Paris. Der Triumph von Lukas Märtens soll Kräfte freisetzen für das ganze Team D. Köhler und Imoudu verpassen die Bronzemedaille nur knapp.
Die Arbeit ließ nur wenig Zeit für das Vergnügen, im Prinzip gar keine. Weil er am Morgen danach schon wieder ins Wasser musste, fiel das Anstoßen für Lukas Märtens leider aus. Zu spät in der Nacht war er erst im olympischen Dorf angekommen, nur zwei oder drei Stunden Schlaf blieben ihm überhaupt.
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Für die unruhige Nacht war gewiss auch das Adrenalin verantwortlich, das nach diesem unvergesslichen Rennen einfach nicht aus dem Körper des Schwimmers entweichen wollte. In unnachahmlicher Manier hatte der 22-Jährige am ersten Tag, an dem bei den Olympischen Spielen in Paris Medaillen vergeben wurden, zugeschlagen. Gold über 400 Meter Freistil holte sich der Magdeburger.
Einstige Schwimmgrößen schwärmen von Märtens
Das rief unzählige Reaktionen hervor. „Ich weiß nicht, wer mich alles angerufen hat in der letzten Nacht“, sagte Märtens nach seinem Vorlauf über 200 Meter. Noch immer hatte er damit zu kämpfen, die Dimensionen seiner Leistung zu realisieren. „Ich kann meine Gedanken und Gefühle nicht in Worte fassen“, so der Athlet, der nach 36 Jahren ohne Beckengold bei den Männern für den Deutschen Schwimmverband eine lange Zeit des Darbens beendete.
Diesbezüglich meldete sich gleich eine Reihe von ehemaligen Schwimm-Größen zu Wort. Paul Biedermann etwa, dessen Weltrekord Märtens knapp verpasste, nahm Kontakt zu ihm auf. „Ich bin sehr beeindruckt, wie Lukas dieses olympische Finale geschwommen ist“, sagte der Doppelweltmeister von 2009, dem selbst ein Olympiasieg versagt blieb. Franziska van Almsick, die viele olympische Medaillen in Silber und Bronze sammelte, war „stolz und bewegt“, dass „ein Schwimmer die erste Medaille – und dann gleich noch eine goldene – für das deutsche Team geholt hat.“
Berlinerin Köhler voller Enttäuschung nach Platz vier
Auch einer derjenigen, die vor Märtens den bis dahin letzten Olympiasieg im Becken bei den Männern gefeiert hatten, freute sich über den großen Erfolg des Magdeburgers. Für ihn selbst, aber auch im Blick auf das gesamte Schwimmen. „Seit Jahrzehnten unterhalten wir uns darüber, dass es eine Lücke gibt“, sagt Michael Groß, der wie Uwe Daßler 1988 in Seoul triumphiert hatte: „Es ist super, dass neben dem Olympiasieg auch zwei deutsche Rekorde geschwommen wurden. Für mich ist noch wichtiger, dass es nicht nur eine Person gibt, die heraussticht, sondern viele, die ins Finale oder deutschen Rekord schwimmen können.“
Isabel Gose bestätigte mit ihrer Leistung über 400 Meter Freistil, die zu Rang fünf reichte, ebenso den Aufwärtstrend der deutschen Schwimmer wie die 4x100 Meter Freistil-Staffel der Männer, die Platz sieben belegte. Die Basis des DSV-Teams, das 2016 in Rio komplett ohne Medaille geblieben war, wird immer stärker. Die Berlinerin Angelina Köhler verpasste am Sonntagabend die zweite Medaille als Vierte über 100 Meter Schmetterling knapp.
„Lukas ist ein Beispiel dafür, dass harte Arbeit, die Liebe zum Sport und der Wille, gewinnen zu wollen, zählen.“
Aufgelöst war die 23-Jährige nach ihrem Rennen, versank in einem Tränenmeer. „Es ist so super traurig. Ich habe alles gegeben. Vierter ist der erste Verlierer. Ich muss das erst mal verarbeiten“, sagte die Weltmeisterin. Köhler schlug nach 56,42 Sekunden an. Den Sieg holte sich Torri Huske aus den USA. Silber ging an und deren Landsfrau und Weltrekordhalterin Gretchen Walsh. Bronze gewann Zhang Yufei, 21 Hundertstel fehlten der Berlinerin auf die Chinesin.
Noch näher dran war Melvin Imoudu im Finale über 100 Meter Brust, nur um sechs Hundertstel lag der deutsche Rekordhalter aus Potsdam als Vierter hinter den zeitgleichen Silbermedaillengewinnern Adam Peaty (Großbritannien) und Nic Fink (USA). Lucas Matzerath folgte beim Sieg des Italieners Nicolo Martinenghi kurz dahinter auf Rang fünf.
Der Weg von Lukas Märtens zu den Kraulstrecken eher ungewöhnlich ist. Bei seinen ersten deutschen Jahrgangs-Meisterschaften waren die 400 Meter Freistil als Fünftklässler sein erster Wettkampf. Nach 300 Metern hörte er auf zu schwimmen, bejubelte den ersten Platz, ohne zu wissen, dass er noch 100 Meter vor sich hatte. Das hat ihm den Spaß am Kraul über viele Jahre vermiest. „Aber je älter ich wurde, hat man im Training gesehen, was ich über die Kraulstrecken leisten kann. Meine Hassstrecken haben sich so zu meinen Lieblingsstrecken herauskristallisiert“, erzählt Märtens.
Märtens vereint körperliche und mentale Stärke
Trotz vieler gesundheitlicher Rückschläge gerade in den vergangenen Monaten arbeitete er mit Trainer Bernd Berkhahn, der ihn zu einem herausragenden Freistilschwimmer geformt hat, daran, sein großes Ziel zu erreichen. „Lukas ist ein Beispiel dafür, dass harte Arbeit, die Liebe zum Sport und der Wille, gewinnen zu wollen, zählen“, sagt van Almsick.
Für Märtens, der so kontrolliert und unbeeindruckt sein Programm abgespult hat, kann der Auftakt zu einer Initialzündung werden. Doch der Magdeburger bezieht das nicht nur auf sich. „Ich denke, dass ich dem ganzen Team einen Schub geben kann“, sagt der Schwimmer, der den Druck von den anderen genommen hat. Diese Last, die irgendwie auf allen liegt in den ersten Tagen der Spiele und die manchen Sportler bei den vergangenen Spielen schon durchaus gelähmt hat.
Deutsche Sportler sollen sich von Märtens motivieren lassen
Und zwar über alle Sportarten hinweg. Daher setzt auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) auf eine weitreichende Wirkung des berauschenden Rennes von Märtens. „Gold an Tag eins für Team D, das ist ein großartiger Auftakt in diese Olympischen Spiele. Das Team D sollte sich von dieser Leistung gleich zu Beginn der Spiele inspirieren und motivieren lassen“, sagt Thomas Weikert, der Präsident des DOSB.
Unter anderem für solche Fälle wie den von Märtens hat der DOSB sein Deutsches Haus bei Olympischen Spielen – um die großen Leistungen mit den Athleten würdig feiern zu können. Für Märtens fiel das bislang aus. Doch noch bleibt genug Zeit in Paris, vielleicht kommt ja noch mehr bei ihm zusammen, was die Party sogar noch größer machen könnte. „Ich hebe mir alles für später auf“, sagt Deutschlands erster Olympiasieger der Spiele von Paris. Bis dahin muss er allerdings auch erst einmal etwas Schlaf nachholen.