Hamburg. Schon vor dem Hamburg-Spiel gegen Tschechien gilt der Real-Madrid-Star als Superyoungster der EM. Was Stefan Kuntz damit zu tun hat.
Stefan Kuntz ist in diesen Tagen ein gefragter Mann. Der neue HSV-Chef ist so etwas wie der Super-Experte, wenn es vor dem Entscheidungsspiel zwischen der Türkei und Tschechien an diesem Mittwoch (21 Uhr/live im ZDF und bei MagentaTV) im Hamburger Volksparkstadion um eine Einordnung der Alles-oder-Nichts-Partie geht. „Ich habe zahlreiche Anfragen von türkischen Medien erhalten, die habe ich aber eigentlich alle geblockt“, sagt Kuntz und lacht. „Die dürfen eh schreiben, was sie wollen.“
Kaum einer kennt die türkische Nationalmannschaft und die türkischen Medien besser als Kuntz. Das liegt vor allem daran, dass der neue HSV-Vorstand noch bis vor Kurzem selbst Nationaltrainer und damit in unmittelbarer Konkurrenz zu all den schreibenden Nationaltrainern der türkischen Gazetten war. „In der Türkei ist jeder Journalist ein vermeintlich besserer Nationaltrainer als der eigentliche Coach selbst“, sagt Kuntz. „Das mag überall auf der Welt so sein, aber in der Türkei ist das noch mal sehr viel schärfer.“
Türkei gegen Tschechien: Ex-Trainer Kuntz ist optimistisch
Nun, bis vor einem Dreivierteljahr stand Kuntz tatsächlich noch als türkischer Chefcoach an der Seitenlinie, ehe ihm eine 2:4-Niederlage gegen Japan (und die beißende Medienkritik) im Anschluss den Job (und die EM) kosteten.
Doch Kuntz ist Optimist aus Überzeugung, eine Frohnatur, die gegen die türkischen Verantwortlichen keinen Groll hegen kann und will – und deswegen an diesem Mittwochabend auf der Tribüne zum Türkeifan mutiert. „Und ich würde schon sagen, dass die türkische Mannschaft stark genug ist, sich auch gegen Tschechien durchzusetzen.“
Einer der Hauptgründe für Kuntz‘ chronischen Türkei-Optimismus hat einen Namen: Arda Güler. Das Supertalent dieser Europameisterschaft, das im ersten Gruppenspiel gegen Georgien mit 19 Jahren und 114 Tagen zum jüngsten Spieler wurde, der bei seinem EM-Debüt ein Tor erzielte und damit sogar Cristiano Ronaldo überflügelte. „Er hat ein außerordentliches Talent“, sagt Kuntz.
Was er zunächst nicht sagt: Kuntz hatte mit nur einem Anruf maßgeblichen Einfluss darauf, dass die Karriere dieses Superyoungsters, der im vergangenen Jahr für 20 Millionen Euro zu Real Madrid gewechselt ist, in Schwung gekommen ist. Im November 2022 rief Kuntz zusammen mit seinem damaligen Co-Trainer Kenan Kocak den damals noch 17 Jahre alten Teenager an.
Kuntz wollte Güler in Ruhe aufbauen
Obwohl Güler bis zu diesem Zeitpunkt gerade einmal fünf Kurzeinsätze bei den Profis von Fenerbahce absolviert hatte, waren Kuntz und Kocak überzeugt von seinem Talent und nominierten ihn für die nächsten Länderspiele. „Deswegen hatte ich auch mit meinem Trainerkollegen von Fenerbahce Rücksprache gehalten, dass wir ihn behutsam aufbauen“, erinnert sich Kuntz.
Doch dann ging es schneller als geplant: „Ich habe ihn dann erstmals gegen Wales eingewechselt, als Wales eine Rote Karte bekommen hatte, wir in Überzahl waren und dann dachten wir, dass wir es mal riskieren können. Und er hat dann direkt ein Tor wie im ersten EM-Spiel geschossen“, sagt Kuntz – und schwärmt noch heute: „Wie eine Schablone – Wahnsinn!“
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Anderthalb Jahre später ist dieser Wahnsinnsbubi also die größte Hoffnung einer ganzen Nation. „Er ist ein außergewöhnliches Talent, das aber noch ganz am Anfang seiner Karriere ist“, mahnt Kuntz. „Das soll und darf man nicht vergessen.“
Doch Kuntz kennt die Medienlandschaft in seiner alten Wahlheimat gut genug, um zu wissen, dass Geduld keine türkische Tugend ist. Nachdem Güler beim 0:3 gegen Portugal nicht von Anfang an spielen durfte, hagelte es von Fans und der Presse Kritik auf Kuntz-Nachfolger Vincenzo Montella.
Arda Güler war gegen Portugal angeschlagen
Der Italiener sah sich sogar genötigt, die aus Sicht seiner Kritiker zu späte Einwechslung zu erklären. „Arda Güler war heute einfach nicht fit genug. Er konnte nicht mehr als 30 Minuten ohne größeres Risiko spielen“, sagte Montella, der ganz genau weiß, dass eine erneute Nicht-Berücksichtigung Gülers gegen Tschechien ungut für ihn ausgehen könnte.
Immerhin: Montella-Vorgänger Kuntz bleibt optimistisch: „Ich halte die Türkei für leicht favorisiert“, sagt der Hamburger Sportvorstand. Aber: „Nur wenn die Türkei die Tür aufmacht, könnte Tschechien da auch durchgehen.“
Kuntz wurde 1996 gegen Tschechien Europameister
Wie man durch die tschechische Tür durchgeht, wenn sie denn offensteht, weiß wohl auch kaum einer besser als Kuntz. 28 Jahre ist es mittlerweile her, dass er und die deutsche Elf durch Oliver Bierhoffs Golden Goal im Finale von Wembley Europameister wurden. „Das Spiel gegen Tschechien 1996 gehört natürlich zu meinen absoluten Karriere-Highlight-Spielen. Ich habe nur schöne Erinnerungen.“
An diesem Mittwoch hofft Stefan Kuntz auf neue, schöne Erinnerungen – auf türkische Erinnerungen.