Frankfurt. Trainer Francesco Calzona gelang mit der Slowakei die erste EM-Überraschung. Er hat einen etwas anderen Karriereweg hinter sich.

Es war alles gesagt, Francesco Calzona hatte bei der Pressekonferenz sämtliche Fragen beantwortet. Auf Italienisch mit perfekter Betonung der Silben in dieser herrlich klingenden Sprache. Als er den Raum verließ, erhoben sich die slowakischen Journalisten für ihren Nationaltrainer und applaudierten - so etwas kommt (wirklich) fast nie vor im internationalen Fußball. Einen 1:0-Coup hatte die Slowakei gegen Belgien gefeiert, es war die bisher größte Überraschung der EM. An diesem Freitag (15 Uhr) könnte gegen die Ukraine eine weitere folgen. Calzonas Anteil: überwältigend - dabei war die Wahrscheinlichkeit, dass er diesen Moment erlebt, zwei Jahrzehnte lang bei 0.

La Dolce Vita: Toskana, Kaffee, Sonne, Fußball

Calzona ist der etwas andere Trainer dieses Turniers. Der Trainer, dessen Weg in der zweiten Reihe des italienischen Fußballs bis in den Ruhestand zu führen schien. In seiner aktiven Karriere kam er zu drei Einsätzen in der Serie B, Italiens zweiter Liga - mehr nicht. Auf der Zielgeraden seiner aktiven Karriere spielte er in den Amateurligen und nahm mitten in der Toskana einen Job als Kaffeeverkäufer des kleinen Unternehmens Moka Piu an. Klingt nach La Dolce Vita - Toskana, herrliche Landschaft, Sonne, Kaffee, ein bisschen Fußball, relaxen. „Es war faszinierend, diese Zeit hat mir viele Dinge verständlich gemacht“, sagte Calzona einmal. „Es war eine fantastische Erfahrung, an die ich mich gerne zurückerinnere. Einige Kunden rufen mich immer noch an und fragen nach Kaffee.“

Gewonnen: Francesco Calzona und die slowakischen Spieler freuen sich über den Auftaktsieg.
Gewonnen: Francesco Calzona und die slowakischen Spieler freuen sich über den Auftaktsieg. © Jan Huebner | Jan Huebner

25 Jahre ist das nun her, Calzona spielte zuletzt in der sechsten Liga in Tegoleto, einem kleinen Örtchen rund eine Stunde von Florenz entfernt mit etwa 1200 Einwohnern. Spielertrainer hätte er werden können - aber er wollte weiter Kaffee verkaufen und empfahl zur Saison 1999/2000 Maurizio Sarri als Cheftrainer. Eine Begegnung, die das Leben des Kaffee- und Fußball-Liebhabers veränderte. Denn fortan arbeitete er als Sarris Co-Trainer, nicht nur in Tegoleto. Die gemeinsame Reise führte beide zunächst durch die unteren Ligen des Landes - und später durch ganz Italien: Sie arbeiteten zum Beispiel in Perugia in Umbrien, in Alessandria im Piemont, in Sorrent im Süden Italiens.

Sie wurden eingestellt und schnell wieder gefeuert. 15 Jahre lang ging das so, bis Sarri und Calzona die erste große Chance erhielten. 2015 unterschrieben sie einen Vertrag bei der SSC Neapel. Calzona war so der Peter Hermann Italiens - gute Seele, ewiger Co-Trainer. Der größte Erfolg: die Vizemeisterschaft mit Napoli in der Saison 2017/2018. Danach trennten sich die Wege: Sarri, das kettenrauchende Trainer-Unikat, zog weiter nach England zum FC Chelsea, Calzona blieb in Italien. Er hatte aber eine wichtige Bekanntschaft gemacht. In Neapel traf er den slowakischen Rekordnationalspieler Marek Hamsik (136 Länderspiele).

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Nachdem Calzona in Cagliari (2020/21) und wieder Neapel (2021/22) anderen Trainern assistiert hatte, erhielt er im späten Fußballtrainer-Alter von 53 Jahren einen Anruf des slowakischen Verbandes. Hamsik hatte den Vermittler gespielt - er hatte sowohl den Verbandspräsidenten als auch Calzona angerufen, ob beide bereit wären, miteinander zu sprechen. „Ich wusste, dass er das Ziel hatte, Cheftrainer zu werden. Deshalb habe ich den Namen unserem Verbandspräsidenten vorgeschlagen. Es waren keine einfachen Verhandlungen. Ich bin froh, dass alle eine gemeinsame Basis gefunden haben“, sagte Hamsik.

Zwei Jobs für Calzona: National- und Vereinstrainer

Calzona unterschrieb einen bis 2025 gültigen Vertrag. „Ich liebe harte Herausforderungen, die Komfortzone ist nichts für mich. Ich mag es, das Adrenalin zu spüren. Es hat sich gelohnt“, sagte er. Er hatte direkt Erfolg - mit der Slowakei, im europäischen Fußball noch nie erstklassig, qualifizierte er sich souverän als Gruppenzweiter für die EM, es gab lediglich zwei Niederlagen gegen Gruppensieger Portugal. Auch sein Ex-Verein Napoli wurde auf Calzona aufmerksam - als im Februar 2024 Walter Mazzari rausflog, fragte Napoli beim slowakischen Verband an. Und für vier Monate übernahm Calzona eine Doppelfunktion: Vereins- und Nationaltrainer. Eine Premiere in der Serie A.

Hamsik hatte damit kein Problem: „Es war für ihn die Erfüllung eines Traums.“ Und topmotiviert konzentrierte er sich zur EM auf einen Job - mit Calzona-Fußball: mutig, ohne Angst, frühes Anlaufen, ein risikofreudiger Torwart, der gern mitspielt. „Meine Mannschaft hat das gespielt, was ich verlangt habe“, sagte Calzona nach dem Auftaktsieg. Er ergänzte: „Den Sieg widme ich dem slowakischen Volk. Ein unerwartetes Glück.“ Ein Satz, der Applaus brachte. Bei Reportern - aber bestimmt auch bei den Fans der Slowaken.