München. Trotz des Abschieds von vier Legenden und dem Ausfall von fünf Stammspielern dominiert die DFB-Elf auch die Niederlande. Die Analyse.

Joshua Kimmich wollte noch einmal kurz „nach oben gucken“. Der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft ging nach dem 1:0-Sieg in der Nations League gegen die Niederlande gemeinsam mit seinen Münchener Klubkollegen Aleksandar Pavlovic und Serge Gnabry sowie den Stuttgartern Maximilian Mittelstädt, Angelo Stiller und Jamie Leweling auf die Party der DFB-Legenden Thomas Müller, Manuel Neuer und Ilkay Gündogan, die am Montagabend in der Münchener Allianz-Arena offiziell verabschiedet wurden. Erst eine Stunde nach Mitternacht verließen die meisten Nationalspieler das Stadion.

Am Samstag werden sich die Münchener und Stuttgarter am selben Ort schon wiedersehen, wenn die beiden Champions-League-Teilnehmer das Topspiel in der Bundesliga bestreiten. Dass die neuformierte Nationalmannschaft gegen die Niederlande am Montag vorzeitig das Viertelfinale der Nations League buchte und nach dem Umbruch im Sommer nun einen Aufbruch erlebt, hat viel zu tun mit dem VfB und dem FCB. Oder beispielhaft auch mit dem jungen Mittelfeld, das Bundestrainer Julian Nagelsmann gegen die Niederlande überraschend aufgestellt hatte.

Deutschland vs. Niederlande, Fussball, UEFA Nations League, Gruppe C, 14.10.2024
Kollektive Euphorie: Antonio Rüdiger (v.l.), Torschütze Jamie Leweling, Aleksandar Pavlovic und Angelo Stiller feiern das 1:0 gegen die Niederlande. © picture alliance / kolbert-press | kolbert-press/Christian Kolbert

Der Münchener Pavlovic (20) und der Stuttgarter Stiller (23) spielten in der deutschen Zentrale so selbstverständlich zusammen, wie es Kroos (34) und Gündogan noch im Sommer bei der Heim-EM zusammen mit Aufpasser Robert Andrich getan hatten. Andrich und Pascal Groß, der in der Übergangsphase des Umbruchs die Kroos-Lücke ausfüllen sollte, mussten am Montag gar nichts übernehmen, weil Pavlovic und Stiller zeigten, dass sie möglicherweise schon bei der WM 2026 zusammen das deutsche Spiel leiten und lenken könnten. „Wir haben sehr gut zusammen kombiniert und verstehen uns auch außerhalb des Platzes super“, sagte Pavlovic.

Leweling ist die Entdeckung des Abends

Und dann war da am Montagabend ja auch noch Stillers Stuttgart-Kollege Jamie Leweling, der dafür sorgte, dass niemand das EM-Zauberduo Jamal Musiala und Florian Wirtz vermisste, das auf den Tag genau vier Monate zuvor in München zusammen mit den vier verabschiedeten DFB-Legenden noch für den 5:1-Sieg gegen Schottland gesorgt hatte. Leweling, der für den Lehrgang lediglich nominiert wurde, weil Musiala mit Hüftproblemen absagen musste, war nicht nur aufgrund seines Siegtores die Entdeckung des Abends. Der 23-Jährige überraschte sogar den Bundestrainer. „Ich weiß, dass er sehr viel Energie hat, aber dass er so gut spielt, hätte ich nicht erwartet“, sagte Nagelsmann und sprach von einem „wirklich außergewöhnlich guten Debüt“.

Abwehrchef Antonio Rüdiger nannte Leweling den „Schlüsselspieler“, auch Kimmich war begeistert. „Jamie hat ein Topspiel gemacht. Er hat keinen Ball verloren, ist Risiko gegangen, als es der richtige Zeitpunkt war. Es war ein sehr reifer und starker Auftritt.“

Reif und stark – so lassen sich auch die beiden Spiele in Bosnien (2:1) und gegen die Niederlande zusammenfassen. Und das, obwohl Nagelsmann fünf Stammspieler fehlten und sich drei weitere Alternativen verletzt abmeldeten. Gegen Holland musste kurzfristig auch noch Bosnien-Doppelpacker Deniz Undav passen, der im ersten Spiel nur stürmen durfte, weil Kai Havertz und Niclas Füllkrug abgesagt hatten.

Gibt Nagelsmann Spielern wie Wirtz eine Pause?

Umso bemerkenswerter war der völlig verdiente Sieg gegen den EM-Halbfinalisten Niederlande mit einer Startelf, die so nie wieder zusammenspielen dürfte. Gleichzeitig konnten sich Spieler wie Stiller, Leweling oder auch Torhüter Oliver Baumann für weitere Startelfeinsätze in der Nationalmannschaft empfehlen. Es wird keine leichte Aufgabe für Nagelsmann, 20 Spieler für die letzten zwei Länderspiele des Jahres zu nominieren. Durch die vorzeitige Qualifikation für das Viertelfinale der Nations League könnte sich der Bundestrainer den Luxus erlauben, einige überbelastete Spieler wie Florian Wirtz, der gegen die Niederlande mit einer Sprunggelenksverletzung zur Halbzeit ausgewechselt werden musste, zu schonen.

Gleichzeitig will Nagelsmann die Nations League gewinnen. Und dafür gilt es noch, im November in den Spielen gegen Bosnien (16.11.) und in Ungarn (19.11.) den Gruppensieg zu sichern, um im Viertelfinale gegen einen Zweitplatzierten anzutreten und anschließend das Finale am 8. Juni 2025 zu erreichen. Nagelsmann hat der Nations League eine neue Bedeutung beigemessen. Und das war bislang in jedem der vier Spiele zu spüren. „Wir sind extrem dominant. Die Gier, die wir verkörpern, ist ein sehr, sehr großer Schritt“, sagte Nagelsmann, der seine Umstellungen auch mit dem Blick in die Zukunft erklärte. „Wir müssen uns in der Aktualität entwickeln. Aber wir können nicht nur auf Spieler setzen, die bei der WM 2026 schon 35 Jahre alt sind“, sagte der Bundestrainer.

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Eine Aussage, die vor der Münchener Pavlovic sowie die Stuttgarter Stiller und Leweling gerne gehört haben. Alle drei Startelfdebütanten haben ihre große Chance genutzt und werden beim Umbruch der DFB-Elf weiterhin eine große Rolle spielen. Insbesondere die gebürtigen Bayern Leweling (Nürnberg) und Stiller (München) konnten den regionalen Heimvorteil nutzen. „Es war etwas Besonderes, meine Eltern auf der Tribüne die Hymne singen zu sehen. Da musste ich schon schmunzeln“, sagte der erfrischend sprechende Stiller nach seinem erfrischend dargebotenen Startelfdebüt.

Auch Leweling überzeugte nicht nur mit seiner Leistung, sondern auch mit seinen launigen Worten nach dem Spiel. „Wir gehen jetzt zur Party und feiern noch ein bisschen“, sagte der Flügelstürmer und bog Richtung VIP-Bereich ab. Am Samstag will er in München zusammen mit seinen VfB-Kollegen die Feier fortsetzen.