Paris. Deutschlands Schwimmstar gibt große Rätsel auf. Nach dem Vorlauf-Aus über 800 Meter erlebt Wellbrock über 1500 Meter ein Desaster.
Die Schleichwege in der La Defense Arena von Paris kennt Florian Wellbrock inzwischen ganz gut. Was er am Sonnabendmittag für sich nutzte, um den an sich obligatorischen Weg vor die Fernsehkameras zu umgehen. Seine Lust, die eigene Leistung einzuschätzen nach den 1500 Metern Freistil, sank in den Minuten zuvor auf den Nullpunkt. Denn der deutsche Schwimmstar erlebte im Vorlauf einen unglaublichen Untergang.
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Diesen in Worte zu fassen, gelang dem Magdeburger an diesem Tag nicht mehr. Dafür brachte Bernd Berkhahn seine Fassungslosigkeit zum Ausdruck. „Das passt alles nicht zusammen, was wir trainiert haben, was er an Ergebnissen hatte, was er heute hier in der Vorbelastung gemacht hat. Ich kann mir das nicht erklären“, so der Bundestrainer. Als 14. hatte Wellbrock den Vorlauf beendet, mit fürchterlichen 15:01,88 Minuten. Nach 600 Metern konnte er nicht mehr mithalten und fiel weit zurück.
Ganzes Schwimmteam versucht, Wellbrocks aufzurichten
Körperliche Defizite konnte Berkhahn nicht ausmachen beim sechsfachen Weltmeister, der in Tokio 2021 Olympiadritter war über diese Distanz und im Februar WM-Silber gewann. „Wir haben kurz gesprochen. Er sagt, er hat nicht mehr den Druck gefunden, konnte nicht mehr richtig ansteuern und Kraft einsetzen. Wir sind im Moment einfach nur traurig“, erzählte Berkhahn und berichtete davon, dass das ganze Team versuchen würde, Wellbrock wieder aufzurichten.
Der Mann, der die deutschen Beckenschwimmer wieder in die Weltspitze führte, ist in der Mannschaft die zentrale Figur. In den vergangenen Jahren aber entwickelte er eine gewisse Unberechenbarkeit, erlebte viele bittere Rückschläge. So wie auch in Paris zum Auftakt, als er ebenfalls über 800 Meter im Vorlauf ausschied. Diese Strecke zählte jedoch nicht zum Hauptprogramm des 26-Jährigen, insofern beunruhigte das niemanden.
Viele Leistungsschwankungen in den Vorjahren
Trainingskollege Lukas Märtens, der Olympiasieger über 400 Meter Freistil wurde, konnte trotz des enttäuschenden ersten Resultats keine Veränderung bei Wellbrock feststellen. Der sei „cool, gelassen, er macht sein Ding. Er weiß genau, was er will“. Doch nun sieht alles anders aus, die große Ratlosigkeit ist zurück, die ihn öfter ereilte in der Vergangenheit, aber zuletzt aufgrund der guten Vorbereitung überwunden schien. Hinter Wellbrock stehen viele Fragezeichen.
Vor einem Jahr in Japan ging er nach dem Doppeltriumph im Freiwasser auf beiden Strecken im Becken regelrecht unter. Im Februar in Doha blieb er im Freiwasser ohne Medaille, schwamm dann über die 800 Meter hinterher, holte sich aber über die 1500 Meter letztlich Silber. „Ich bin jemand, der an solchen negativen Ereignissen oder Erlebnissen wächst“, sagte Wellbrock, der inzwischen mit Berkhahn einen guten Umgang mit den Rückschlägen gefunden hat, vor dem Rennen.
„Das passt alles nicht zusammen, was wir trainiert haben, was er an Ergebnissen hatte, was er heute hier in der Vorbelastung gemacht hat. Ich kann mir das nicht erklären.“
In Paris konnte der Coach schnell herausfinden, warum über die erste Distanz kein besseres Ergebnis heraussprang. Technisch war nicht alles perfekt, Wellbrock schwamm zu kraftraubend. „Er hat seinen Rhythmus nicht getroffen und war dann auch nicht in der Lage, das zu bemerken und umzustellen“, erzählte Berkhahn. Intensiv arbeitete er mit Wellbrock anschließend daran, musste ihn im Training eher bremsen.
An der Form zweifelte Berkhahn nicht, auch nach den 1500 Metern sah er keinen Grund, der dieses Resultat hätte rechtfertigen können. Daher dürfte wohl in der mentalen Belastung, die sich Wellbrock selbst auferlegt hat, ein Schlüssel zur Analyse liegen. Wobei der Fokus durch die starke Präsentation der deutschen Schwimmer mit Gold und Bronze in Paris nicht mehr allein auf ihm ruhte, was eher eine psychische Entlastung hätte darstellen sollen für den Star, der lange der Alleinunterhalter war bezüglich der Medaillen.
Als Titelverteidiger geht Wellbrock ins Freiwasser
Nun wird die Situation für ihn immer schwieriger. Seine olympischen Wettkämpfe sind noch nicht vorüber, Wellbrock geht über zehn Kilometer im Freiwasser als Titelverteidiger an den Start. Doch die unsicheren Bedingungen in der stark verschmutzten Seine, die als Austragungsort vorgesehen ist, beschäftigen den Athleten seit Langem. Natürlich hegt er sehr hohe Erwartungen nach vielen Erfolgen. Allerdings weiß er angesichts der Wasserqualität und der unberechenbaren Strömung nicht, was auf ihn zukommt.
Auch Sven Schwarz (Hannover/14:51,90) als Zehnter verpasste den Endlauf, konnte das aber schneller verkraften. „Das ist natürlich nicht unser Anspruch, wir wollen ins Finale“, sagte er und fügte mit Blick auf den Kollegen hinzu: „Das kann jedem mal passieren.“ Wellbrock muss den Schock nun irgendwie verarbeiten. Die Vergangenheit hat immerhin gezeigt, dass der dazu in der Lage ist.