Paris. Novak Djokovic gewinnt in einem olympischen Finale, für das die Worte ausgehen, die Goldmedaille gegen Carlos Alcaraz.
Jeder Zuschauer sah es. Wer nicht hinschaute, spürte es. Novak Djokovic hätte stolz sein können, Genugtuung fühlen, dort ganz oben, mit der Goldmedaille um den Hals auf dem Siegertreppchen. Aber sein Gesicht strahlte nichts als Erfüllung aus, als er vor den Augen der Welt ins Sport-Nirvana einzog.
Novak Djokovic, geboren am 22. Mai 1987 in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, hat das Tennis vollendet. Durchgespielt. Bei 24 Grand-Slam-Turnieren und damit bei mehr als jeder andere Spieler hat er triumphiert, jedes bedeutende Major gewonnen. Nur der Olympiasieg fehlte dem Rekord-Weltranglistenersten noch. Diesen letzten Schritt hinein in die sportliche Unsterblichkeit ging er am Sonntag in Paris.
Olympia: Novak Djokovic nach epischem Finale gegen Carlos Alcaraz Goldmedaillengewinner
Nach dem 7:6 (7:3), 7:6 (7:2) gegen den Spanier Carlos Alcaraz ist der Serbe endgültig der König des Tennis. Daran gibt es nun keine Zweifel mehr. „Statistiken, Leistung, Einfluss – wie auch immer man es betrachtet, praktisch alles spricht dafür, dass Novak der Beste der Geschichte ist“, sagte Alcaraz, der im anstehenden Jahrzehnt Djokovics Nachfolger als Dominator werden wird.
Doch mindestens dieses eine Mal wusste der 37-Jährige den 21-Jährigen noch aufzuhalten. Nach verwandeltem Matchball sank er auf die Knie. Der Tennisgott bekreuzigte sich. Er zitterte am ganzen Körper. Nahaufnahmen zeigten, dass sein Daumen völlig außer Kontrolle war. In den Armen seiner Familie ließ der manchmal eiskalt wirkende Djokovic seinen Emotionen freien Lauf.
Olympiasieger Djokovic: „Der größte sportliche Erfolg meines Lebens“
„Ich weiß, was ich sagen soll, aber ich kann nichts sagen, weil mich das alles so überwältigt. Ich bin überstolz und so glücklich, für Serbien Gold gewonnen zu haben“, stammelte ein aufgelöster Djokovic unmittelbar nach dem Match in die serbischen TV-Kameras. Seinen Landsleuten gilt der Belgrader nicht nur als größter Sportler in der Geschichte des stolzen Landes, sondern direkt als bedeutsamster Serbe. Dem Gewicht seines Triumphs war sich Djokovic direkt bewusst. „Es ist der größte sportliche Erfolg meines Lebens.“
Dieses Finale war seine Krönungsmesse. Das Niveau der Begegnung schien nicht mehr von dieser Welt zu stammen. Es war astronomisch. Die beiden olympischen Götter schrieben eine Liebeserklärung an den Sport in den roten Sand von Roland Garros. Ein Spiel für den Louvre, mindestens. Für das neue Adjektive der Ehrerbietung erfunden werden müssen. Für das drei Goldmedaillen zu prägen wären: eine für Alcaraz, zwei für Djokovic. Die Zuschauer, die ihren Blick trotzdem nicht vom Handy loseisen konnten, sollten straffrei als Vollidioten bezeichnet werden dürfen.
Ein Tennismatch, das nicht von dieser Welt war
Allein das neunte Spiel im ersten Satz, das Djokovic letztlich gewann, besaß mehr Klasse und Dramatik als manches Turnier in Gänze. Es war sogar Alcaraz, der die spektakuläreren Punkte erzielte. Der Südspanier präsentierte sein gesamtes Repertoire, variierte zwischen gepeitschten Vorhänden und poetisch gefühlvollen Stopbällen. Für jeden Akteur auf der Welt hätte das locker gereicht. Selbst Djokovic war ungläubig ob der Weltklasseleistung seines Widersachers, warf den Kopf nach den eindrucksvollsten Punkten ratlos in den Nacken.
Aber der Bronzemedaillengewinner von Peking 2008, damals war Alcaraz fünf, hielt stand. Trotz Knieproblemen. Obwohl er in diesem Jahr bis dato noch kein Turnier gewonnen hatte. „Ich bin alles oder nichts gegangen, habe versucht, die Vorhände auch so zu hämmern wie Carlos. Das war die eine Chance, die ich hatte“, sagte Djokovic.
Auch Alcaraz hätte Gold verdient, sein Olympiasieg wird kommen
Die Olympischen Spiele waren der Polarstern am Firmament seiner Saisonplanung. Das offizielle Ziel war eine Medaille. „Aber ich wollte Gold“, betonte Djokovic nach seiner Errungenschaft. Es war die vermutlich letzte Chance darauf. Alcaraz wäre der jüngste Olympiasieger jemals gewesen. Djokovic ist stattdessen nun der älteste.
Einen „wütenden Novak“ habe er auf der anderen Seite des Netzes vor sich gehabt, sagte Alcaraz. Hungrig auf den Sieg, hungrig auf Respekt. Für Djokovic geht es auch immer darum. Alcaraz wird ob seiner jugendlichen Frische gemocht, ob seiner Leistungen bewundert. Djokovic wird von seinen Gegnern gefürchtet, von seinen Fans vergöttert, sehr wohl von allen respektiert.
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Sein Status erlaubt es ihm, über den Dingen zu stehen. Dass ihm Alcaraz zuletzt den Rang abgelaufen zu haben schien, ihn im Finale der French Open an gleicher Stelle vor knapp drei Monaten regelrecht zerfleddert hatte, nagte aber an der lebenden Legende. Schon nach dem 1:0 im ersten Satz ballte der „Djoker“ die Faust als Botschaft in Richtung Alcaraz. Heute nicht, junger Freund! „Idemo, Nole“ riefen die in der Überzahl anwesenden Serben im Stadion. Auf geht‘s. Ins Nirvana.