Hamburg. Nach dem 1:3 bei St. Pauli kritisiert Abwehrspieler Timo Baumgartl die Taktik und wird abgestraft. Die Unruhe ist zurück. Eine Analyse.

Die Aufregung war Timo Baumgartl gar nicht anzusehen. Ruhig schritt der Innenverteidiger des FC Schalke 04 zum Sky-Interview, sollte die 1:3 (1:1)-Niederlage beim FC St. Pauli analysieren. Dann nahm der 27-Jährige das Mikrofon in die Hand und was er zu sagen hatte, hatte es im Profifußball lange nicht gegeben. In aller Öffentlichkeit zählte Baumgartl Trainer Thomas Reis an – der Zoff zwischen Profis und Trainer eskaliert. Und hatte nur 14 Stunden später Folgen.

Problemauslöser: Timo Baumgartl im Interview bei Sky
Problemauslöser: Timo Baumgartl im Interview bei Sky © Screenshot SkySport

Noch am Sonntagvormittag teilten Reis und Sportdirektor André Hechelmann Baumgartl die Ergebnisse ihrer Gespräche mit: Wegen eines Verstoßes gegen die internen Verhaltensregeln, so die Schalker in einer Mitteilung, müsse Baumgartl für eine Woche mit der U23 trainieren, verpasst deshalb auch das Auswärtsspiel beim SC Paderborn an diesem Freitag. Dazu kommt eine Geldstrafe. „Was ich mit meinen Aussagen ausgelöst habe, war nicht meine Intention und darf einem Spieler mit meiner Erfahrung nicht passieren“ – so ließ sich Baumgartl zitieren. Er habe sich bei Reis und Hechelmann entschuldigt.

Doch ist damit alles erledigt?

Massive Kritik an der Taktik des Trainers

Das, was zuvor nur hinter vorgehaltener Hand zu hören war, hatte Baumgartl vor den Kameras nun ausführlich ausgesprochen. Er kritisierte Reis‘ Taktik, die eine Mann-gegen-Mann-Verteidigung über den ganzen Platz vorsieht. „Wir spielen mit dem Feuer. Das ist eine risikobehaftete Sache, was wir machen. Das ist brutal schwer, wenn der Gegner sich gut bewegt, spielstark ist. Wenn es nach 30 Minuten 0:3 steht, brauchen wir uns nicht zu beschweren. 15 Gegentore nach sieben Spieltagen – das ist brutal“, sagte Baumgartl. Zur Frage, ob die Mannschaft noch hinter Reis stehe, sagte Baumgartl: „Der Trainer gibt uns einen Plan mit, aber es ist ein Stück weit schwer für uns, das so zu machen. Wir sind stetig im Austausch, aber es kommt immer wieder aufs Gleiche raus.“ Diese Aussagen hatten gesessen, noch in der Kabine im Millerntor-Stadion besprachen sich die Bosse eine halbe Stunde lang, wie sie damit umgehen sollen. Reis wirkte nach dem Spiel enttäuscht, sogar angeschlagen.

Schalke-Trainer Thomas Reis
Schalke-Trainer Thomas Reis © IMAGO/Ulrich Hufnagel | IMAGO/Ulrich Hufnagel

Schalke ist jetzt Drittletzter

Durch die Niederlage stürzte Schalke auf den Relegationsplatz zur Dritten Liga. Marcel Hartel (21., Foulelfmeter/57.) und Carlo Boukhalfa (90.+2) hatten vor rund 30.000 Zuschauern bei hitziger Atmosphäre den verdienten Sieg für die Hamburger herausgeschossen, die zudem noch zweimal den Pfosten trafen. Die Schalker glichen zwischenzeitlich durch Sebastian Polter aus (29.) und hatten durch Derry John Murkin (61.) und Polter (64.) zwei große Chancen, um das 2:2 zu erzielen. Das schafften sie aber nicht – und das Spiel ging dahin.

Schön reden wollte die Ereignisse niemand. „Ich bin der Erste, der sich an die eigene Nase fasst“, sagte Reis. „Aber ich erwarte das auch von meinen Spielern.“ Hechelmann zählte die Spieler an, nicht Reis: „Wir hatten einen klaren Plan. Immer dann, wenn wir uns daran gehalten haben, haben wir gute Szenen kreiert.“ Er sprach dem Trainer erneut das Vertrauen aus.

Der Druck aber ist enorm. Wenn Schalke die nächsten beiden Spiele in Paderborn und gegen Hertha BSC (8. Oktober) verlieren sollte, dürfte Reis nicht mehr zu halten sein. Doch wer entscheidet das?

Offene Fragen in der Führungsebene

Da offenbaren sich weitere Probleme des Klubs. Zuständig sind Sportvorstand Peter Knäbel und Hechelmann. Knäbels Vertrag endet im Juni 2024, er spürt, wie er vor dem Anpfiff sagte, „das Vertrauen des Aufsichtsrats“. Eine Verlängerung des Vertrages gilt aktuell dennoch als unwahrscheinlich, zu lang ist inzwischen Knäbels Fehlerliste. Hechelmann ist noch neu im Job und muss sich an die Unruhe, die auf ihn einprasselt, gewöhnen. Das fällt ihm sichtlich schwer.

Der Aufsichtsrat taucht aktuell einmal mehr komplett ab

Und der Aufsichtsrat? Der taucht aktuell einmal mehr komplett ab. Der Vorsitzende Axel Hefer und der erste Vertreter Moritz Dörnemann waren nicht in Hamburg. Hefer ist mit der Suche nach einem neuen Vorstandsvorsitzenden genug beschäftigt, zwei Monate nach der Trennung von Dr. Bernd Schröder hat er noch keinen gefunden. Die wirtschaftlichen Zahlen bleiben schlecht, in Kürze veröffentlichen die Schalker die nächste Bilanz – und diese offenbart die klare Botschaft: Jedes weitere Jahr in der Zweiten Liga würde den großen Klub weit zurückwerfen in der langfristigen Planung.

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Danach sieht es aktuell aber aus, dafür sind die Mängel zu groß. Heute beginnt die kurze Trainingswoche. Reis muss sich in den vier Tagen bis zum Paderborn-Spiel erst einmal mit den erfahrenen Profis in der Kabine arrangieren. Hechelmanns Forderung ist nach Baumgartls Sieben-Tage-Rauswurf klar: „Meine Erwartungshaltung ist eindeutig: Ab diesem Moment muss und wird der Fokus allein auf das Spiel in Paderborn gelegt.“