Kiel. Die Generalprobe ist gelungen, auch das zweite Spiel gegen Portugal endete siegreich. Doch es gibt noch viel zu tun vor dem EM-Auftakt.
Die Stimmung stimmte. Sie wurden gefeiert, als wären sie schon Europameister. Applaus hallte von den Rängen der Ostseehalle, als Deutschlands Handballer sich den Weg in die Kabine bahnten. Vorbei an vielen Kindern, die ihnen Handys für ein gemeinsames Bild und Bälle zum Unterschreiben entgegenstreckten. Am Samstagabend in Kiel wurde noch einmal deutlich: Die deutschen Handballfans freuen sich auf die Europameisterschaft. Und Deutschlands Handballer selbst? Sie wirkten in erster Linie erleichtert. Froh, dass auch das zweite Testspiel gegen Portugal gewonnen wurde und es nach dem 34:33 in Flensburg und dem abschließenden 35:31 in Kiel nun mit einem guten Gefühl weitergeht. „Ich freue mich jetzt auf Düsseldorf“, sagte Bundestrainer Alfred Gislason. „Und dass wir uns bei der EM von Spiel zu Spiel steigern.“
Aus dem Norden Deutschlands wird es nun in den Westen der Republik gehen. Am Mittwoch wird Deutschland in Düsseldorf das offizielle EM-Eröffnungsspiel gegen die Schweiz bestreiten (20.45 Uhr/ZDF). Es wird ein Rekordspiel, mehr als 50.000 Zuschauer werden ins Fußballstadion ans Rheinufer kommen. Die Freude ist groß, die Erwartungen der Fans auch, und der Druck des Deutschen Handball-Bunds, der die Zeit ab 2022 als Jahrzehnt des Handballs auserkoren hat, ebenfalls. Nur: Ist diese Mannschaft überhaupt bereit für die EM?
Noch einige Baustellen
„Wir haben jetzt gesehen, was schon gut läuft und was nicht“, sagte Andreas Wolff vor der Abreise. Deutschlands Top-Torhüter mag in der Vergangenheit häufig als Dampfplauderer aufgefallen sein, ein Schönredner aber war er nie, und ist er auch jetzt nicht. „Der Defensivverbund ist noch nicht in Turnierform“, sagte Wolff. Auch Gislason verschweigt „einige Probleme“ nicht, will vor dem Turnierstart aber nicht zu sehr auf die Stimmung drücken. „Mein Gesamtfazit? Es gab viel Positives, von der Stimmung und vom Gesamtauftritt her war das bisher sehr gut.“
Vor dem Jahreswechsel hatte sich das DHB-Team in Frankfurt/Main kurz getroffen, um dann an Neujahr im beschaulichen Brunsbüttel für knapp eine Woche am Zusammenspiel zu feilen, um die Routiniers und die fünf Turnierneulinge zu einer Einheit verschmelzen zu lassen. Das gelang weitestgehend, doch noch immer gibt es Baustellen.
Hinter dem Bollwerk wird es dünn
Die Abwehr ist die offensichtlichste: Der Innenblock mit Johannes Golla und Julian Köster ist ein Bollwerk. Am langen Köster und am kantigen Golla zerschellen viele gegnerische Angriffsversuche, schon bei der letztjährigen WM agierte das Duo auf Weltklasse-Niveau. Doch Golla und Köster können nicht 60 Minuten spielen, dahinter wird es personell dünner. Marian Michalczik verletzte sich vor dem Jahreswechsel und Wunschkandidat Hendrik Pekeler sah sich nach einer Verletzung nicht fit genug, am Samstag wurde er auch offiziell aus dem Nationalteam verabschiedet. Bleiben Sebastian Heymann und U21-Weltmeister Justus Fischer. Beide zeigten in den Spielen gegen Portugal durchaus gute Phasen, die Klasse von Golla/Köster haben sie aber nicht.
Ohnehin haben die deutschen Handballer das Manko, dass sie nicht viel Zeit hatten, sich einzuspielen. Anfang November gab es zwei Testspiele gegen Ägypten, nun den Doppelpack gegen Portugal – das war’s. Die Startformation hat zweifellos hohe Qualität. Der Rückraum aus Spielmacher Juri Knorr, Kai Häfner und Julian Köster, dazu Kreisläufer Johannes Golla und die Außenspieler Timo Kastening und Lukas Mertens – das ist eine Aufstellung, die Spiele dominieren kann. Die zweite Garde und die fünf Turnierneulinge brauchen aber noch etwas Zeit. Zuletzt schmolz am Samstag ein Sieben-Tore-Polster gegen Portugal auf einen Zähler, als Gislason zu viel Routine auf die Bank setzte.
EM-Aus für Patrick Groetzki
Besonders bitter: In Patrick Groetzki verletzte sich am Samstag auch noch der Mann mit der größten Routine (173 Länderspiele). Beim Rechtsaußen ist eine alte Fußverletzung aus dem Vorjahr wieder aufgetreten. Die EM ist für den 34-Jährigen vorbei, bevor sie überhaupt begonnen hat. Noch hat der Bundestrainer nicht entschieden, wen er nachnominieren wird.
Vielleicht hatte Alfred Gislason jüngst nicht ohne Grund Schweden als Vorbild genannt. Sie seien bei der WM 2021 wie nun Deutschland mit einer „sehr jungen Mannschaft und vielen damals unbekannten Spielern“ in das Turnier gegangen: „Sie sind schwer reingekommen, haben sich aber von Spiel zu Spiel gesteigert und standen am Ende im Finale.“ Ob es zu einem ähnlichen Märchen nun in Deutschland mit dem Gastgeberteam kommt? Erste Erkenntnisse gibt es am Mittwoch.