Gelsenkirchen. Schachtar Donezk spielt in der Champions League auf Schalke. Sportdirektor Srna erklärt die Gründe dafür – und die Folgen des Kriegs.

Das Bild ist so klar wie die Botschaft: Ein Herz in den Landesfarben der Ukraine, das ist das WhatsApp-Bild von Darijo Srna. Der 42-Jährige stammt zwar aus Kroatien, seit 2003 aber lebt und arbeitet er fast durchgehend in der Ukraine, erst als Spieler und inzwischen als Sportdirektor des Spitzenklubs Schachtar Donezk. Der verlor wie so viele Menschen seine Heimat, als 2014 der Krieg im Donbass im Osten des Landes ausbrach. Und der russische Angriff vor über zwei Jahren hat auch für Schachtar die Situation noch einmal verschärft: Unter anderem dürfen die Heimspiele in der Champions League nun nicht mehr in der Ukraine ausgetragen werden, weshalb der Klub zunächst in Warschau und Hamburg spielte – und nun in Gelsenkirchen. Srna erklärt im Interview, wie es dazu kam, wie der Krieg den Klub belastet, warum er sich vom Fußballweltverband Fifa im Stich gelassen fühlt – und was Schachtar mit Schalke verbindet.

Herr Srna, am Mittwoch tragen Sie ein sogenanntes Heimspiel in der Champions League in Gelsenkirchen aus, am Samstag erst hatten Sie in der Liga offiziell ein Heimspiel in Lwiw, ebenfalls fernab der Heimatstadt Donezk. Haben Sie sich an dieses Leben bereits gewöhnt?

Wir werden uns nie an ein Leben außerhalb von Donezk gewöhnen. Das ist unsere Heimatstadt, anderswo sind wir einfach nicht zu Hause. Es fühlt sich eher so an, als seien wir seit zehn Jahren im Trainingslager. Aber wir sind Fußballprofis, wir wissen, was wir zu tun haben. Unsere Mission ist es, die Schachtar-Fans und alle Ukrainer glücklich zu machen. Denn wir spielen aktuell nicht nur für Fußballfans, wir spielen für die gesamte Ukraine – das ist wichtig in diesen schwierigen Zeiten des Kriegs.

Die aktuellen Nachrichten aus dem Donbass klingen nicht gut für die ukrainische Armee. Wie nehmen Sie das auf?

Ich bin kein Politiker, ich bin nur Fußballer, daher bewerte ich das nicht – es ändert sich ja auch alles immer wieder sehr schnell. Ich kann aber sagen, dass wir unendlich stolz sind auf die ukrainische Armee, denn ohne sie hätten wir heute keine Ukraine mehr – und wir würden nicht mehr Fußball spielen. Für mich ist die Ukraine heute schon Sieger. Weil es eigentlich unmöglich ist, sich gegen ein Land wie Russland mit 150 Millionen Einwohnern zu verteidigen. Aber die Herzen der Ukrainer sind so viel stärker, sie haben gezeigt, wie sehr sie ihr Land lieben und wie sehr sie bereit sind, es zu verteidigen. Wir hoffen einfach nur, dass der Krieg so schnell wie möglich endet, das ist das Wichtigste.

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    Sie haben gesagt: Wir sind Fußballprofis – aber auch für Profis können sich ja nicht freimachen von den Ereignissen in der Heimat.

    Natürlich. Aktuell sind sie immer mit einem Auge bei der Vorbereitung des Spiels gegen die Young Boys und mit dem anderen verfolgen sie, was in diesem Krieg passiert. Viele von ihnen haben Familie und Freunde, die im Krieg kämpfen oder anderweitig betroffen sind. Natürlich ist das sehr belastend. Aber wenn wir Fußball spielen, ist es unsere Pflicht, die Armee und die Menschen in der Ukraine stolz zu machen und ihnen positive Gefühle zu geben. Dann wollen wir den Krieg für 90 Minuten vergessen.

    Wie kann man den Spielern dabei helfen?

    An vielen Tagen bin ich gleichzeitig Mutter, Vater, Schwester und Bruder. Wir reden viel miteinander, wir sind füreinander da. Wir sind inzwischen mehr als ein Fußballteam, wir sind eine Familie.

    An einem Fußballklub hängen ja viel mehr als nur die Spieler: Es gibt die vielen Angestellten drumherum, es gibt ein Nachwuchsleistungszentrum – all das musste umziehen, all das muss am Laufen gehalten werden. Wie schaffen Sie das?

    Indem wir eben wie eine große Familie sind. Das beginnt bei unserem Präsidenten und Eigentümer Rinat Achmetow, der Fußball liebt und lebt, der außerdem die ukrainische Armee mit viel Geld unterstützt. Dann ist da unser Geschäftsführer Sergiy Palkin, der sich um alles kümmert, was wir brauchen. Ich bin überzeugt, dass wir die schlimmste Zeit hinter uns haben, dass wir die schwierigste Zeit überlebt haben. Wir haben, weil uns die Fifa im Stich gelassen hat, ein gutes Dutzend Spieler verloren. Aber wir sind noch immer am Leben, wir sind stark. Es ist nicht einfach, fast jede Nacht hören wir Sirenen, Raketen, Drohnen. Aber das ist im Moment eben unser Leben, das können wir nicht ändern.

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      Wie kommen Sie mit der ständigen Bedrohung zurecht?

      Daran gewöhnt man sich tatsächlich, der Mensch kann sich ja fast an alles gewöhnen. Wissen Sie, für mich ist es schon der dritte Krieg, den ich erlebe: erst in den Neunzigerjahren in Kroatien, dann 2014 in Donezk und eben jetzt. Irgendwie gewöhnen wir uns also daran und wir müssen uns auch darauf vorbereiten, dass wir vielleicht nie wieder in Donezk spielen. Aber natürlich bleibt es unser Traum, irgendwann zurückzukehren.

      Erst einmal aber müssen sie Ihre Champions-League-Spiele nun im Ausland austragen, erst in Warschau, dann in Hamburg und jetzt in Gelsenkirchen. Wie kam es dazu?

      Wir haben uns aus mehreren Gründen für Schalke entschieden: Erstens hat Deutschland sehr viele ukrainische Flüchtlinge aufgenommen, aber auch in Belgien und den Niederlanden leben sehr viele Ukrainer, denen wir so die Chance geben, unsere Spiele zu sehen. Zweitens gibt es gewisse Parallelen zwischen den Klubs, auch wir sind aus einer Bergarbeiterregion. Außerdem ist die Arena eines meiner Lieblingsstadien in Europa. Und ein wenig bin ich auch Schalke-Fan.

      Tatsächlich?

      Ja, ich habe als Spieler mehrfach im Europapokal gegen sie gespielt, das waren beeindruckende Erlebnisse. Ich erinnere mich noch gut an Spieler wie Mladen Kristajic auf der anderen Seite. Ich hoffe sehr, dass dieser tolle Klub bald wieder Bundesliga und auch Europapokal spielt.

      So war es 2016: Darijo Srna (links) im Champions-League-Spiel auf Schalke im Zweikampf mit Alessandro Schöpf.
      So war es 2016: Darijo Srna (links) im Champions-League-Spiel auf Schalke im Zweikampf mit Alessandro Schöpf. © dpa | Maja Hitij

      Dann bräuchten Sie aber ein anderes Stadion.

      Stimmt. Wir sind sehr glücklich, dort spielen zu dürfen. Und ich weiß, dass man sich als Fußballfan schwertut, eine andere Mannschaft zu unterstützen, aber ich möchte alle Fußballfans einladen: Kommt zu unseren Spielen und unterstützt nicht nur uns, unterstützt damit die ganze Ukraine.

      Sie hatten schon ein Spiel ein Gelsenkirchen gegen Atalanta Bergamo…

      …das wir leider 0:3 verloren haben, weshalb das Spiel jetzt sehr wichtig wird. Aber alles drumherum war fantastisch. Weshalb ich noch einmal aus vollem Herzen danke sagen möchte an alle Menschen in Deutschland und speziell an Hamburg und an Gelsenkirchen. Danke, dass ihr die Ukraine so unterstützt. Und wissen Sie, was auch großartig war?

      Was?

      Wir hatten über 21.000 Zuschauer. In Lwiw in der Ukraine sind es maximal 3.000, meist deutlich weniger. Ich konnte an den Gesichtern meiner Spieler erkennen, wie sehr sie das genossen haben. Leider haben wir gegen Atalanta versagt, aber ich kann jedem versprechen, dass wir bis zum Ende kämpfen – wie die Ukraine gegen Russland.

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      Wie schaffen Sie es eigentlich, als Klub nicht nur zu überleben, sondern auch weiter Titel zu sammeln? Sie sind amtierender Doublesieger.

      Weil wir auf Titel gepolt sind, das ist in der DNA unseres Klubs. Wir müssen immer ganz oben stehen, das erwarten die Fans und das erwartet unser Präsident.

      Sie haben vorhin schon den Weltverband Fifa kritisiert. Die hat es nach Kriegsausbruch ermöglicht, dass viele Spieler bei ukrainischen Klubs diese verlassen konnten, ohne dass eine Ablöse floss.

      Die Fifa hat uns im Stich gelassen und wir haben wegen dieser Entscheidung viel Geld verloren. Geld, das uns zusteht, wir wollen nichts geschenkt haben. Aber es kann doch nicht sein, dass wir heute noch Raten für die Ablöse von Spielern zahlen, die wir vor dem Krieg gekauft haben, und die schon nicht mehr bei uns sind, weil sie uns ohne Gegenleistung verlassen durften.

      So war die Premiere: Schachtar-Fans feiern den Spieler Dmytro Kryskiv nach dem Champions-League-Spiel gegen Atalanta Bergamo auf Schalke.
      So war die Premiere: Schachtar-Fans feiern den Spieler Dmytro Kryskiv nach dem Champions-League-Spiel gegen Atalanta Bergamo auf Schalke. © firo Sportphoto/dppi | Alessio Marini

      Wie haben sie dagegen die Reaktionen im europäischen Fußball erlebt?

      Präsident Aleksander Ceferin hat uns vom ersten Tag geholfen, er ist eine beeindruckende Person mit einem großen Herzen. Und viele Klubs waren sehr hilfsbereit. Mein früherer Klub Hajduk Split hat unsere Nachwuchsspieler und -trainer bei sich aufgenommen. Und wir haben viele Benefizspiele austragen können, gegen Fenerbahce, Olympiakos, Split, sogar in Japan – und wir durften mit den Ticketeinnahmen die Ukraine unterstützen. Es gab viele Menschen mit großem Herzen, das werden wir nie vergessen.

      Sie haben nun viele schwierige Jahre mit dem Klub erlebt. Gab es nie den Gedanken, Schachtar zu verlassen?

      Nie. Denn Schachtar ist für mich mehr als ein Klub, es ist meine Fußballfamilie. Ich bin stolz auf meine Zeit hier. Ich bin 2003 gekommen, habe hier 15 Jahre gespielt, jetzt bin ich Sportdirektor. Das ist viel mehr als ein Job. Ich habe hier so viele schöne Dinge erlebt, ich habe viele Freunde im Klub. Und ich bin eine Person, die loyal ist. Loyal bis zum Ende. Außerdem lebte meine gesamte Familie bis Kriegsausbruch in der Ukraine, Meine Frau und meine Kinder sprechen Ukrainisch, wir alle lieben das Land und die Menschen.

      Aktuell haben sie aber wenig Zeit mit der Familie.

      Ja, aber dieses Problem haben aktuell sehr viele Menschen in der Ukraine. Aber der Krieg wird vorbeigehen, dann wird das besser werden. Aktuell braucht meine Fußballfamilie mich ein wenig mehr.

      Normalerweise gehört es auch zur Aufgabe eines Sportdirektors, die Zukunft zu planen.

      Das ist aktuell unmöglich. Wir leben von Tag zu Tag. Unser Plan kann nur sein, weiter guten Fußball zu spielen, den Menschen in der Ukraine und speziell in der Armee positive Gefühle zu schenken und so vielleicht ein kleines bisschen dabei zu helfen, dass dieser Krieg gewonnen wird. Das ist unser Ziel, das ist unser Traum.