Paris. Im Team-Finale sind die USA-Turnerinnen auch dank Simone Biles nicht zu schlagen. Der Superstar gewinnt sein fünftes Olympia-Gold.
Die Monumente der Geschichte in Paris sind riesig. Notre Dame, Louvre, Grand Palais. Selbst der Petit Palais ist alles, aber nicht klein. Turn-Superstar Simone Biles braucht diese Art von Wucht nicht. Sie misst nur 1,42 Meter. Aber ihre Aura überstrahlt sogar den beleuchteten Eiffelturm. Sie ist ein Monument der Sportgeschichte.
Mit dem Team USA hat sich die Turn-Ikone bei den Olympischen Spielen in der französischen Hauptstadt gleich in der ersten Medaillenentscheidung bei den Frauen das erste Gold gesichert. Mit 171,296 Punkten siegten die favorisierten Amerikanerinnen vor Italien (165,494) und Brasilien (164,497). Am Ende jubelte Simone Biles im Glitzeranzug und US-Fahne gemeinsam mit ihren Teamkolleginnen Jade Carey, Jordan Chiles, Sunisa Lee und Hezly Rivera. Es ist der fünfte Olympiasieg für die 27-Jährige aus Ohio. Zwar waren diesmal nicht so viele Hollywood-Stars wie bei der Qualifikation anwesend, eine große Show gab es trotzdem. Simone Biles ist nach dem Drama von Tokio zurück auf der olympischen Bühne.
+++ Olympia News-Blog: Biles wieder überragend - Turn-Gold für Team USA +++
Olympia 2024: Simone Biles setzt den Schlusspunkt für Team USA
Die 15.000 Zuschauer in der Bercy-Arena hatten zuvor gespannt gewartet, bis Simone Biles endlich dran war. Als letzte der drei antretenden Amerikanerinnen startete sie in den Wettbewerb. Obwohl an allen vier Geräten – Sprung, Schwebebalken, Stufenbarren und Boden – parallel geturnt wurde, waren die Augen nur auf die erfolgreichste Turnerin der Welt gerichtet. Ausgerechnet am Sprung machte sie ihren Einstand in diesen Olympischen Wettbewerb – und sie stand ihn. Ihr breites Grinsen gehörte nicht nur zur Professionalität einer Turnerin, es kam tief aus ihrem Inneren. Und die Fans spürten das. „Simone, we love you“, hatten sie vor ihrem Anlauf gerufen. Die 27-Jährige reagierten ganz entspannt mit Luftküssen. Nun war da nur noch Applaus.
Dass dieser Einsatz am Sprung etwas Besonderes war, war allen klar. Denn er war vor drei Jahren zu einem Schicksalsgerät für Simone Biles geworden. Bei den Olympischen Spielen, die 2021 unter dem Eindruck der Corona-Pandemie, in Japan stattfanden, hatte der Superstar beim Sprung im Teamwettbewerb in der Luft die Orientierung verloren. „Twisties“ nennen Turnen dieses Phänomen, wenn das Gehirn mehr Bilder sendet als die Realität. Schwere Stürze können bei den waghalsigen Übungen die Folge sein.
Olympia-Star Simone Biles hat eine schwere Zeit hinter sich
Simone Biles reagierte sofort – und zwar rigoros. Sie sah sich mental nicht mehr in der Lage, in diesem Moment Wettkämpfe zu bestreiten. Sie entschied zu Gunsten ihrer psychischen Gesundheit und beendete den Team-Wettkampf vorzeitig, erklärte: „Wir sind nicht nur Entertainer, wir sind Menschen. Aber als Athleten verlieren wir manchmal den Kontakt zu unseren Gefühlen.“ Sie trat nur noch zum Schwebebalken noch einmal an. Statt viermal Gold wie 2016 in Rio verließ sie die Spiele mit einmal Bronze. Danach verschwand sie von der Bildfläche, zwei Jahre machte sie keine Wettkämpfe. Sie holte sich Hilfe, arbeitete auf, was tief in ihr für ein Ungleichgewicht gesorgt hatte.
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Eine große Stütze: ihr Ehemann Jonathan Owens. Der Profi-Footballer spielt in der NFL, er kennt den Druck, dem Top-Athleten ausgesetzt sind. Seine Frau sei eine große Inspiration für ihn. Doch bei Simone Biles war es nicht nur der Druck. Sie arbeitete auch den Missbrauch auf, den sie und etliche andere US-Turnerinnen lange Jahre durch den ehemaligen und mittlerweile verurteilten Team-Arzt Larry Nassar hatten erleben müssen. Je mehr sie ihre Seele befreite, desto mehr Spaß fand sie wieder am Turnen, entschied sich wieder zu trainieren. Vor den Spielen hatte sie, die in Paris nicht vor die Medien treten wird, gesagt: „Dieses Mal machen wir es für uns und niemanden sonst.“ Mit 16 Jahren hatte sie 2013 ihren ersten WM-Titel gewonnen, nun mit 27 Jahren ist die Anführerin des Teams USA.
Olympia 2024: Simone Biles hat zu alter Stärke zurückgefunden
Als solche tritt sie auch in Paris auf. Allein wie sie geht: Den kraftvollen Oberkörper leicht nach vorne geschoben, die Arme holen links und rechts ordentlich Schwung. Ein Gang voll Selbstbewusstsein. So bestimmt marschierte sie am Dienstagabend von Gerät zu Gerät, Seite an Seite mit ihren Teamkolleginnen, die sie anfeuerte, die sie abklatschte. Ständig begleitet von Kameras, bejubelt von den Fans, sobald sie auf dem großen Videowürfel zu sehen war.
Die Geschichte wollte es so, dass Simone Biles die letzte Übung gehörte, als alle anderen Athleten schon fertig waren. Der Druck hätte größer nicht sein können. Doch sie blieb ganz bei sich, zaubert eine atemberaubende Darbietung auf den Boden. Für viele ist sie längst ein Vorbild. Sie repräsentiert einen neuen Zeitgeist im Turnen. Einen, in dem Athleten sich, ihre Körper und ihre Seelen nicht mehr für den Wettkampf zerstören müssen. Und jetzt, jetzt ist sie zurück.