Düsseldorf/Paris. DOSB-Chef Thomas Weikert im Gespräch über Olympia und Politik, Ukraine und Russland, Sicherheitsbedenken und deutsche Medaillen-Chancen.

Thomas Weikert fühlt sich wohl. Das merkt man, weil dem 62-Jährigen die Worte nur so aus dem Mund sprudeln. Vor allem aber, weil er nun auch das komplette Outfit der deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer für die an diesem Freitag beginnenden Olympischen Spiele in Paris verfügt. Es kann also losgehen nach Frankreich – für Thomas Weikert ist es die erste Sommer-Edition des Ringe-Spektakels als Präsident des Deutschen Olympischen Sport-Bundes. Sie könnte an Themen, Problemen, Hoffnungen und Wünschen kaum reicher sein.

Herr Weikert, worauf freuen Sie sich in den kommenden Tagen mehr: auf die erste Goldmedaille für Deutschland bei den Olympischen Spielen oder auf endlich wieder volle Tribünen in Paris?

Auf den ersten deutschen Olympiasieg natürlich. Eine Goldmedaille am ersten Tag wäre gleich eine Befreiung für die ganze Mannschaft. Aber ich bin auch froh, dass wir in Paris volle Ränge erleben werden. Die Zuschauer haben gefehlt in Peking.

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Olympia 2024: „Mulmiges Gefühl“ bei einigen vor Eröffnungsfeier auf der Seine

Es sind Ihre ersten Sommerspiele als DOSB-Präsident. Mit welchen Erwartungen und Hoffnungen fahren Sie nach Frankreich?

Dass alles friedlich ist, das gilt vor allem für die Eröffnungsfeier: Ein paar Kilometer über die Seine zu fahren, bedarf schon großer Organisation und großer Sicherheitsvorkehrungen. Einige Athleten und Zuschauer werden vielleicht ein mulmiges Gefühl haben. Ich vertraue auf die französischen Sicherheitsbehörden, die erfahren und professionell sind. Was aber überwiegt: Es können endlich wieder Olympische und Paralympische Spiele ausgetragen werden, wie sie sein sollen: frei, mit begeisterten Zuschauern in den Stadien und auf den Straßen, die Sportler können sich darauf freuen.

Thomas Weikert (Mitte) im Gespräch mit den Olympia-Reportern Melanie Meyer und Andreas Berten.
Thomas Weikert (Mitte) im Gespräch mit den Olympia-Reportern Melanie Meyer und Andreas Berten.

Nach den Corona-bedingten Einschränkungen in Tokio 2021 und Peking 2022 steht Paris nun vor ganz anderen Herausforderungen. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, Antisemitismus gegenüber Israel, ein Rechtsruck in Europa. Die Jugend der Welt reist an, aber kann sie überhaupt unbeschwerte Spiele erleben?

Sie soll unbeschwerte Spiele erleben, ja. Allerdings ist die Frage vor dem Hintergrund der politischen Situation nicht ganz einfach zu beantworten. Ich bin froh, dass ein großes ukrainisches Team in Paris sein wird. Es zeigt, dass die Welt diejenigen, die durch Krieg bedroht sind, unterstützen. Auch wir haben unseren Teil dazu beigetragen, indem wir ukrainische Sportler in Deutschland aufgenommen haben. Und was den Rechtsruck angeht, den wir in Europa erleben: Gerade hat Macron in Frankreich den Sieg der rechten Populisten verhindert. Die demokratischen Parteien haben noch immer die Mehrheit hier – und das ist gut so. Und wenn wir jetzt mal wieder auf den Sport blicken: Der DOSB und das Team Deutschland stehen für demokratische Werte ein, wir stehen für Vielfalt, Respekt und Fair Play.

Olympia 2024: Die AfD ist im Deutschen Haus nicht willkommen

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Was halten Sie von Athletinnen und Athleten, die sich politisch positionieren, ihre Stimme erheben?

Das Wort von Athletinnen und Athletinnen hat Gewicht – in Deutschland und in der Welt. Wenn sie sich zu politischen oder gesellschaftlichen Problemen äußern, wird das von der Öffentlichkeit wahrgenommen. Ich erachte es für wichtig, das zu tun. Aber: Wir stellen es den Mitgliedern des Teams Deutschland ausdrücklich frei, innerhalb der Regel 50 der olympischen Charta die Meinungsfreiheit zu nutzen. Jeder kann, aber niemand muss sich äußern.

So wie sich der DOSB klar weigert, AfD-Politik in Paris im Deutschen Haus zu begrüßen. Fürchten Sie nicht, dafür aus dem rechten Spektrum instrumentalisiert zu werden?

Wir machen deutlich, was unsere Werte sind. Und setzen ein Zeichen, dass diese Werte des Sports nicht vereinbar sind mit dem, wofür die AfD steht. Es ist daher nur konsequent, Kontakt zu oder Treffen mit der AfD abzulehnen und sich dadurch nicht vereinnahmen zu lassen.

Sport ohne Politik gibt es fast gar nicht mehr.

Die größte Organisation in unserem Land mit mehr als 28 Millionen Mitgliedern kann sich nicht im luftleeren Raum bewegen. Die Verbindung ist notwendig. Wir brauchen die Unterstützung der Politik, um unsere sportlichen Ziele erreichen zu können. Sport und Politik lassen sich nie vollständig trennen. Unser Auftrag als Dachorganisation ist politisch, wenn wir zu politischen Themen, die natürlich auch immer den Sport betreffen, gefragt werden, können und wollen wir nicht schweigen.

Vor den Olympischen Sommerspielen in Paris: Zwei Polizisten stehen hinter einer Absperrung, im Hintergrund ist der Arc de Triomphe zu erkennen.
Vor den Olympischen Sommerspielen in Paris: Zwei Polizisten stehen hinter einer Absperrung, im Hintergrund ist der Arc de Triomphe zu erkennen. © dpa | Michael Kappeler

Bedauerlich ist nur, wenn der Sport missbraucht wird. Wladimir Putin hatte sich unmittelbar vor den Winterspielen 2022 in Peking von Xi Jinping beim Staatsbesuch Unterstützung für seine Kriegspläne in der Ukraine zusichern lassen, die er zwei Tage nach der Abschlussfeier in die Tat umsetzte.

Genau das ist zu verurteilen. Zum Glück werden diese und die nächsten Sommerspiele in demokratischen Staaten ausgetragen.

Olympia 2024: Für Weikert zeigen die Sanktionen gegen Russland Wirkung

Lange wurde ein Ausschluss russischer und belarussischer Athleten gefordert, auch von Ihnen. Warum haben Sie ihre Meinung geändert?

Am wichtigsten sind mir die Ukrainer. Sie nehmen teil und konnten trotz Krieg und Zerstörung mit Hilfe vieler, auch unserer, trainieren und werden mit einem guten Team in Paris antreten. Wir haben von Anfang an den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine auf das Schärfste verurteilt und sportliche Sanktionen unterstützt. Wir haben dann formuliert, welche Bedingungen zwingend erfüllt sein müssten, wenn russische und belarussische Athleten zugelassen werden: Wenn sie mit dem Krieg, dem Militär und Doping nichts zu tun haben, wenn sie keinerlei Symbole für ihr Land tragen werden. Im Endeffekt sind nun nicht einmal 40 neutrale Athleten in Paris am Start, gegenüber 300 bis 400 bei früheren Spielen. Das zeigt, dass die Sanktionen greifen.  

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Beschäftigt das Thema auch die deutschen Athletinnen und Athleten?

Natürlich beschäftigt sie das. Einige Athleten sagen: Wir wollen keine Russen bei Olympischen Spielen, andere sind der Meinung, Athleten dürfen nicht für das bestraft werden, was ihre Regierungen tun. Das Bild ist gespalten – so wie es auch in der Gesellschaft vielfältige Meinungen zu diesem Thema gibt.

Olympia 2024: Bundespolizei sorgt für Sicherheit am Deutschen Haus in Paris

Die Sicherheit wird in Paris auch eine große Rolle spielen.

Wir haben die Athletinnen und Athleten über diesen Aspekt informiert, so wie wir das immer vor den Spielen tun. Unser Deutsches Haus im Stade Jean-Bouin wird durch ein starkes Kontingent der Bundespolizei geschützt, hier danken wir dem Bundesinnenministerium. Wir werden pro Tag bis zu 3000 Menschen in der Fan Zone und 1500 Menschen im Deutschen Haus begrüßen, deshalb ist dieser Schutz notwendig.

So traurig die Notwendigkeit dazu offenbar ist.

Es ist eine Vorsorgemaßnahme. Wir haben auch keine Angst, ins Deutsche Haus zu gehen – im Gegenteil, ich freue mich sehr darauf. Dennoch muss die Sicherheit für alle, die sich dort aufhalten, gewährleistet sein.

Die Eröffnungsfeier auf der Seine ist mit 300.000 Besuchern ein Spektakel. Würden Sie Athleten empfehlen, dorthin zu gehen?

Das kann ich bezüglich der Sicherheitsaspekte eindeutig bejahen. Natürlich ist da noch das Sportliche, über das jeder für sich in Abstimmung mit den Trainern und dem Verband entscheiden muss, ob es mit seinem Wettkampfplan vereinbar ist. Ich verstehe jeden Sportler, der diesen einzigartigen Moment miterleben möchte. Andere treffen die nachvollziehbare Entscheidung, die Eröffnungsfeier lieber vor dem Fernseher mitzuerleben. Wieder andere wie die Leichtathleten reisen traditionell immer erst zur zweiten Woche an.

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Sie wollen und sollen sich ja auch auf ihre Wettkämpfe konzentrieren. In Tokio schnitt das deutsche Team so medaillenarm wie seit der Wiedervereinigung 1992 nicht mehr ab, von 37 Medaillen glänzten zehn golden. Was hat sich seitdem im deutschen Spitzensport getan?

Wir haben in den vergangenen zwei Jahren gemeinsam mit dem BMI eine Spitzensportreform auf den Weg gebracht, die die Sportförderung in Deutschland künftig neu aufstellen soll. Da sind wir gerade mittendrin. Nur braucht es noch Zeit, bis die Früchte einer solchen Reform geerntet werden können: frühestens in Brisbane, sicher noch nicht jetzt in Paris und auch noch nicht in Los Angeles, weil deren Resultate vom bisherigen System herrühren. Für Paris haben wir das aktuelle Leistungsvermögen ausgewertet und stellen fest: Wir stehen nicht schlechter da als vor Tokio.

Olympia 2024: Wann DOSB-Chef Weikert von erfolgreichen Spielen sprechen würde

Wann würden Sie von erfolgreichen Spielen in Paris sprechen?

Aus deutscher Sicht wären es erfolgreiche Spiele, wenn wir uns im Medaillenspiegel unter den ersten Zehn wiederfinden würden. Das ist realistisch. Und damit wäre der Abwärtstrend im Sommer gestoppt. Mein persönliches Ziel wäre eine leichte Verbesserung gegenüber Rang neun in Tokio. Die Fans dürsten immer nach Medaillen – aber dann gehen auch viele der vierten bis achten Plätze unter. Man muss ergänzen, dass die Welt heute eine andere ist als vor 20 Jahren, viel mehr Nationen sich auf Einzelsportarten spezialisiert haben und dort abräumen.

Seit 2016 dient Potas, eine Abkürzung für das ungelenkige Wort Potenzialanalysesystem, als Grundlage für die Mittelvergabe an die olympischen Sportverbände. Welche ist die richtige Spitzensportförderung für Deutschland?

Eine, die unbürokratisch und flexibel ist und schnell auf aktuelle Entwicklungen im Weltsport reagieren kann. Wir schauen uns ja auch andere Fördersysteme an: in den Niederlanden oder in Norwegen zum Beispiel. Dort fällt auf, dass man sich auf weniger Sportarten konzentriert, was allerdings auch dazu führt, dass andere dabei hinten überfallen.

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Dieser Gedanke steckt doch aber auch hinter Potas.

Grundsätzlich wird bei uns eine breite Palette an Sportarten gefördert. Die jeweilige Höhe der Förderung richtet sich allerdings unter anderem nach den in der Vergangenheit erbrachten Leistungen und erzielten Erfolgen sowie nach dem prognostizierbaren Potenzial in der überschaubaren Zukunft. Das Ganze hat aber auch zwei Seiten: Würden wir jetzt einer Sportart komplett die Zuwendungen streichen, wäre sicherlich auch vielen Jugendlichen die Chancen genommen, in Zukunft mal an Olympischen Spielen teilzunehmen.

In Deutschland gibt es nicht mehr so viele Athletinnen und Athleten von Weltruhm in Sportarten mit besonderer Strahlkraft. Weil Gold, Silber und Bronze laut Studien an Bedeutung verlieren, motivieren sich junge Leute immer weniger für Hochleistungssport. Haben wir verlernt, zu kämpfen und uns aufzureiben?

Ich halte dagegen und gebe Ihnen ein anderes Beispiel. Im Basketball sind alle Vereine voll mit Mitgliedern. Warum? Weil wir da Weltmeister geworden sind. Wir haben in vielen Sportarten vielversprechende Talente. Woran es in Deutschland aber fehlt, was wir verbessern müssen: die Bezahlung der Trainer an der Basis und an der Spitze. Vielleicht sollten wir die Ehrenamtspauschale von 200 Euro mal erhöhen oder Rentenpunkte verteilen. Dass Übungsleiter auch etwas davon im Alter haben, wenn sie vorher sechs Stunden unter der Woche Kinder trainieren. Wir müssen gute Trainer ausbilden, die dann, wenn sie Topleute sind, vernünftig bezahlt werden und auch nicht wegen besserer Konditionen ins Ausland gehen. Das schlägt sich dann auch auf die Leistungsbereitschaft und Freude am Sport bei Kindern und Jugendlichen nieder. Und wir müssen gemeinsam mit der Politik daran arbeiten, dass wir als gesamtes Land wieder mehr in Bewegung kommen.

Olympia 2024: Weikert will in Paris Werbung für Spiele in Deutschland machen

Könnten Olympische Spiele in Deutschland dazu beitragen, sich mehr sportlich zu betätigen?

Absolut. Wir werden die Begeisterung der Spiele in Paris mit nach Deutschland nehmen, für unsere eigene Bewerbung. Und wir wollen die Spiele in Paris auch nutzen, um beim IOC und den Kollegen der Nationalen Olympischen Komitees Werbung zu machen für Olympische und Paralympische Spiele in Deutschland – wann auch immer sie bei uns stattfinden können. Denn wir sind davon überzeugt, dass die Spiele einen positiven Effekt für die gesamte Gesellschaft hätten.

Der DOSB hat sich klar positioniert, will das Ringe-Spektakel nach sieben gescheiterten Bewerbungen wieder nach Deutschland holen. Frühestens 2036, aber für diese Austragung steht IOC-Präsident Thomas Bach nahezu im Wort in Indien oder Katar. Die Winterspiele 2038 sind der Schweiz versprochen. Wie realistisch ist da der Wunsch, erstmals seit 1972 wieder Ausrichter zu werden?

Es wird über viele Bewerber spekuliert. Wenn sich die Politik ganz klar für Olympia positioniert – wir gehen davon aus, dass es noch in diesem Monat einen entsprechenden Kabinettsbeschluss geben wird –, sehe ich gute Möglichkeiten, unser Vorhaben im Ausland und beim IOC gut zu repräsentieren. Meine Aufgabe ist es, mit den IOC-Mitgliedern und anderen NOK-Präsidenten zu sprechen. Und die fragen mich immer: Wann wollt Ihr denn mal wieder Olympische Spiele organisieren? Manche tun das vielleicht nur aus Höflichkeit, viele aber stehen mit dem Herzen dahinter und sagen: Ihr könnt Weltmeisterschaften austragen, dann könnt Ihr auch Olympia.