Paris. Beachvolleyballerin Laura Ludwig beendet ihre Karriere. Ihr jüngster Balanceakt gelang nicht immer. Exklusive Hintergründe dazu.
Leo Neugebauer lief seiner Silbermedaille entgegen, die deutschen Fußballerinnen zitterten sich durch den Elfmeterkrimi, doch die Gäste im Deutschen Haus in Paris verlagerten ihren Fokus schlagartig auf Laura Ludwig. Ehre, wem Ehre gebührt. Ein letztes Mal der hochverdiente Applaus.
Wenige Stunden zuvor am Sonnabend war die 38-Jährige „ziemlich spontan“ zum Entschluss gekommen, ihre hochdekorierte Karriere zum Ende der Saison zu beschließen. „Es war eine geile Zeit, aber jetzt möchte ich mehr Kapazitäten für meine Familie haben. Meine Söhne müssen nicht mehr sagen, dass Mama nicht in den Keller zum Trainieren soll. Außerdem muss die alte Frau jetzt mal zur Seite treten und Platz für Jüngere machen.“
Beachvolleyball: Laura Ludwig beendet ihre Karriere, die Zeit mit Louisa Lippmann war intensiv
Sie sagte das aus Überzeugung. Tränen flossen trotzdem. Auch, weil am Sonnabendmittag die Olympischen Spiele, auf die sie und ihre Partnerin Louisa Lippmann alles ausgerichtet hatten, in einer fundamentalen Enttäuschung zu Ende gegangen waren. Aus in der Vorrunde, ohne einen einzigen Satz gewonnen zu haben. Ludwig hatte sich bei ihrer fünften Olympiateilnahme einen anderen Abschied vorgestellt. Dabeisein allein reicht uns nicht, hatte sie noch kurz vor dem Turnier gesagt.
Zwei Jahre zuvor hatte sich das Team formiert, um in Paris um die Medaillen zu spielen. Lippmann wusste, worauf sie sich im Sommer 2022 einließ. Den Übergang vom Volleyball zum Beachvolleyball hatten schon viele Spielerinnen vor ihr versucht. Erfolg hatten die wenigsten. Lippmann, zum damaligen Zeitpunkt die beste deutsche Hallenvolleyballerin, wagte den Wechsel dennoch.
Lippmann war die Wunschpartnerin, Erfolge stellen sich ein, eine olympische Medaille bleibt aus
Vor allem wusste aber Ludwig, worauf sie sich einließ. Von 2019 bis 2021 hatte die Olympiasiegerin von Rio 2016 mit Margareta „Maggie“ Kozuch zusammengespielt, die vor Lippmann die dominierende deutsche Hallenspielerin war. Sie konnte an der Seite Ludwigs nicht die hohen Erwartungen erfüllen. Immerhin gewann das HSV-Duo 2019 in Rom das Finale der Welttour und erreichte bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio das Viertelfinale. Danach trennten sie sich.
Blockerin Lippmann war für die einst weltbeste Abwehrspielerin 2022 bei ihrem zweiten Comeback nach der Geburt ihres zweiten Sohnes die Wunschpartnerin. Ohne sie wäre Ludwig wohl nicht noch einmal in den Sand gegangen. Das Duo feierte schnell erste Erfolge, im vergangenen Jahr gewannen die beiden in Wien EM-Bronze.
Ludwigs Ehemann und Trainer Imornefe Bowes nimmt eine Schlüsselrolle ein
Nun geht für Lippmann „die schönste und zugleich krasseste Zeit“ ihrer Laufbahn zu Ende. Für die zwei Jahre an Ludwigs Seite ist die vom HSV Anfang des Jahres zum SSC Berlin gewechselte Modellathletin „extrem dankbar“. Sie waren aber auch intensiv. Wie sehr, das berichteten in den vergangenen Tagen mehrere Quellen aus der Beachvolleyball-Szene übereinstimmend.
Eine Schlüsselrolle nimmt hier der Schotte Imornefe „Morph“ Bowes ein, der das Duo Großteile des vergangenen Jahres als Cheftrainer betreute, auch schon Kozuch/Ludwig coachte. Vorab: Der 48-Jährige genießt den Ruf als ausgewiesener Fachmann, ist aber nicht unumstritten. Sein Vertrag als Bundestrainer war 2021 nicht verlängert worden. Bowes und Ludwig mussten einen Drahtseilakt bewältigen – sie sind seit 2022 verheiratet, haben zusammen die Söhne Teo Johnston (5) und Lenny Matthias (2).
Kozuch litt unter dem Leistungsdruck, fühlte sich alleingelassen
Die Belastungen für die im eigenen Haus in Halstenbek lebende Familie sind gewaltig. Durch viele Trainingseinheiten und Turnierreisen über den Globus ist es nahezu unmöglich, den elterlichen Pflichten gerecht zu werden. Ludwig und Bowes gelingt es trotzdem. Doch es entstehen nachvollziehbare Reibungsverluste.
Bowes habe Lippmann gegenüber mehrfach einen harschen Ton angeschlagen, mitunter zu harsch. Schon Kozuch soll darunter gelitten haben. Die heute 37-Jährige begehrte aber nicht auf, fühlte sich oft vom Team alleingelassen. Lippmann dagegen war sich ihres Standings als bester deutscher Volleyballerin bewusst, nahm nicht alles hin. Sie wehrte sich.
Nach der WM in Mexiko kommt es zum Streit zwischen Lippmann und Bowes
Nach der WM in Mexiko Mitte Oktober 2023 kommt es übereinstimmenden Berichten zufolge zum Knall. Nachdem die beiden Hamburgerinnen in der ersten Hauptrunde scheitern, 17. werden, entbrennt vor dem Rückflug am Flughafen ein lautstarker Streit zwischen Lippmann und Bowes. Die gebürtige Herforderin soll in der Folge unter Tränen gesagt haben, sie sei bereit, ihren Olympia-Traum aufzugeben, sie werde das Team verlassen, falls Bowes Trainer bliebe.
So weit kommt es nicht. Zum Jahreswechsel gibt Bowes die Verantwortung ab. Offiziell, um mehr Zeit für die Kinder zu haben. Als Athletiktrainer betreut er weiter seine Frau. Lippmann dagegen holt sich von Beginn der Partnerschaft mit Ludwig für ihr Krafttraining Tipps von ihrem Mentor Jürgen Wagner. Das führt gleich am Anfang zu ersten Spannungen mit Bowes.
Zeitweise stehen drei Trainer am Netz, interne Spannungen entstehen
Wagner, früherer „Head of Beachvolleyball“ im Deutschen Volleyball-Verband, hatte 2016 mit Laura Ludwig/Kira Walkenhorst in Rio sowie 2012 mit Julius Brink/Jonas Reckermann in London olympisches Gold gewonnen. In der finalen Vorbereitung auf die Spiele in Paris entsteht daher mitunter die kuriose Situation, dass drei Trainer bei Ludwig/Lippmann am Netz stehen: Neben Bowes der neue österreichische Chefcoach Simon Nausch sowie die langjährige Balltrainerin Helke Claasen.
Ludwig und Lippmann wahren trotz interner Spannungen ein professionelles Verhältnis. Die Teamchemie scheint aber nachhaltig gestört. An ihr Leistungsvermögen kommen sie nach der WM in Mexiko nur noch sporadisch heran, qualifizieren sich dennoch für Olympia, vor allem dank der Resultate aus dem vergangenen Jahr.
Teampsychologin Anett Szigeti vermag die Situation nicht zu heilen. Die 44-Jährige beschreitet, wie Bowes, eine Gratwanderung.
All das könnten Faktoren dafür sein, weswegen Lippmann/Ludwig in Paris nicht ihr Potenzial abrufen konnten. Das überwältigende Kriterium mag der Kraftakt gewesen sein, den Ludwig als zweifache Mutter zu bewältigen hatte. Die Mehrfachbelastung, dazu die lange Qualifikationsphase für Olympia bis in den Juni 2024 zehren selbst an einer fünffachen Olympionikin. Irgendwann ist der Akku leer.
Hut ab davor, wie Ludwig und Bowes die Mammutaufgabe bewältigten
Insofern gilt es, ihr und Bowes Respekt zu zollen, wie sie diese Mammutaufgabe zu bewältigen versuchten. In all diesen schwierigen Phasen kämpfte die Weltmeisterin von 2017 und viermalige Europameisterin an allen Fronten, zapfte die letzten Energiereservoirs an. Bis zum letzten Punkt in Paris. Das wird ihr Vermächtnis bleiben. Das der besten deutschen Beachvolleyballerin der bisherigen Historie.
Lippmanns Geschichte wird weitergeschrieben. „Ich gehe nicht zurück in die Halle“, sagte sie am Sonnabend im Eiffel Tower Stadium. Dem Verband hat sie erklärt, bis zu Olympia 2028 in Los Angeles im Sand bleiben zu wollen. Dann ist sie 33, statistisch gesehen im besten Beachvolleyball-Medaillenalter.
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Eine neue Partnerin muss in den nächsten Monaten noch gefunden werden. An wessen Seite auch immer Lippmann künftig blocken und schmettern wird, es wird intensiv bleiben.