Weimar. Der deutsche Nationalspieler kann seinen sechsten Titel in der Champions League gewinnen. Und dann die EM? Warum Kroos einer der Größten ist.
Es ist ziemlich genau zehn Jahre her, als Toni Kroos einen großen Fehler machte. Es lief die 20. Minute im WM-Finale zwischen Deutschland und Argentinien. Kroos wollte den Ball mit dem Kopf nach hinten spielen, legte ihn aber direkt in den Lauf von Gonzalo Higuain. Der Mittelstürmer stand frei vor Manuel Neuer – und scheiterte kläglich. Nach 120 Minuten war Deutschland Weltmeister. Auch dank Toni Kroos, der ein überragendes Turnier spielte und im Halbfinale beim 7:1 gegen Gastgeber Brasilien mit seinem Doppelpack geglänzt hatte.
Wie man heute in Deutschland über Kroos sprechen würde, wenn Higuain den Ball damals reingemacht und Argentinien anstelle von Deutschland mit 1:0 gewonnen hätte? Man weiß es nicht. Was man zehn Jahre später aber weiß: Toni Kroos ist einer der größten Fußballer, die Deutschland jemals hervorgebracht hat. An diesem Sonnabend kann er seine kroosartige Karriere krönen und mit Real Madrid seinen sechsten Titel in der Champions League gewinnen. Man muss kein Prophet sein um vorherzusagen, dass das wohl nie wieder ein deutscher Fußballer schaffen wird.
Kroos und die Perfektion des Passspiels
Für Kroos ist es gleichzeitig das letzte Spiel für Real Madrid. Für den Club, der ihn vor zehn Jahren verpflichtete und ihn am vergangenen Sonnabend im Bernabeu-Stadion als Legende verabschiedete. Die Fußballwelt hat sich bereits verneigt vor der Nummer acht, die das Passspiel auf eine neue Ebene der Perfektion gehoben hat. Auch wenn er in einem Interview nach der WM 2014 mal etwas gereizt auf die Frage nach einem Fehlpass sagte: „Wenn man 100 Pässe in einem Spiel spielt, kommt halt auch mal einer nicht an.“
Die Pässe von Kroos kamen aber immer an. Es wird ein kurzes Video, wenn man versucht, seine Fehlpässe zusammenzuschneiden. Der Schnittstellenpass – wer spielt ihn im Weltfußball präziser und zuverlässiger als Kroos? So wie im Hinspiel des Champions-League-Halbfinals vor vier Wochen, als der 34-Jährige ausgerechnet in München mit einem einzigen Pass sieben Bayern-Profis überspielte und das 1:0 durch Vinicius Junior auflegte. Oder vier Wochen zuvor, als er bei seinem Comeback für die deutsche Nationalmannschaft mit seinem Pass auf Florian Wirtz acht Franzosen narrte und nach acht Sekunden das früheste Länderspieltor der deutschen Fußballgeschichte vorbereitete.
Nur Hoeneß kritisierte Kroos
Wer das Spiel gegen Frankreich und vor allem die deutschen Spiele vor dem Kroos-Comeback gesehen hat, kann zu keiner anderen Erkenntnis gelangt sein, als dass Deutschland mit Kroos eine bessere Mannschaft ist. Selbst der frühere Bayern-Präsident Uli Hoeneß hat das eingesehen. Nach dem bis dahin letzten Länderspiel des Ex-Bayern-Stars bei der EM 2021 gegen England (0:2) im Londoner Wembley-Stadion hatte Hoeneß noch öffentlich gelästert. „Toni Kroos passt mit seinem Querpass-Spiel nicht mehr in diesen Fußball. Seine Art zu spielen ist total vorbei.“
Nun macht Kroos ausgerechnet in Wembley sein letztes Spiel als Vereinsprofi. Dort hatte er 2013 mit den Bayern auch seinen ersten Champions-League-Titel gefeiert. Dass der vielleicht präziseste Passspieler der deutschen Fußballgeschichte in Deutschland lange gegen den Rufnamen Querpass-Toni ankämpfte, hat er auch Hoeneß zu verdanken. Heute nennt man ihn nur noch Steilpass-Toni.
Die mittlerweile endgültig verstummte Kritik aus Deutschland war sicher auch ein Grund, warum Kroos vor zwei Jahren nach seinem fünften Titel in der Champions League gegen Liverpool so sauer wurde, als ZDF-Reporter Nils Kaben ihn mit der vierten Frage („War das überraschend für Sie, dass Real Madrid doch ganz schön in Bedrängnis geraten ist?“) zu einem Interviewabbruch provozierte.
Kroos ist zur Persönlichkeit gereift
Entstanden ist daraus ein wunderbares Buch des Hamburger Medienmachers Oliver Wurm, in dem Kroos 90+26 Fragen von Prominenten beantwortet, die weit über die 90 Minuten hinausgehen und Kroos als Persönlichkeit zeigen, die dem deutschen Fußball fehlen wird, wenn er mit Deutschland in Deutschland sein letztes großes Turnier gespielt hat. Für den angeblich talentierten Tänzer wird es der letzte große Tanz.
Für Kroos könnte sich ein Kreis schließen, wenn er zum Abschluss seiner Karriere nun auch noch Europameister wird. Und selbst wenn es nicht klappt, ist schon jetzt klar, dass Kroos für immer einer der Größten bleiben wird.