Paris. Nils Ehlers und Clemens Wickler trennt nur noch ein Sieg von der Goldmedaille. Der Gegner besitzt aber einen gewaltigen Vorteil.
Die Spuren, die sein Hund Mogli in Paris hinterlässt, konnte Nils Ehlers bislang sauber beseitigen. Alles andere würde ihm in der Ausrichterstadt der Olympischen Spiele auch teuer zu stehen kommen. Was er selbst in den vergangenen knapp zwei Wochen im Sand des Eiffel Tower Stadiums produzierte, lässt sich hingegen nicht so einfach entsorgen.
Der Respekt vor dem besten Blockspieler des Beachvolleyball-Turniers ist gewaltig. Da kommt jeder Gegner ins Grübeln. Selbst das schwedische Superduo David Åhman und Jonatan Hellvig wird vor dem Endspiel um die Goldmedaille an diesem Sonnabend (22.30 Uhr/ARD) ganz viel Ehlers im Kopf haben. Und als würde ein 2,10-Meter-Gigant dort nicht schon genügend Raum mietfrei besetzen, steht zudem der begnadete Abwehrspieler Clemens Wickler auf seiner Seite des Netzes.
Olympia: Nils Ehlers/Clemens Wickler spielen gegen ihre schwedischen Trainingspartner um Beachvolleyball-Gold
Was für eine verblüffende Ausgangslage. Als an Nummer vier gesetztes Duo waren die für den Eimsbütteler TV aus Hamburg startenden Beacher zwar im Kreis der Medaillenkandidaten, aber ein derart souveräner Sprung ins Finale mit einer makellosen Bilanz gelang dennoch überraschend. Eigentlich gab es nur zwei Menschen, die zuvor genau wussten, wozu Ehlers/Wickler fähig sind, ihre Stärken und Schwächen kennen wie niemand sonst – dummerweise Åhman und Hellvig.
In Paris kommt es nämlich zur kuriosen Situation, dass sich zwar die größten Rivalen gegenüberstehen, sie aber gleichzeitig auch Trainingspartner sind. An Tagen vor Turnieren sowie in den Phasen dazwischen arbeiten die Deutschen regelmäßig mit den Skandinaviern zusammen.
Im Beachvolleyball trainieren die Besten regelmäßig miteinander
„Was in anderen Sportarten undenkbar wäre, ist im Beachvolleyball nicht außergewöhnlich. Es ist nur logisch, mit den Besten zu trainieren, um selbst besser zu werden“, sagt Bernd Schlesinger (65), Trainingswissenschaftler am Olympiastützpunkt Hamburg/Schleswig-Holstein, der sportlichen Heimat von Ehlers/Wickler.
Die Besten der Welt sind im Beachvolleyball unbestritten die jeweils 22 Jahre alten Schweden. Allein in diesem Jahr gewannen die zweifachen Europameister und amtierenden Vizeweltmeister sechs Elite-16-Turniere. Die Weltranglistenersten haben als erstes Duo das Sprungzuspiel auf Weltklasse-Niveau etabliert. „Ihre Pässe werden dadurch schneller, sie schlagen häufig schon den zweiten Ball, und ihr ganzes Spiel ist wesentlich dynamischer“, sagt Schlesinger.
Ehlers/Wickler haben erst einmal gegen Åhman/Hellvig gewonnen
Daher ist es auch unerheblich, dass die Konstellation ohne klassischen Blockspieler besteht. Åhman ist 1,91 Meter, Hellvig lediglich zwei Zentimeter größer. Ehlers/Wickler konnten erst einmal im vergangenen Jahr gegen sie gewinnen. „Zuletzt waren sie aber oft ganz nah dran, zumeist fehlten nur zwei Punkte“, sagt Schlesinger.
Ihre Herangehensweise hat sich dabei nur geringfügig geändert, die Deutschen spielen jetzt auch häufiger zweite Bälle. Trainer Thomas Kaczmarek (38) achtet besonders darauf, die jeweiligen Stärken seiner Akteure taktisch herauszuheben. Aber wie überrascht man dann noch einen Widersacher, der sowieso schon jeden Ball antizipieren kann?
Beachvolleyball-Experte Bernd Schlesinger: „Ehlers‘ Blocks lassen keinen kalt“
Indem man ihn zum Nachdenken bringt. Ehlers blockte in Paris allein in drei Spielen den ersten Angriff des Gegners. „Das lässt keinen Spieler kalt und sorgt für die Nuance an zusätzlicher Zeit der Entscheidungsfindung, die im Spitzensport oft entscheidend ist“, sagt Schlesinger. Zudem unterscheiden sich Olympische Spiele stark von normalen Beachvolleyball-Turnieren. Während auf der Tour oft zwei Partien an einem Tag ausgetragen werden, liegen bei Olympia zwei Tage Pause dazwischen.
Dazu befindet sich Ehlers in der Form seines Lebens. Beim 2:1-Sieg im Halbfinale gegen die Norweger Anders Mol/Christian Sørum gelangen dem 30-Jährigen mehr Blockpunkte als Mol, der diese direkten Duelle so gut wie nie abgibt. Der gebürtige Berliner verbesserte sich in den vergangenen drei Jahren an Wicklers Seite massiv in den technischen Grundaspekten.
Ehlers/Wickler wären erste deutsche Olympiasieger seit Julius Brink/Jonas Reckermann
Die beherrscht der aus Starnberg stammende Routinier längst. „Clemens kann ein Spiel exzellent lesen und sammelt viele Bälle ein“, analysiert Schlesinger. Schon die komplette Saison spielt der 29-Jährige konstant auf Topniveau. Die harte Arbeit in Hamburg und die vielen Entbehrungen zahlen sich nun aus.
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Mit der bereits sicheren Medaille „ging ein Lebenstraum in Erfüllung“, sagten beide. Die Chancen auf Gold schätzt Schlesinger auf „50:50, mit leichten Vorteilen für Nils und Clemens“ ein. Sollte der große Coup gelingen, würden sie den Spuren folgen, die zuletzt Julius Brink und Jonas Reckermann als Olympiasieger 2012 in London hinterlassen haben.