Blankenhain. Manuel Neuer kehrt am Montag gegen die Ukraine nach 550 Tagen ins Tor der Nationalmannschaft zurück. Doch es bleiben Restzweifel.
Julian Nagelsmann schaute am Freitagvormittag ganz genau hin, was Manuel Neuer vor ihm machte. Minutenlang verfolgte der Bundestrainer das Torwarttraining der Nationalmannschaft. Es war erst die zweite Einheit der deutschen Nummer eins im thüringischen Spa und GolfResort Weimarer Land, das die DFB-Auswahl am Nachmittag nach fünf Tagen verließ und mit der Bahn von Erfurt nach Nürnberg fuhr, um das EM-Quartier im adidas Homeground in Herzogenaurach zu beziehen.
Am Montagabend (20.45 Uhr/ARD) im Testspiel gegen die Ukraine in Nürnberg wird Neuer das erste Mal seit dem 1. Dezember 2022 wieder im Tor der Nationalmannschaft stehen. Das 4:2 gegen Costa Rica war das bislang letzte seiner 117 Länderspiele – und eines seiner schwächsten. Als sich Neuer zehn Tage später aus dem Krankenhaus meldete und verkündete, dass er sich beim Skitourengehen einen Unterschenkelbruch zugezogen hatte, rechneten nicht viele damit, dass Neuer bei der Heim-EM 2024 noch einmal die Nummer eins sein würde.
Julian Nagelsmann sprach Manuel Neuer das Vertrauen aus
Doch Nagelsmann, der am Freitag auf Neuer ein besonderes Auge richtete, hatte dem fünfmaligen Welttorhüter bereits im März das Vertrauen ausgesprochen und damit die Diskussionen, ob Marc-André ter Stegen die neue Nummer eins werden könnte, frühzeitig für beendet erklärt.
Diese Klarheit war umso wichtiger, da spätestens seit dem Februar 2023 das Verhältnis zwischen Neuer und Nagelsmann als belastet galt. In seiner Verantwortung als Trainer des FC Bayern hatte sich Nagelsmann vom langjährigen Torwarttrainer der Münchner, Toni Tapalovic, getrennt. Neuer brachte seinen Unmut darüber in einem brisanten Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ zum Ausdruck. „Ich hatte das Gefühl, mir wird mein Herz rausgerissen“, sagte Neuer über die Entlassung seines Vertrauten. „Das war das Krasseste, was ich in meiner Karriere erlebt habe.“ Tapalovics Rauswurf nannte Neuer einen „Schlag, als ich bereits am Boden lag.“
Manuel Neuer spielt sein wahrscheinlich letztes großes Turnier
Es war bis heute das bislang letzte Interview, das Neuer einem einzelnen Medium gegeben hat. Dass Nagelsmann dem 38-Jährigen trotz dieser Geschichte den Rücken gestärkt hat, war ein kluger Schachzug des Bundestrainers. Vor seinem wahrscheinlich letzten großen Turnier stellt sich nun die Frage: Kann Neuer dieses Vertrauen noch einmal zurückzahlen? Es bleiben Restzweifel.
Am frühen Freitagabend sprach Neuer nach dem Fanfest im verregneten Herzogenaurach kurz über seine Vorfeude auf die EM. „Dass uns so viele Fans bei diesem miesen Wetter empfangen haben, lässt viel Euphorie versprechen vor der EM. Auch meine Euphorie ist da. Ich bin positiv gestimmt und freue mich auf die Einheiten und die beiden Testspiele“, sagte Neuer.
In den vergangenen Monaten hatte der Kapitän des FC Bayern eine emotionale und sportliche Berg- und Talfahrt erlebt wie selten zuvor in seiner Karriere. Insbesondere der Moment im Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid sollte ihn noch mehrere Tage beschäftigen. Neuer hatte im Rückspiel im Bernabeu eine Weltklasse-Partie abgeliefert. Es fehlten nur wenige Minuten und der Torhüter hätte an diesem Sonnabend die Neuauflage des Endspiels von 2013 gegen Borussia Dortmund im Wembley-Stadion gespielt. Doch in der 88. Minute ließ Neuer einen Schuss von Vinicius Junior nach vorne abprallen. Joselu staubte ab, Real gewann mit 2:1 und Neuer erlebte seinen persönlichen Albtraum. Einen Oliver-Kahn-2002-Gedächtnis-Moment.
Manuel Neuer schließt Rücktritt nicht aus
Doch anders als bei Kahn, den der Fehler im WM-Finale gegen Rivaldo noch jahrelang beschäftigte, hat Neuer diesen Moment schnell abgeschüttelt. Mit der Heim-EM vor Augen hat er die schnelle Gelegenheit, die Geschichte umzuschreiben. Der EM-Titel fehlt dem Weltmeister von 2014 noch in seiner persönlichen Trophäensammlung. Es könnte wie bei Toni Kroos zum krönenden Abschluss seiner Karriere kommen.
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Anders als Kroos hat sich Neuer seine Zukunft aber noch offen gelassen. Ein Rücktritt ist eigentlich nicht geplant, im Falle eines emotionalen EM-Endes nach Informationen dieser Zeitung aber auch nicht ausgeschlossen.
Neuers Plan sieht vor, im Herbst mit den Verantwortlichen des FC Bayern ein Gespräch zu führen und eine Zukunftsentscheidung zu treffen. Sein Vertrag läuft in München im kommenden Jahr aus. Ein erneutes „Finale dahoam“ in der Königsklasse, das am 31. Mai 2025 in der Münchner Allianz-Arena stattfindet, soll für Neuer noch ein Ansporn sein.
Alexander Nübel lobt Manuel Neuer in höchsten Tönen
Mit Alexander Nübel, der seinen Vertrag bei den Bayern vorzeitig bis 2029 verlängert hat und am Freitag unter Nagelsmanns Augen gemeinsam mit Neuer bei der Nationalmannschaft trainierte, steht sein Nachfolger in München schon bereit. Der 27-Jährige, der noch bis zum Ende der kommenden Saison an den VfB Stuttgart verliehen ist, lobte Neuer im DFB-Trainingslager in höchsten Tönen. „Was Manu für Deutschland geleistet hat, ist unfassbar. Er hat das Torwartspiel auf ein neues Niveau gebracht“, sagte Nübel.
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Neuer selbst sagt aktuell nichts. Das dürfte sich aber schon am Montag ändern. Wenn er 550 Tage nach dem Costa-Rica-Spiel als Nummer eins in das deutsche Tor zurückkehrt.