Hagen. Irritation: Hermes Helfricht hat in Hagen den Vertrag unterschrieben. Parallel bewirbt er sich in Erfurt. Was sagt das Orchester dazu?
Große Verunsicherung im Philharmonischen Orchester Hagen: Der designierte Hagener Generalmusikdirektor Hermes Helfricht (32) soll auch in Erfurt Generalmusikdirektor werden. Das bestätigte die Erfurter Theaterleitung auf Nachfrage unserer Redaktion. Helfricht hatte sich dort um die GMD-Position beworben und das Verfahren für sich entschieden. Eine Zusage des Dirigenten, der derzeit 1. Kapellmeister an der Oper Bonn ist, steht nach Informationen der Thüringer Allgemeinen aber noch aus. In Hagen hat Helfricht seinen Vertrag als Generalmusikdirektor bereits unterzeichnet. Beide Positionen soll er zur kommenden Spielzeit 2025/26 ab Sommer antreten.
„Beides geht nicht“, davon ist Wolfgang Röspel überzeugt. Den Vorsitzenden des Aufsichtsrates der Theater Hagen GgmbH trifft die Information überraschend, dass sich Helfricht parallel zu seinen Hagener Verhandlungen auch in Erfurt beworben hatte. Am Dienstag wird Röspel zusammen mit Theatergeschäftsführer Dr. Thomas Brauers und der Hagener Kulturdezernentin Martina Soddemann die Situation beraten.
„Beides geht nicht.“
Erfurt will den hochbegabten jungen Dirigenten unbedingt haben. „Hermes Helfricht hat im Bewerbungsverfahren einen sehr guten Eindruck hinterlassen. Wir befinden uns derzeit in Gesprächen mit seiner Agentur, um mit dem Theater Hagen eine einvernehmliche Lösung für eine für beide Seiten sinnvolle Zusammenarbeit in den nächsten beiden Spielzeiten zu finden“, teilten Malte Wasem als Künstlerischer Direktor und Verwaltungsdirektorin Christine Exel in einem kurzen gemeinsamen Statement aus Erfurt mit.
Tauziehen um Dirigenten
Weder der von zwei Städten begehrte junge Dirigent selbst noch sein Agent in Berlin wollten dazu bisher auf Anfrage Stellung nehmen. Wie es aussieht, würde Helfricht nächsten Herbst gerne beide Chefstellen antreten. Das ist im Musikbetrieb nicht unüblich, wirft mit Blick auf die speziellen Herausforderungen in den beiden Städten jedoch Fragen auf.
Die Hagener Orchestermusiker reagieren verstört auf die Nachrichten aus Erfurt. Denn das Orchester befindet sich personell in einem Verjüngungsprozess und steht in den nächsten Jahren vor großen Aufgaben. „Wir haben hier gar nicht das Personal, es fehlt der Unterbau, der auffängt, wenn ein Chef nicht präsent ist. Mit Blick auf die Zukunft des Orchesters sind Präsenz und Identifikation umso wichtiger. Wir haben uns im Orchester schon viele Gedanken gemacht, wie wir uns zukünftig aufstellen müssten. Das Orchester befindet sich in einem Umbruch. Verdiente Musiker gehen in den Ruhestand, die jungen Musiker kommen teils aus anderen Kulturkreisen, das ist eine spannende Situation. Die Aufgaben eines Generalmusikdirektors sind groß, sie gehen weit über das Dirigieren hinaus“, erläutert Soloschlagzeuger Heiko Schäfer.
„Uns fehlt der Unterbau, der auffängt, wenn ein Chef nicht präsent ist.“
Die Philharmoniker wünschen sich einen präsenten GMD: „Wie soll das in der Praxis mit zwei Häusern funktionieren, wo in beiden Häusern ganz viel Präsenz gefragt ist. Wenn das überhaupt geht, dann nur in einem Konzertorchester. In einem Opernbetrieb von der Größe des Hagener Theaters ist das in der Praxis nicht zu leisten, ganz abgesehen von den erforderlichen Kontakten in die Stadtgesellschaft“, heißt es namentlich nicht genannt aus dem Orchester. Es sei immer der Wille des Orchesters gewesen, konstruktiv mit dem neuen Generalmusikdirektor Hermes Helfricht zusammenzuarbeiten.
Alle Hände an Deck
Das Theater Hagen braucht nicht nur einen neuen GMD, sondern steht ab Sommer auch unter der neuen Leitung von Søren Schuhmacher. Der neue Intendant beobachtet die Situation nicht unbesorgt: „Wir haben ein erstklassiges Orchester und ein gut aufgestelltes Haus in Hagen. Und wir haben unglaubliche Herausforderungen. Da brauchen wir alle Hände an Deck. Ich kann mir in der Situation, in der wir stecken und angesichts der Aufgaben, die wir meistern müssen, nicht vorstellen, dass man beide Positionen gleichzeitig erfüllen kann.“
„Wir haben unglaubliche Herausforderungen. Da brauchen wir alle Hände an Deck.“
In beiden Opernhäusern, in Hagen wie Erfurt, ist die Personaldecke überschaubar. Der GMD kann sich in Hagen nicht die Rosinen herauspicken, sondern muss selbst den Opernspielplan und Konzertspielplan entscheidend mitgestalten und vor allem auch dirigieren. Die Zahl der Kapellmeister ist begrenzt, und das Budget für Gäste ist klein. Noch wichtiger als diese organisatorischen Fragen ist jedoch die gestalterische Herausforderung. Orchester und Theater in Hagen müssen sparen und Ideen entwickeln, wie sie angesichts der demographisch erheblich veränderten Stadtgesellschaft zukunftsfest werden können. Dabei sind perspektivisch auch strukturelle Veränderungen denkbar. Diese Konzepte kann der GMD aber nur entwickeln und steuern, wenn er vor Ort ist.
Außerdem wäre es für Hermes Helfricht, der derzeit 1. Kapellmeister an der Oper Bonn ist, die erste Leitungsposition. Er muss erst Erfahrungen als Generalmusikdirektor sammeln. Auch in diesem Punkt stellt sich die Frage, wie ein GMD-Neuling zwei so herausfordernde Aufgaben meistern kann. Fragen muss sich auch die Agentur des jungen Maestros gefallen lassen, die ihm offenbar von diesem Simultanspiel nicht abgeraten hat.
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Die Hagener Stelle ist für die üblichen fünf Jahre mit der Option auf Verlängerung ausgeschrieben. Die Erfurter Position ist hingegen eine auf zwei Spielzeiten befristete Übergangslösung. Die Erfurter stehen mitten in einer angestrengten Konsolidierungsphase; der Erfurter Stadtrat hat den Generalintendanten des Hauses, Guy Montafon, Ende Juli außerordentlich gekündigt. Bereits vor Monaten war Montafon von seinen Aufgaben freigestellt worden, nachdem Vorwürfe von Machtmissbrauch und finanziellen Ungereimtheiten öffentlich wurden. Auch die Aufarbeitung und der Neuanfang in Erfurt verlangen nach der physischen Präsenz des Generalmusikdirektors, so die Thüringer Allgemeine.
Hermes Helfricht wurde 1992 im sächsischen Radebeul geboren, er sang neun Jahre lang im Dresdner Kreuzchor und schlug mit einem Studium an der Universität der Künste Berlin die Dirigier-Laufbahn ein. Schon mit 21 Jahren genoss er eine Exzellenzförderung im „Forum Dirigieren“ des Deutschen Musikrats. Erste Festengagements führten ihn ans Theater Erfurt und nach St. Gallen (Schweiz). Inzwischen macht er als Erster Kapellmeister an der Oper Bonn Furore und dirigiert diese Saison unter anderem Puccinis „Tosca“ und Wagners „Meistersinger“.