Hamburg. Die Türkei ringt Tschechien nieder und zieht ins EM-Achtelfinale ein. Nach 70-minütiger Überzahl fällt der Siegtreffer in der Nachspielzeit.
Als die Nachspielzeit im Hamburger Volksparkstadion fast schon abgelaufen war, folgte der letzte Tusch des Abends. Cenk Tosun war es, der einen Befreiungsschlag nutzte und mit dem 2:1 in allerletzter Minute das sichere Achtelfinalticket für die Türkei löste. Die Tschechen, die lange Zeit in Unterzahl spielen mussten, waren dagegen untröstlich und müssen als Schlusslicht der Gruppe F nun die Heimreise antreten.
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Dabei war die Frage, die in der Türkei in den vergangenen Tagen die ganze Nation beschäftigt hatte, bereits eine Halbzeit vor der ersten Halbzeit beantwortet worden. Gut 45 Minuten vor dem Anpfiff stand fest: Supertalent Arda Güler, beim 0:3 gegen Portugal schmerzlichst in der Heimat vermisst, war in der Startelf.
Türkei siegte 2:1 gegen Tschechien
Diese an den Stammtischen heiß diskutierte Personalie hatte am Vortag sogar dazu geführt, dass sich Mehmet Büyükeksi, der Präsident des türkischen Fußball-Verbandes (TFF), höchstpersönlich einschalten musste. Büyükeksi sprach von einer „böswilligen und schmutzigen Kampagne“ in den sozialen Medien und stärkte dem stark in die Kritik geratenen Chefcoach Vincenzo Montella den Rücken.
Güler selbst ließ sich am Abend nichts von all dem Theater in der Heimat anmerken. Um 19.35 Uhr betraten er und seine Kollegen erstmals den Rasen im ausverkauftem Volksparkstadion und verursachten direkt einen ersten Jubelorkan, der möglicherweise sogar im zehn Kilometer entfernten Blankenese noch zu hören gewesen ist.
Supertalent Güler wurde lautstark gefeiert
Noch lauter wurde es handgestoppte 277 Sekunden nach dem Anpfiff, als eben jener Bubi, der bereits mit 17 Jahren das Trikot der A-Nationalmannschaft überstreifen durfte, erstmals gegen die Tschechen den Ball streichelte. Und wer hatte den ersten Torschuss des Spiels? Natürlich: „Güler! Güler!“, wie die Fans nicht müde wurden zu rufen.
Dabei soll nicht verheimlicht werden, dass auch in Tschechien in den Tagen vor dem Entscheidungsspiel leidenschaftlich diskutiert wurde. Doch anders als im türkischen Fall Güler ging die tschechische Frage der Nation nicht gut aus: Der an der Wade verletzte Superstar Patrik Schick blieb nur ein Platz auf der Bank.
Gelb-Rot nach nicht einmal 20 Minuten
Doch statt über Schick wurde in Tschechien schon bald ein ganz anderer Name hoch unter runter diskutiert: der von Antonin Barak. Der 29 Jahre alte Italien-Legionär brachte das Kunststück fertig, innerhalb von nur 20 Minuten gleich zweimal Gelb zu sehen. Und den internationalen Regeln zufolge bedeutete dieses Missgeschick auch in Hamburg: Gelb-Rot.
70 Minuten in Unterzahl – und das bei immer noch subtropischen Temperaturen von 27 Grad. Eine echte Herkulesaufgabe für die Schicklosen Tschechen, die aber zumindest den Rest der ersten Hälfte geschickt verteidigten. Und sich dann sogar kurz vor dem Seitenwechsel die bis dahin größte Chance des Spiels herausspielten.
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Nachdem ausgerechnet Güler den Ball verlor, stand plötzlich Tschechiens David Jarasek ganz alleine vor dem türkischen Tor. Torhüter Mert Günok verhinderte Schlimmeres, so dass beide Mannschaften ohne eigenen Torerfolg in die Kabine mussten, dabei aber immerhin das gute Gefühl mitnehmen konnten, sich mit nur einem Tor sicher für das Achtelfinale qualifizieren zu können.
Und das erhoffte Tor sollte im zweiten Durchgang nicht lange auf sich warten. Gerade einmal fünf Minuten nach dem Wiederanpfiff spielten sich die Türken im tschechischen Strafraum fest, schossen aus allen Lagen und wurden schließlich durch den früheren Hamburger Hakan Calhanoglu belohnt.
Calhanoglu jubelte zehn Jahre später an „seiner“ Eckfahne
Ausgerechnet Calhanoglu. Der mittlerweile 30-Jährige starte vor gut zehn Jahren an gleicher Stelle seine internationale Top-Karriere, als er ein Jahr lang beim HSV auf Torejagd ging und nach seinem umstrittenen Wechsel zu Leverkusen an der Eckfahne von HSV-Fans mit Bierbechern beworfen wurde. Übrigens an der gleichen Eckfahne, an dem ihn eine Dekade später nun sämtliche Herzen der türkischen Anhänger zuflogen.
Doch wer dachte, dass dieses Tor bereits die Entscheidung gewesen sein sollte, der wurde wenig später eines Besseren belehrt. Nachdem Türkeis Torhüter Günok den Ball nicht festhalten konnte, bedankte sich Tomas Soucek und sorgte mit der ersten tschechischen Chance der zweiten Halbzeit für das überraschende 1:1 (66.).
Türkei spielt in Leipzig gegen Österreich
Zehn Tschechen versuchten nun alles, bissen sich aber an elf Türken und gefühlten 50.000 Düsenjäger im Volkspark immer wieder die Zähne aus. Dann kam Tosuns Last-Minute-Treffer und nach 96 Minuten stand endlich fest: Die türkische Mannschaft fliegt noch nicht nach Hause. Das hätte wahrscheinlich auch deutlich größere Kontroversen nach sich gezogen, als die Debatte um die türkische Entscheidung, die 150 Kilometer (!) lange Anreise aus dem EM-Quartier in Hannover mit der Chartermaschine zurückzulegen. Direkt nach Abpfiff kam es noch zu unübersichtlichen Szenen, in einem Handgemenge zwischen Spielern beider Teams sah der Tscheche Tomas Chory die Rote Karte.
Unter dem Strich steht für die Türkei: Der EM-Flug geht weiter – am kommenden Leipzig nach Leipzig, wo dann Österreich wartet.