Paris. Darja Varfolomeev und Yemisi Ogunleye gewannen Olympiagold. Ihre Voraussetzungen waren unterschiedlich. Das macht Olympia aus. Ein Kommentar.
Im Endspurt der Olympischen Spiele sorgten noch einmal zwei junge Frauen für ganz besondere Goldmedaillen für Deutschland, die noch lange im Gedächtnis bleiben werden. Die Farbe ihrer Medaillen mag gleich sein, doch das Gefühl von Gold ist unterschiedlich.
Da ist zum einen Darja Varfolomoeev, Deutschlands erste Olympiasiegerin in der Rhythmischen Sportgymnastik. 17 Jahre ist sie erst alt. Trotzdem galt sie nach ihren fünf WM-Titeln im vergangenen Jahr bei ihren ersten Olympischen Spielen bereits als Favoritin. Alles, wirklich alles, in ihrem Leben hat sie auf ihren Traum von Gold ausgerichtet. Als Zwölfjährige kam sie allein - ohne ihre Eltern, ohne deutsche Sprachkenntnisse - aus Russland in das Land ihres Großvaters. Hier ließ sie sich zu einer meisterlichen Sportgymnastin ausbilden.
Die Rhythmische Sportgymnastik verzeiht keine Fehler
Sie vertraut in ihre Stärke, weil sie weiß, wie hart sie dafür gearbeitet hat. Sie kennt aber auch die Unberechenbarkeit ihrer Sportart. Es gibt nicht viele olympische Disziplinen, die nicht einmal einen Hauch von Fehler verzeihen – die Rhythmische Sportgymnastik aber gehört dazu. Sich dort als Favoritin mit dem ganzen Druck auf den noch so jungen Schultern in einem hochklassigen Wettkampf zu behaupten, ist in Worte gar nicht zu fassen.
Da ist zum anderen Yemisi Ogunleye, Deutschlands erste Kugelstoß-Olympiasiegerin seit Astrid Kumbernuss 1996. Zu behaupten, ihr Gold käme aus dem Nichts, wäre vermessen gegenüber ihrer harten Arbeit. Doch es war eine riesige Überraschung. Bronze, ja, das hätte man der EM-Dritten wohl zugetraut, vielleicht sogar Silber. Aber den Olympiasieg? Der ist eine Sensation.
Ogunleye gelingt der Stoß ihres Lebens
Die 25-Jährige aber hat im alles entscheidenden Moment abgeliefert. Auf der Olympischen Bühne und gesegnet – so wird die gläubige Christin es wohl sehen – mit einer unglaublichen inneren Kraft, gelang ihr der Stoß ihres Lebens, die Schallmauer von 20 Metern durchbrechend. Sie wuchs über sich hinaus. Das gelingt nur den ganz Großen.
Olympia zeichnete beides aus: die Favoritensiege und die Überraschungen. Und es braucht auch beides: Im Kampf um Aufmerksamkeit ist der Reiz des Unberechenbaren genauso wichtig wie die Souveränität von bereits gestandenen Helden. Beide sind eine Inspiration für die nächste Generation. Diese Mischung ist das Pfund von Olympischen Spielen.