Zenica. Die Nationalelf sucht nach einer Interims-Eins. Nagelsmann hat den Konkurrenzkampf ausgerufen. Und noch mehr? Ein Kenner analysiert.
Natürlich ist Robin Dutt in der Debatte befangen, das möchte der 59-Jährige auch gar nicht verneinen. Unter Dutt durfte Oliver Baumann, heute 34, am 8. Mai 2010 für den SC Freiburg sein Bundesliga-Debüt geben. Was beim 3:1-Sieg gegen Borussia Dortmund noch als Belohnung für Baumanns Engagement im Training zu verstehen war, führte dann in der folgenden Saison dazu, dass Baumann zum Stammtorwart beim Sport-Club aufstieg.
Bundestrainer Julian Nagelsmann sucht 14 Jahre später nach einer Interims-Nummer eins für die deutsche Nationalmannschaft, und dabei ist auch der Name Baumann in der Verlosung. Genauso wie dessen sechs Jahre jüngerer Konkurrent Alexander Nübel, dem Dutt fairerweise „eine tolle Saison“ beim VfB Stuttgart attestiert. „Julian Nagelsmann muss den aufstellen, der aus seiner Sicht gerade die Nase vorne hat“, sagt deshalb der langjährige Bundesliga-Trainer Dutt, unter anderem beim VfL Bochum. Dabei scheint sich Nagelsmann aber noch nicht so sicher zu sein.
DFB-Elf: Suche nach einem Vertreter für Marc-André ter Stegen
Der 37-Jährige hat doch einigermaßen überraschend eine Arbeitsteilung veranschlagt. Wohlgemerkt sollen sich die beiden nicht um den Posten von Marc-André ter Stegen streiten. Der 32-Jährige hat sich die Patella-Sehne gerissen und wird monatelang fehlen. Nagelsmann aber hat sich auf den Profi des FC Barcelona als Stammkeeper festgelegt. Nur eines können weder Nagelsmann noch ter Stegen selbst prophezeien: in welcher Form der Schlussmann seine schwere Knieverletzung hinter sich lassen wird. Sollte dies nämlich nicht so unkompliziert wie erhofft geschehen, müsste Nagelsmann eventuell doch noch ins Grübeln darüber kommen, welcher Keeper die DFB-Elf zur Weltmeisterschaft 2026 in Nordamerika führt.
So weit ist es längst noch nicht, erstmal bestreitet die Nationalelf eine Übergangsphase bis zum Ter-Stegen-Comeback. Nübel und Baumann teilen sich in den beiden anstehenden Nations-League-Spielen die Aufgabe. Der Stuttgarter Nübel wird am Freitag in Zenica gegen Bosnien-Herzegowina (20.45 Uhr/RTL) im Tor stehen. „Die Vorfreude ist riesig“, sagte er am Donnerstag. „Es wird auch im Nachhinein zu einem der Höhepunkte in meiner Karriere zählen.“ Der Hoffenheimer Baumann am Montag in München gegen die Niederlande (20.45 Uhr/ZDF). „Ich erwarte keine andere Dinge als die, die sie im Klub machen, weswegen sie hier sind“, sagte Nagelsmann, der von seinen Keeper verlangt: „Wir wollen nicht jedes Ding nach vorne dreschen, aber auch nicht in Schönheit sterben.“ Bis zuletzt schien es so, als würde der erfahrene Baumann beide Spiele bestreiten. Allein schon deshalb, weil Nagelsmann in Person von Nübel keine vermeintliche Konkurrenz zu ter Stegen aufbauen will. Nun lässt er sich offenbar doch ein Türchen offen.
DFB-Elf: Oliver Baumann gegen Alexander Nübel bietet zwei Geschichten
Nübel gegen Baumann, das ist ein besonderes Duell. Selbstverständlich hat es keine Kahn-gegen-Lehmann-Brisanz, bietet aber zwei interessante Geschichten. Einerseits ist da Nübel (28), der mal in München als Kronprinz von Manuel Neuer aufgebaut werden wollte, aber dann feststellen musste, dass der Weltmeister von 2014 einfach nicht aufhören möchte. Eine Erkenntnis, die ihm auch Häme einbrachte, vor allem aus Gelsenkirchen. Die Schalker Fans hatten ihm seinen Wechsel in den Süden ja krumm genommen. Erst nach seiner Leihe zum VfB Stuttgart fand Nübel sein sportliches Glück und schließlich den Weg in die Nationalelf. „Die Vorfreude ist riesig“, sagte Nübel am Donnerstagabend zu seinem Debüt.
Baumann (34) bewegt sich schon länger in diesem Kreis, bislang aber nur auf dem Trainingsplatz. Nagelsmann wird ihm nun endlich zum Länderspiel-Debüt verhelfen. „Ich finde, es ist eine wunderbare Geschichte“, sagt Dutt im Gespräch mit dieser Redaktion. „Olli ist sehr komplett, reaktionsschnell, fußballerisch stark und ein richtig guter Typ, ein Charakter – aber nicht auf sinnlos emotionale Weise. Wenn er das Wort ergriffen hat, hatte das immer Hand und Fuß. Schon in jungen Jahren hat man auf ihn gehört.“ Baumann sei ein Musterprofi. Dutt könne sich an keine Trainingseinheit erinnern, bei der Baumann nicht Vollgas gegeben oder negative Stimmung verbreitet hätte. „Bodenständig, wertebasiert, ohne Anekdoten in beide Richtungen – das ist Oliver Baumann“, schwärmt Dutt.
DFB-Elf: Beim Torwart-Nachwuchs sieht es nicht gut aus
Dass sich nun zwei Debütanten im fortgeschrittenen Fußballer-Alter um den Rang als Übergangstorwart rangeln, sagt allerdings auch viel über den Zustand der einstigen Torwart-Nation aus, die Toni Turek und Toni Schumacher, Sepp Maier und Andreas Köpke, Oliver Kahn und Jens Lehmann, ter Stegen und vor allem Manuel Neuer, der das Spiel revolutioniert hat, hervorgebracht hat. Der langjährige Bundestorwarttrainer Köpke blickt daher auch „mit großer Sorge“ auf die Zukunft. „Wir werden ein Problem kriegen“, sagte der 62-Jährige. Der Deutsche Fußball-Bund hat bereits die Nachwuchsarbeit angepasst. Nur: Resultate erhofft man erst zur Europameisterschaft 2028. Wer dann im Tor stehen könnte?
Sicherlich ist Nübel ein Kandidat dafür, was ihm auch Plus-Punkte als Interimstorwart bringen kann. Im Kader der U21 stehen in Noah Atubolu (SC Freiburg), Tjark Ernst (Hertha BSC) und Jonas Urbig (1. FC Köln), drei junge Keeper, die bereits Stammtorhüter in ihren Vereinen sind. Dann gibt es noch Diant Ramaj von Ajax Amsterdam, dem einschlägige Portale einen Marktwert von 18 Millionen Euro bescheinigen. Der zweithöchste eines deutschen Torhüters nach ter Stegen. Der 23-Jährige ist allerdings nur Nummer zwei hinter dem 40 Jahre alten Niederländer Remco Pasveer.
Nun allerdings geht es erstmal um die drängende Klärung der Ter-Stegen-Vertretung. „Das Alter“, sagt Robin Dutt, früher DFB-Sportdirektor, „darf dabei weder in die eine noch in die andere Richtung eine Rolle spiele. Ansonsten hätte man einen 34-Jährigen gar nicht nominieren müssen.“ Bei seinem Freiburg-Debüt unter Dutt war Baumann ja auch erst 19 Jahre alt.
Mehr News und Hintergründe zur DFB-Elf
- ZDF-Experten schockiert von Holland-Auftritt: „Erschreckend“
- Deutschland dank Leweling vorzeitig im Achtelfinale
- DFB-Noten: Leweling muss bleiben, Kleindienst vielleicht
- Emotionen in München: Neuer, Müller und Gündogan verabschiedet
- Die DFB-Elf hat wieder ein Selbstverständnis für Siege
- DFB-Team: Nagelsmann steht bald vor der Undav-Frage