Paris. Das Olympische Dorf in Paris liegt weit im Norden und soll ein Viertel aufwerten. Doch zunächst ist es die Welt der Athleten.

Kaum ist die Sicherheitskontrolle überstanden, der Gang über eine schmale Rampe gemacht, klärt ein Wegweiser auf. Links geht es zum Schönheitssalon; den Gang hoch zum Café, zur Post, zur Touristik-Information und zum Kindergarten; rechts zur Bank und zu Einkaufsmöglichkeiten. Aber auch: zur Athleten-Lounge. Willkommen im Olympischen Dorf der Sommerspiele 2024 in Paris.

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    Es ist nicht schön, hierherzukommen, aber umso schöner, wenn man erstmal da ist. Mit dem Bus lässt man auf einer rund 30 Minuten langen Fahrt die Pracht im Zentrum der französischen Hauptstadt hinter sich. Es geht in die nördlichen Vororte. Spektakuläre Fassaden weichen Graffiti auf Waschbeton. Das 54 Hektar große Olympische Dorf erstreckt sich über die Gemeinden Saint-Denis, Saint-Ouen und die Insel Saint-Denis. Die Gegend ist geprägt von Kriminalität und hoher Jugendarbeitslosigkeit.

    Ein Areal so groß wie 70 Fußballfelder

    Das Olympische Dorf erscheint dagegen wie eine andere Welt. Und das soll auch so sein: ein geschützter Raum für die Athleten, die ab Samstag in Paris um höchste olympische Weihen kämpfen. Betritt man ihre Welt, ist es zunächst so, als hätte jemand einen Geräuschfilter eingeschaltet. Obwohl unzählige Menschen herumwuseln, wirkt alles irgendwie gedämpft. Eine Stille wie kurz vor einem großen Knall. Sie ist friedlich, aber auch freundlich. Manchmal hört man nur das leise Rauschen der Elektroautos, mit denen die Sportler chauffiert werden. Alles ist auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten: Es gibt ein Fitnessstudio, Möglichkeiten zum Entspannen, zum Erholen, auch mal zum Abschalten. Nahezu jeder hier trägt ein Lächeln, ist entspannt. Aber da ist auch Spannung spürbar, es kribbelt. „Im Dorf herrscht eine freundliche Atmosphäre in geschütztem Rahmen“, sagt der ehemalige Kanute und Olympiasieger Max Hoff (41), der vier Spiele erlebt hat. „Es ist überwältigend, ein Riesengelände, alle Athleten kommen zusammen.“

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      In Paris ist das Areal so groß wie rund 70 Fußballfelder. Der Umbau der ehemaligen Industriebrache hat rund 1,71 Milliarden Euro gekostet. Dadurch soll auch der Stadtteil aufgewertet werden: Viele Appartements werden zwar nach den Spielen verkauft, doch es sind auch Sozialwohnungen geplant.

      Das deutsche Haus im Olympischen Dorf.
      Das deutsche Haus im Olympischen Dorf. © dpa | Michael Kappeler

      Architektur im Olympischen Dorf alles andere als Hochhaussiedlung

      Zunächst aber leben hier Athleten aus mehr als 200 Ländern zusammen. „Ich habe damals Wahnsinnsleute getroffen“, sagt Hoff. Basketball-Idol Dirk Nowitzki saß 2008 in Peking neben ihm beim Essen am Tisch, mit Sprint-Superstar Usain Bolt fuhr er im gleichen Bus. „Für viele ist es einfach ein Traum, den olympischen Geist zu erleben.“

      Dieser weht hier nicht nur, er pustet förmlich durch die Gassen. An den Balkonen wackeln die Banner der jeweiligen Nationen hin und her, nicht alle lassen sich auf Anhieb zuordnen. Staunend läuft man zwischen den 82 Bauten mit den vielen Grünanlagen umher, die so gar nicht nach Hochhaussiedlung aussehen. Dass die Hitze zwischen und in den Riesen nicht steht, ist einer nachhaltigen Bodenkühlung zu verdanken. Kaum ein Gebäude gleicht dem nächsten: Mal ist die Fassade aus Holz, mal geschwungen, mal trägt sie verspielte Balkone. Als wäre man in eine Architekturausstellung im Orginalmaßstab geraten.

      Mittendrin, mit der Hausnummer D6: das deutsche Haus. Vollständig beflaggt in Schwarz-Rot-Gold ist es am Ufer der Seine nicht zu verfehlen. Innen drin: liebevolle Dekorationen, selbst die Teelichthalter haben Landesfarben. Und spätestens wenn man auf der Dachterrasse im Blumenbeet neben den Fitnessgeräten die Gartenzwerge entdeckt, weiß man, wo man gelandet ist.

      Die Handball-Nationalspielerinnen Katharina Filter (r.) und Jenny Behrend sitzen in ihrem Zimmer in der deutschen Unterkunft im Olympischen Dorf.
      Die Handball-Nationalspielerinnen Katharina Filter (r.) und Jenny Behrend sitzen in ihrem Zimmer in der deutschen Unterkunft im Olympischen Dorf. © dpa | Michael Kappeler

      Schweden ordern kurzer Hand neue Matrazen von Ikea

      Kommen neue Athleten an, werden sie von den bereits eingezogenen empfangen: mit Applaus und Musik. Der Text von Cluesos Olympia-Song „Für immer jetzt“ hängt im Fahrstuhl. Auf zehn Etagen hat der Deutsche Olympische Sportbund in 96 Appartements 461 Betten zur Verfügung – Einzel- oder Doppelzimmer, verteilt auch auf viele WGs mit bis zu zehn Bewohnern. „Klein, aber muckelig“, nennt Handballerin Jenny Behrend die Zimmer. Im neunten Stock ist schon alles für die Sprinterinnen um Gina Lückenkemper bereit. Wenn die 27-Jährige ganz genau hinschaut, kann sie sogar in der Ferne vom Balkon aus die Streben des Stade de France sehen, in dem die Leichtathletik-Wettbewerbe ausgetragen werden.

      Geschlafen wird auf dem gleichen Bettmodell wie bei den Spielen 2021 in Tokio, das aus Pappe besteht und sich einen Ruf als „Anti-Sex-Bett“ erworben hat. Angeblich, weil die Konstruktion instabil ist. Doch der Eindruck trügt, erste Athleten hopsten zum Test schon erfolgreich darauf herum. Die Matratze allerdings ist recht hart. Das schwedische Team orderte prompt neue – natürlich bei Ikea.

      Die so genannten Anti-Sex-Betten sind wie schon bei Olympia in Tokio aus Pappe.
      Die so genannten Anti-Sex-Betten sind wie schon bei Olympia in Tokio aus Pappe. © dpa | Michael Kappeler

      Bei all der Ablenkung den Fokus nicht verlieren

      Im Dorf sind die Schweden in einer Art Skandinavien-Ecke neben den Häusern von Dänemark, Finnland und Norwegen untergebracht. Mit bestem Blick auf die zentral aufgebauten olympischen Ringe. Die sind natürlich ein begehrtes Fotomotiv – und es hat schon etwas Amüsantes, wenn ellenlange Volleyballer versuchen, sich in die Hohlräume der Ringe zu zwängen. Jetzt bloß nicht verletzen!

      Noch beliebter als das Ringemotiv sind wie so oft bei Olympischen Spielen die Ansteck-Pins. So sieht man belgische Athletinnen, die mit Hand und Fuß kommunizieren, um mit einem Volunteer jene Pins zu ertauschen, die noch nicht an ihrem Bändchen hängen.

      In der Mensa im Olympischen Dorf finden 3500 Athletinnen und Athleten Platz
      In der Mensa im Olympischen Dorf finden 3500 Athletinnen und Athleten Platz © dpa | Michael Kappeler

      Die Eindrücke überrollen einen förmlich. „Für manche ist es nicht einfach, sich bei der ganzen Unruhe zu konzentrieren“, sagt Tischtennis-Bundestrainer Jörg Roßkopf. Der 55-Jährige hat schon 1988 als Spieler Olympia erlebt. Für ihn ist „das Dorf eigentlich immer gleich“, das Pariser gefällt ihm von der Aufmachung jedoch sehr gut. Nur der Transport könnte besser, die Schlange beim Essen in der Mensa, in der 3500 Menschen Platz finden, kürzer sein. Die Vorfreude ist ihm dennoch anzusehen. „Olympia ist immer etwas Spezielles.“

      Es fehlen die ganz großen Weltstars

      Vor allem die Begegnung mit anderen Sportlern. Er habe damals erlebt, wie das US-Basketball-Dream „mit der Bimmelbahn durchs Dorf“ gefahren ist. Tennis-Ikone Boris Becker habe häufiger beim Tischtennis-Team gesessen. „Heute sind viel weniger Weltstars da“, sagt er. Größen wie Schwimmer Michael Phelps und Usain Bolt haben sich in den Ruhestand verabschiedet. Viele Athleten hoffen daher diesmal auf eine Begegnung mit den US-NBA-Stars um LeBron James, die ab der Hauptrunde in Paris weilen. „Eine Simone Biles hier mal zu sehen, wäre auch nicht schlecht“, sagt Handball-Torhüterin Katharina Filter.

      Der US-Turnstar ist wieder einmal großer Favorit. Sie im Gewusel des olympischen Treibens zu entdecken, dürfte eine Herausforderung sein: Die 27-Jährige misst nur 1,42 Meter.

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