Brunsbüttel. Erste Ballberührung, erster Wurf, erstes Tor: Martin Hanne ist die Überraschung im deutschen Handball-Team kurz vor dem EM-Auftakt.
Handballer gelten gemeinhin als bodenständig, und bodenständiger als Brunsbüttel geht es kaum: In dem beschaulichen und rund 12.500 Einwohner zählenden Industrie- und Hafenstädtchen hoch im Norden der Republik hat die deutsche Nationalmannschaft ihr Vorbereitungsquartier aufgeschlagen. Hinter dem Teamhotel liegt die Mündung des Nord-Ostsee-Kanals, nicht weit entfernt steht ein seit 2007 stillgelegtes Kernkraftwerk. Und sonst: Felder, gepflegte Einfamilienhäuser, pures Kleinstadtidyll. In der Abgeschiedenheit Schleswig-Holsteins sollen sich die Handballer in Ruhe auf das vorbereiten, was ab 10. Januar auf sie hereinbrechen wird. Mit der Beschaulichkeit wird es dann vorbei sein, vor über 50.000 Zuschauern wird die Heim-EM in Düsseldorf mit dem Spiel gegen die Schweiz am Mittwoch offiziell eröffnet.
Einen ersten Vorgeschmack gab der Freitag, knappe zwölf Stunden nach dem 34:33-Erfolg im Testspiel gegen Portugal. Beim großen Medientag trafen Spieler und Journalisten zusammen. Torhüter Andreas Wolff stand an einem der Tische, lachte sein typisches Andreas-Wolff-Lachen und sprach so laut, dass man drei Tische weiter den eher ruhigen Spielmacher Juri Knorr selbst aus unmittelbarer Nähe nicht mehr verstehen konnte. Kapitän Johannes Golla antwortete mit Engelsgeduld immer gleich ruhig auf die gleichen Fragen und Julian Köster analysierte lächelnd die vorangegangene Partie in Flensburg. Sie alle haben Erfahrungen im Nationaldress gemacht, entsprechend routiniert ging es zu. Andere waren angesichts des Rummels aber irritiert. Fünf Turnierneulinge hat Bundestrainer Alfred Gislason ins Team geholt, darunter Martin Hanne. Der Mann, der in seinem ersten Spiel gleich zum Gesprächsthema wurde.
Hammer-Hanne
Die 24. Minute war am Donnerstagabend in Flensburg angebrochen, als Hanne kurz nach seiner Einwechslung den Ball bekam, drei lange Schritte machte, sich in die Höhe katapultierte und den Ball aus dem Rückraum ins Tor der Portugiesen zimmerte. Erste Ballberührung, erster Wurf, erstes Tor – besser kann ein Debüt in der Nationalmannschaft nicht laufen. Am Ende siegte Deutschland knapp, auch dank der insgesamt fünf Tore eben jenes Martin Hanne, der einen Tag später Frage um Frage beantwortete und von einer Fernsehkamera zu nächsten gezogen wurde. Live-Schalte ins ZDF-Mittagsmagazin hier, Interview mit der ARD-Sportschau da – für einen, der zum ersten Mal ein Länderspiel bestritt, waren es chaotische Minuten. Plötzlich ist Hanne eben mittendrin statt nur dabei.
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Einiges erwartet wird bei dieser EM vor allem von den Neulingen David Späth, Renars Uscins, Justus Fischer und Nils Lichtlein. Weil sie vergangenen Sommer U21-Weltmeister wurden und bei mehreren Lehrgängen des A-Nationalteams dabei waren. Späth genießt als Stellvertreter von Andreas Wolff viel Vertrauen, Rückraumspieler Uscins gelangen am Donnerstag gegen Portugal vier Treffer, darunter der entscheidende zum 34:33. Und dann fiel bei der Kadernominierung vor wenigen Tagen ja noch der Name Martin Hanne. Gefolgt von der Frage: Martin wer?
Kurz vor dem Karriere-Aus
Der 22-Jährige aus Peine bei Braunschweig hat nie das Trikot einer Nachwuchs-Nationalmannschaft getragen, mögliche Auftritte für die U21 bei der EM 2020 und der WM 2021 gab es nicht, in der Corona-Zeit fielen die Turniere aus. Der Spieler des Bundesligisten TSV Hannover-Burgdorf stand vor einigen Monaten sogar kurz vor dem Karriere-Aus. Bandscheibenprobleme, Hanne kämpfte monatelang um sein Comeback. In dieser Spielzeit stehen für den 1,93 Meter großen Rückraumspieler aber bereits 16 Erstligaeinsätze mit 30 Toren zu Buche. Und das Selbstvertrauen aus der Bundesliga brachte er mit ins Nationalteam. „Ich will das nicht überbewerten. Das ist das erste Spiel. Da wusste ich auch, dass keiner etwas von mir erwartet“, sagte Hanne zurückhaltend. „Die Erwartungen werden nun größer und dessen muss ich mir bewusst sein und daran arbeiten, dass es beständig bleibt.“
Konstanz ist ohnehin das große Thema. Am Donnerstag gegen Portugal spielte das deutsche Team eine starke erste Halbzeit, ließ nach der Pause aber viele schwächere Minuten folgen. An diesem Samstag kommt es zur Generalprobe für die EM, in Kiel geht es noch einmal gegen die Portugiesen (18 Uhr/ARD). Mit den Routiniers um Wolff und Golla, mit den Neulingen um Hanne und Uscins. „Keiner spielt nur, weil er jung ist. Am Ende zählt der Erfolg“, stellte Gislason noch einmal klar. Trotz Vorbereitung im Kleinstadtidyll: Zu idyllisch will es der Bundestrainer in seinem Team auch nicht haben.