.
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Bosnien und Deutschland sind historisch eng miteinander verwoben. Am 12. Oktober 1968 unterschrieb die Bundesrepublik das Anwerbe-Abkommen mit Jugoslawien. Die ersten Gastarbeiter kamen nach Deutschland. Im Zuge des Balkankriegs in den 1990er-Jahren versuchten viele, bei ihren Verwandten im sicheren Deutschland unterzukommen. Heute leben knapp 230.000 Menschen bosnischer Herkunft zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen, Aachen und Dresden. Die talentiertesten Fußballer unter ihnen schafften es in die bosnische Nationalelf: erst der heutige Nationaltrainer Sergej Barbarez oder Zlatan Bajramovic, dann Vedad Ibisevic oder Zvjejdan Misimovic, nun unter anderem Ermedin Demirovic vom VfB Stuttgart. Auf ihn werden alle Bosnier am Samstag (20.45 Uhr/RTL) im Nations-League-Spiel zwischen Deutschland und Bosnien in Freiburg schauen. Erst recht, nachdem der erste Vergleich vor gut einem Monat knapp mit 1:2 verloren gegangen war.
Auch Denni Burkic fiebert dem Wiedersehen der beiden Nationalteams entgegen. Während Bosna eine gute erste Halbzeit spielt und kaum Chancen des Favoriten zulässt, erzählt der 25-Jährige, der vor Kurzem sein Wirtschaftsstudium abgeschlossen hat, von seinem Verein. Gegründet wurde er im Jahr 1994, da war Bosniens Hauptstadt Sarajevo gerade zwei Jahre belagert – zwei weitere Kriegsjahre sollten folgen. 11.000 Menschen verloren ihr Leben. Der Verein wollte helfen, Brücken zwischen Kulturen zu bauen. Er war auch ein Anlaufbecken für alle, die aus Bosnien geflüchtet waren und Orientierung in der neuen Heimat suchten. Inzwischen spielen nicht nur Bosnier, sondern auch Deutsche, Marokkaner, Serben und Kosovo-Albaner für den Klub. 30 Jahre gibt es ihn schon, er arbeitet eng zusammen mit bosnischen Folklore-Vereinen. Es gibt an diesem Dienstagabend Tee und Kaffee.
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Der Grill, auf dem sonst Cevapcici brutzeln, ist aus. Schade. Man müsse am Wochenende wiederkommen, dann seien im Sommer schon mal bis zu 200, 300 Zuschauerinnen und Zuschauer hier, meint Denni Burkic. Das Kreispokalspiel sehen immerhin 100. Nicht schlecht für einen usseligen November-Abend. Es gibt viele Hände zu schütteln, ein Zeichen des Respekts. Gefühlt kennen sich alle. Oder? „Wer der junge Mann war, der uns gerade begrüßt hat? Keine Ahnung“, sagt Denni Burkic und lacht.
Bosna Hagen: Ein Anlaufbecken für Leute, die vom Krieg flohen
Beim Halbzeit-Pfiff klatscht er laut in die Hände. Bosna hält das 0:0 gegen den Favoriten, was Amir Huzejrovic sehr freut. Der Mann ist ein Klubidol. Mehr als 800 Tore soll er für den Verein, dessen Vorsitzender er ist, geschossen haben. Andere sagen, es seien fast 900. „Die zählen das Training mit“, glaubt er.
Amir Huzejrovic, 49, trägt eine schwarze Jacke und Mütze. Er hat einen Händedruck wie ein professioneller Knochenbrecher, wenn er seine Pranken nicht in den Taschen vor der Kälte versteckt. Huzejrovic sagt an diesem Abend aber noch folgenden Satz: „Wenn du zu weit in die Vergangenheit schaust, kriegst du Depressionen. Wenn du zu weit in die Zukunft schaust, dann Ängste. Daher soll man im Moment leben.“ Er lese gerne, sagt Amir Huzejrovic.
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Die Geschichte von Bosna Hagen ist nicht zu erzählen, ohne über den längsten Krieg in Europa nach 1945 zu schreiben. Als er nach Deutschland kam, war Amir Huzejrovic 19 Jahre alt. Was aber kaum jemand wissen durfte, schon gar nicht die Grenzbeamten in Bosnien. Er hätte nicht ausreisen dürfen, sondern mit der Waffe kämpfen müssen, wenn er nicht seine Papiere gefälscht hätte. So galt er als 17, durfte raus aus dem Land, in dem Granaten fielen. Der Amtsarzt in Deutschland bescheinigte ihm schließlich wieder sein korrektes Alter, auch um bei den Herren von Bosna Hagen spielen zu können. „Der Krieg begleitet einen immer“, sagt Amir Huzejrovic, aber der Fußball habe ihm geholfen, ihn zumindest zu verdrängen.
Bosna Hagen gegen SC Obersprockhövel: Die Überraschung bleibt aus
Klagen will er nicht. Es habe Leute gegeben, die weitaus mehr leiden müssen als er selbst. Zum Beispiel in Sarajevo, der Hauptstadt, in der zwischen sozialistischem Plattenbau und Habsburger Architektur Spuren des Krieges noch heute sichtbar sind. Fassaden sind gezeichnet von Munition, Museen und Denkmäler erinnern an Grausames. Von den Bergen, die nun so friedlich wirken, tyrannisierte die serbische Armee die bosnische Bevölkerung. Und dann ist da noch Srebrenica. Der Ort, an dem 1995 mit dem Völkermord eines der größten Verbrechen der Neuzeit stattfand. Die neue Generation, zu der Denni Burkic zählt, kennt das alles nur aus Erzählungen.
Auf dem Kunstrasen geht es im kalten November nun heiß her. Bosna Hagen schafft in der 53. Minute die Führung, Obersprockhövel gleicht fünf Minuten später aus. In der Nachspielzeit fällt das 1:2, die Überraschung bleibt aus.
Kurz bevor das Flutlicht abgestellt wird, stehen Amir Huzejrovic und Trainer Amir Smajic auf der Tribüne. Es muss noch eine Frage geklärt werden. „Wenn Bosnien gegen Deutschland verliert am Samstag, tut mir das nicht weh“, sagt Amir Smajic, der Trainer. Längst hat er zwei Heimaten. „Wir sind nicht mehr die Gastarbeiter wie unsere Eltern“, betont Amir Huzejrovic, der Präsident. „Wir leben hier.“ Er ist stolz darauf, ohne Mittel in Deutschland die Sprache gelernt zu haben, den Kindern ein Studium oder eine gute berufliche Ausbildung ermöglicht zu haben, obwohl die Bürokratie vieles erschwerte.
Eines betont Amir Huzejrovic an diesem Abend häufiger. „Nationalismus und Politiker, die spalten wollen, sind das Problem, nicht die Menschen“, sagt er. Er hofft, dass viele gut ausgebildete junge Leute irgendwann nach Bosnien zurückkehren, um das Land von Korruption zu befreien. „Wenn ich Geld hätte, würde ich es nur in Bildung investieren. Dann wirst du keine Probleme mehr haben.“