Köln/Blankenhain. England kämpft bei der EM um den Gruppensieg - und will gegen Slowenien Deutschland aus dem Weg gehen. Allerdings gibt es Streit.

Als Gary Lineker seine beste Zeit hatte, war Franz Beckenbauer deutscher Teamchef, Deutschland auf dem Weg zum WM-Titel 1990 - und Englands Stürmer Lineker einer der gefährlichsten Gegner. Inzwischen ist Lineker 63 Jahre alt, einer der bekanntesten TV-Experten seiner Heimat. Und wie er die Leistung der Three Lions im zweiten EM-Spiel gegen Dänemark (1:1) fand, fasste er in einem Wort zusammen: „Scheiße.“ Doch nicht nur diese Kritik bewegt Englands Fußball, der vor dem abschließenden Gruppenspiel gegen Slowenien am Dienstag (21 Uhr/ZDF und Magenta TV) zwar nicht im Chaos versinkt - sich aber auf vielen Ebenen zofft.

Harry Kane, Englands Kapitän und als Stürmer einer der Erben Linekers, reagierte in einer Pressekonferenz: „Wir haben als Nation schon lange, lange Zeit nichts mehr gewonnen und viele dieser Spieler waren Teil davon und sie wissen, wie hart es ist.“ Auch die anderen TV-Experten bezog er in seinem beachtlichen Monolog ein: „Ich sage den Leuten nicht, dass sie ihre Arbeit nicht machen sollen, zu analysieren ist ihre Aufgabe. Vielleicht werde ich mit 40 oder 50 in einer dieser Shows sein und versuchen, Spieler herauszupicken – ich hoffe, das ist nicht der Fall.“

Southgate darf wohl nicht weitermachen

Kane gegen Lineker ist ein Zoff, der andere umfasst viel mehr Personen. Nicht nur das 1:1 gegen Dänemark, sondern auch die dürftige Leistung beim 1:0-Auftakt gegen Serbien haben die schon vor dem Turnier vorhandene Kritik an Trainer Gareth Southgate (53) verstärkt. Nach der Europameisterschaft 2016, zuletzt erreichte Bobby Robson von 1982 bis 1990 diese Zeit. Das Erreichen des EM-Endspiels 2021 war Southgates größter Erfolg.

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    Es ist schwer vorstellbar, dass Southgate weitermachen darf - egal, ob er sein Team trotz des dürftigen Starts noch zum Titel führt. Wird England Europameister, könnte er auf dem Höhepunkt abtreten. Wenn nicht, werden ihm Spielweise und Dauer-Titellosigkeit zum Verhängnis. Englands forsche Öffentlichkeit diskutiert schon mögliche Nachfolger, auf der Wunschliste steht Pep Guardiola (Manchester City) ganz oben. Glenn Hoddle, einst Linekers Teamkollege und selbst von 1996 bis 1999 Nationaltrainer, gab Southgate sogar den Tipp, nach der EM zu gehen. „Die meisten Nationaltrainer sind etwa 75 Jahre alt. Er könnte jederzeit in den Job zurückkehren, so wie Ronald Koeman in den Niederlanden. Er ist jung genug“, sagte Hoddle.

    Englands Trainer Gareth Southgate (links) mit Harry Kane.
    Englands Trainer Gareth Southgate (links) mit Harry Kane. © Getty Images | Richard Pelham

    Doch was kritisieren die Fans und die Helden von einst genau? Vor allem die defensive Spielweise einer Mannschaft, die summiert einen Marktwert von 1,5 Milliarden Euro hat - EM-Spitze. Dass England so gut wie sicher im Achtelfinale steht, mindestens als einer der vier besten Gruppendritten, interessiert gerade wenig - ein Spiel gegen Deutschland zu verhindern, das wird so manches Mal erwähnt. Dazu müsste England die Gruppe gewinnen und Slowenien besiegen.

    Rooney kritisiert Englands Startaufstellung

    Dass dies mit überzeugendem Fußball gelingt? Wayne Rooney, früher Kapitän der Mannschaft, findet die Startelf nicht ausbalanciert: „Wir haben zwei Spiele gesehen, in denen die Mannschaft, die Gareth Southgate als seine beste Elf für das Turnier auserkoren hatte, in puncto Ausgewogenheit einfach nicht richtig aussah.“ Lineker findet, Southgate sei „taktisch unfähig.“ „Es ist für mich unerklärlich, dass England gegen Dänemark kein hohes Pressing gespielt hat.“ Man müsse auch die Gefühle der Nation beachten. Die denkt zum großen Teil wie Lineker.

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    Möglich wäre das mit einer Offensive, die so berühmt ist, dass allenfalls Frankreich und Spanien mithalten können. Das Mittelfeldzentrum bilden Trent Alexander-Arnold (FC Liverpool), Declan Rice (FC Arsenal) und der Ex-Dortmunder Jude Bellingham, der gerade mit Real Madrid die Champions League gewonnen hat. Die offensiven Außenpositionen besetzen Phil Foden (Manchester City) und Bukayo Saka (FC Arsenal), Bayern-Stürmer Kane, mit 36 Toren Bundesliga-Schützenkönig, greift an. Abwartend spielen? Verteidigen? Mit dieser Mannschaft? Viele Stars ergeben nicht zwingend eine Mannschaft - England ist das beste Beispiel. Alexander-Arnold beispielsweise ist eigentlich kein defensiver Mittelfeldspieler. „Ich habe das schon vor dem Turnier prognostiziert“, sagte Rooney.

    Immerhin einen Fürsprecher hat Southgate noch: Kapitän Kane. Nachdem der Lineker kritisiert hatte, holte er zu einer Lobeshymne auf seinen Chef aus: „Ich kann Gareth gar nicht genug loben für das, was er für diese Nation getan hat. Wo wir 2016 als Mannschaft waren und jetzt sind, das ist etwas ganz anderes.“ Und doch scheint ein Trainerwechsel kurz bevorzustehen.

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