Hagen/Kreuztal. Volker Bertelmann aus dem Siegerland ist bereits Oscar-Preisträger. Jetzt winkt für die Filmmusik zu „Konklave“ eine zweite Statue.
Südwestfalen? Kreuztal? Ferndorf? In Hollywood haben diese Ortsbezeichnungen einen guten Klang. Das liegt an Volker Bertelmann (57). Der Komponist ist für seine Filmmusik zu „Konklave“ für einen Oscar nominiert. Es handelt sich bereits um die dritte Nominierung für den Kreuztaler, der heute in Düsseldorf lebt. Bertelmann ist schon Oscarpreisträger. 2023 gewann er die begehrteste aller Statuen für seine Partitur zu „Im Westen nichts Neues“. Wie das sein Leben verändert hat, verrät er im Interview.
Die dritte Oscar-Nominierung. In Hollywood kennen Sie sich inzwischen aus. Gewöhnt man sich daran?
Daran kann man sich nie gewöhnen. Man muss sich einfach klarmachen, wie viele Filme es gibt, und die sind alle großartig und mit toller Filmmusik Und aus dieser großen Zahl bin ich nominiert. Die Möglichkeit, eine Auszeichnung zu bekommen, ist heute natürlich näher gerückt als noch vor sechs, sieben Jahren. Der eigentliche Wendepunkt war 2017, die Nominierung für „Lion“. Das war für mich eine große Überraschung, da war ich vollkommen unbedarft, das war für mich fast wie ein Herzinfarkt. Ja, und das letzte Mal bei „Im Westen nichts Neues“, da war ich schon vielleicht ein bisschen erfahrener in Bezug auf das, was ich alles machen muss. Der Gewinn ist natürlich etwas ganz anders als die Nominierung. Danach ist man vollkommen überwältigt. Man ist in einer anderen Welt, einem anderen Raum, für eine Weile.
Die Musik zu „Konklave“ wirkt wie ein lebendiges Wesen, ein Organismus, der pulsiert und atmet. Wie erzielen Sie eine solche Wirkung?
Das liegt möglicherweise an meiner Herangehensweise. Die ist nicht immer so, wie man vielleicht ein klassisches Stück komponiert, also vom musikalischen Einfall aus gedacht. Ich arbeite eigentlich eher mit Sounds, besonders am Anfang. Ich suche mir bestimmte Instrumente aus. Und ich versuche, herauszufinden, mit welchem Instrument ich bestimmte Gemütszustände beschreiben kann.

Können Sie die emotionalen Konflikte einer Geschichte hören?
Die Eindrücke, die sich in meinem Leben sammeln, haben natürlich einen großen Einfluss darauf. In „Konklave“ geht es um eine Papstwahl, also um Religion. Da bin ich nicht unbedarft. Wer wie ich aus dem Siegerland kommt, weiß auf jeden Fall, was Religion ist. Und dann ist man auch mit den ganzen Gemütskonflikten zum Thema Religion groß geworden. Das spiegelt sich in der Musik wider.

Haben Sie beim Komponieren die Bilder des Films vor Augen?
Ich denke, das ist eine Wechselwirkung. Man muss sich von den Bildern immer wieder ein bisschen abkoppeln, weil man manchmal zu nahe wird, wenn man die Bilder des Films zu stark auf sich wirken lässt. Dann doppelt man das, was man schon sieht. Ein guter Film braucht eigentlich keine Doppelung, der muss nicht an den Stellen unterstützt werden, welche die Schauspieler schon fantastisch spielen. Warum soll ich mit der Musik illustrieren, was schon zu sehen ist und bereits gesagt wird? Also versuche ich, Zwischenräume zu finden, in denen die Musik etwas anderes macht, zum Beispiel Transzendenz beschreibt oder das, was unter der Haut passiert.
Bei „Im Westen nichts Neues“ stand ein altes Harmonium im Mittelpunkt der Partitur. Für „Konklave“ haben Sie wieder ein ungewöhnliches Instrument gefunden. Ist das eine Glasharfe?
Nein, eine Glasharfe besteht aus runden Glasröhren, die mit Wasser gefüllt sind. Das Instrument, das ich in „Konklave“ einsetze, heißt Cristal Baschet und besteht aus horizontal aufgehängten Glasstäben, die wie eine Klaviatur angeordnet sind und mit feuchten Händen in Schwingung versetzt werden. Die Brüder Bernard und François Baschet haben das Instrument wiederentdeckt und neu gebaut; der eine war Bildhauer, der andere Ingenieur. Die Brüder waren Klangforscher, sie haben viele verschiedene Klangobjekte gebaut, die auch im öffentlichen Raum stehen. Das Cristal Baschet ist mir vor Jahren in London unter die Augen gekommen. Bei der Arbeit an „Konklave“ fiel mir das wieder ein, weil ich ein Instrument haben wollte, das mit Glas arbeitet.
Der Film „Konklave“
Konklave (Conclave) ist ein Film, der von einer Papstwahl handelt. Der Thriller von Edward Berger basiert auf dem gleichnamigen Roman von Bestseller-Autor Robert Harris. In den Hauptrollen sind Ralph Fiennes, Stanley Tucci und John Lithgow als Kardinäle aus verschiedenen Ländern zu sehen, die bei einem Konklave zusammenkommen, um den neuen Papst zu wählen. Der Filmstart war in Deutschland im November 2024. Der Kreuztaler Komponist Volker Bertelmann schrieb die Filmmusik. „Konklave“ ist für acht Oscars nominiert, unter anderem als bester Film, bester Hauptdarsteller und beste Filmmusik. Edward Berger ist auch der Regisseur des Filmes „Im Westen nichts Neues“, der 2023 vier Oscars gewann, unter anderem für die beste Filmmusik.
Haben Sie es dann nachgebaut oder gekauft?
Es gibt nicht viele von diesen Instrumenten. Ich habe jetzt zwar eines für mich selbst geordert. Es dauert aber fast zweieinhalb Jahre, bis das fertiggestellt ist. Dafür hatte ich keine Zeit. Doch in Paris gibt es zwei, drei Spieler, die das fantastisch spielen. Ich habe einen gefragt, ob er vielleicht Lust hat, nach Düsseldorf zu kommen, mit dem Instrument. Ja, das ist dann eine Geschichte, die so eine Partitur trägt.
Das Cristal Baschet klingt absolut unheimlich. Wie erzeugt man musikalische Spannung?
Stille ist zum Beispiel eine wahnsinnig gute Möglichkeit, Spannung zu erzeugen, wenn man vorher laut ist. Viele der Musiken, die ich in „Konklave“ gemacht habe, sind sogenannte Rampen. Also, es sind Musiken, die sich immer höher schrauben, und dann hören sie auf. Und dann hat man auf einmal eine Stille und hört vielleicht nur noch Kardinal Lawrence atmen.
„Stille ist eine wahnsinnig gute Möglichkeit, Spannung zu erzeugen.“
Und dann hat man Angst?
Dann hat man Angst. Oder man hört und merkt, dass man so nahe bei dem Schauspieler ist. Das ist eigentlich auch meine Intention. Nur wenn es wirklich gewünscht ist, möchte ich den Film sozusagen von der Leinwand entrücken. Ansonsten möchte ich eigentlich, dass man den Film möglichst nahe erlebt.
Wie bereiten Sie sich auf die Oscar-Nacht am 3. März im Dolby-Theatre in Los Angeles vor? Ist das beim dritten Mal ein bisschen entspannter, weil man die Wege kennt?
Ja, und man verbringt auch die Zeit anders. Man weiß halt genau, wie viel Zeit man für was braucht. Am Anfang muss man das wie in einem neuen Beruf lernen. Man sitzt auch viel rum und muss warten, und das macht natürlich auch aufgeregt. Und beim ersten Mal ist man verunsichert, weil man gar nicht weiß, wie das geht. Das fängt mit ganz einfachen praktischen Dingen an, wie sich warm anziehen. Wenn man in einem hochklimatisierten Raum sitzt und nicht warm genug angezogen ist, friert man die ganze Zeit und fühlt sich unwohl. Das ist so das Schöne an der Routine. Das behaupte ich jetzt mal, obwohl es keine Routine werden wird. Aber mit der Erfahrung kann man die Umstände so gestalten, dass man sich wohlfühlt und entspannt auf die Bühne gehen und seine Danksagung sagen kann, falls man gewinnen sollte.
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War der erste Oscar vor zwei Jahren ein Wendepunkt? Hat sich dadurch etwas verändert in Ihrer Karriere?
Ja natürlich. Man bekommt eine ganz andere Stabilität in die Karriere. Musiker haben meist eine sehr unvorhersehbare Karriere. Man hat Jahre, wo man erfolgreich ist, dann hat man plötzlich keinen Erfolg mehr. Es ist immer so ein Hoch und Runter. Der Oscar-Gewinn ist ein bisschen wie ein Anker, dass die Ausschläge nicht mehr so hoch sind. Das ist ein Gefühl, das Leben ist ein bisschen stabiler geworden. Das tut mir gut im Alter von 57 Jahren. Es ist etwas Tolles, wenn in einem Alter, in dem viele vielleicht schon an die Rente denken, das Leben noch einmal so einen Wendepunkt bekommt. Das ist sehr schön.
Kriegt man als Oscarpreisträger bessere Angebote?
Auf jeden Fall. Menschen, die gute Filme machen, werden dadurch auf einen aufmerksam. Aber es ist nicht so, dass auf einmal ganz Hollywood Schlange steht, sondern man muss sich nach wie vor bemühen, gute Arbeit zu leisten und selbst zufrieden zu sein. Das ist das Wichtigste.
Wie sind denn die Publikumsreaktionen zu „Konklave“?
Der Film hat eine sehr heilsame Botschaft. Wir reisen mit dem Film sozusagen um die ganze Welt und gehen nach der Vorführung in den Kinos oft auf die Bühne und sprechen mit den Leuten. Und dabei merken wir: Es sind wahnsinnig viele junge Menschen im Kino. Wir haben ja am Anfang überhaupt nicht gedacht, dass ein Film über den Vatikan irgendwie einen jungen Menschen hinter dem Ofen hervorlockt. Aber bei dem Film geht es um einen Inhalt, der junge Leute sehr interessiert: Weil es nämlich genau um die Frage geht: Wie lebt man eigentlich zusammen auf der Erde und wer führt uns an in bestimmten moralischen Fragen?