Meschede. Benediktiner-Abt Cosmas Hoffmann über das letzte Aufflackern des Patriarchats, Wirklichkeitsverlust und die Suche nach Resilienz.
Wer mit der Welt nicht zurechtkommt, zieht eine Ordenstracht an. So lautet das Klischee. Auf der anderen Seite wird aber gerade Klöstern eine hohe Kompetenz zugesprochen, mit Krisen umzugehen. Wie spiegelt sich dieser Widerspruch in den großen Problemen unserer Zeit: Kriege, Hass, gesellschaftliche Polarisierung? Abt Dr. Cosmas Hoffmann (58) von der Benediktinerabtei Königsmünster in Meschede sieht Resilienz (die Fähigkeit, Belastungen auszuhalten) als Schlüsseltugend. Doch wo findet man die?
Können Sie hinter den Klostermauern die Welt ausblenden?
Abt Cosmas: Das kann man nicht. Ich bin ja selbst ein Stück von der Welt, ich trage die Welt in mir, das hieße ja, ich würde vor mir selbst weglaufen. Mich hat die Sehnsucht ins Kloster geführt, Welt und Wirklichkeit tiefer zu verstehen. Dazu gehört aber in gewisser Weise, das Oberflächliche von Welt hinter sich zu lassen.
Sind die Mönche alles Gutmenschen - oder müssen Sie sich auch mit Hass herumschlagen, mit rassistischen oder frauenfeindlichen Äußerungen innerhalb der Gemeinschaft zum Beispiel?
Der Heilige Benedikt sagt in seiner Regel: Die Brüder sollen sich im gegenseitigen Wertschätzen übertreffen. Aber in der menschlichen Realität sieht man eher die Schwächen des anderen als seine Stärken. Dass Brüder unserer Gemeinschaft sich rassistisch oder sexistisch äußern, erlebe ich so nicht. Die Fähigkeit zur Differenz und Toleranz ist allerdings unterschiedlich ausgeprägt. Aber bestimmte Positionen und eine bestimmte Sprache vertragen sich nicht mit einer christlichen Einstellung.
Und dennoch haben die Katholiken in den USA Donald Trump ins Präsidentenamt gewählt, obwohl er andauernd gegen die christlichen Werte verstößt.
Trump führt ein Leben, das für mich mit Christentum nichts zu tun hat. Ich war überrascht, als sich zeigte, wie viele Katholiken ihn gewählt haben. Da tritt einer als Christ auf, aber er lügt, wertet Immigranten und Menschen anderer Meinung ab. Doch wenn ich die christliche Botschaft von der Menschwerdung Gottes ernst nehme, kann ich nicht sagen: Der Andere darf nicht sein. Zudem vertritt er ein sexistisches Frauenbild und zelebriert sich als Macho. Das kann ich angesichts der Errungenschaften der Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Moderne nur als letztes Aufflackern eines spätpatriarchalen Gehabes wahrnehmen.
Nun hat die katholische Kirche bekanntlich ebenfalls Probleme mit der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Frau.
„Gott schuf den Menschen als Mann und Frau.“ Da ist die Bibel eindeutig. Und angesichts der aktuellen Entwicklungen in der katholischen Kirche werden patriarchalische Muster und Haltungen zunehmend angefragt. Überhaupt sind diese Themen überall in Bewegung. Auch in Afrika, Asien und Lateinamerika erwarten Frauen zu Recht, an Verantwortung und Entscheidungsfindung Teil zu haben. Ich bin und bleibe da recht zuversichtlich, dass hier Bewegung drin ist und es sich weiterentwickelt.
Viele Menschen in Deutschland suchen Orientierung angesichts der Angst, die sie wegen der Krisen haben. Sie sind aber nicht oder nicht mehr in einer Kirche. Tun sich Christen leichter mit der Zuversicht?
Auf der einen Seite nehmen Kirchenaustritte, Kirchenkritik, Kirchenferne und Gleichgültigkeit ihr gegenüber zu. Auf der anderen Seite merken wir in der Abtei zugleich eine Suche oder Sehnsucht nach Spiritualität. Gerade bei Menschen, die aus Kontexten kommen, wo ein religiöser Hintergrund gar nicht mehr vorhanden ist, wächst ein neues Interesse an Spiritualität. Darin sehe ich eine Herausforderung für alle, die ein geistliches Leben führen, denen der Glaube Orientierung und Halt gibt. Ich verstehe Glaube weniger als das Bekenntnis zu bestimmten Sätzen, sondern vielmehr als das Bemühen, den tieferen Grund von Wirklichkeit wahrzunehmen. Also nicht Weltflucht, sondern Welttiefe suchen. Die Spuren Gottes in meinem Alltag zu entdecken. Wir haben die Aufgabe, Spurenleser zu sein. Zunächst für uns und dann auch unterstützend für und mit anderen.
„Der andere wird nicht mehr als Mensch gesehen, sondern steht für das Falsche, das mit allen Mitteln abgewehrt werden muss. Genau dieses Muster gefährdet unsere offene Gesellschaft und Demokratie. “
Ermöglicht Glaube denn eine Resilienz gegen Krisen?
Ist Glaube ein Lebensplus oder schränkt er eher ein und macht durch Verbote das Leben eng? Man kann nicht sagen: Glauben heißt, dass Leben gelingt. Nein, Glaube ist keine Gelinggarantie. Aber ich denke schon, dass der Glaube in mir das Vertrauen stärkt, dass Leben gelingen will. Weil ich mich gehalten fühle von Gott und von mir verbundenen Menschen, die meinen Glauben teilen, kann ich dem Leben offen begegnen. Und auch wenn ich kein gläubiger Christ bin, kann es mir gelingen, mich über das kleine Ich, das ich bin, hinaus verbunden zu wissen mit der Welt, mit der Natur, mit Tieren, Pflanzen, mit dem Kosmos. Dann besteht die Möglichkeit, in dieser Verbundenheit Halt zu finden. Das sind Erfahrungen, wo ich mein persönliches kleines Menschen-Ich überschreite, also transzendieren kann, und über mich hinauswachse.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
In der ersten Corona-Zeit hat es mir total gutgetan, in den letzten Wintertagen regelmäßig in die Natur zu gehen und von Tag zu Tag zu sehen, wie sich an den Zweigen Knospen bilden. Ich habe mit großer Dankbarkeit wahrgenommen, dass es ein großes Geschenk ist, dass wir in unserem Kulturkreis eine Einheit von Natur und Religion haben. Das Licht geht weg, es wird immer dunkler, und wenn es am dunkelsten ist, feiern wir in der Weihnacht die Ankunft des Lichtes – religiös und astronomisch. Und das Osterfest der Auferstehung markiert den Wendepunkt, wo die Natur nach dem Winter neu wieder auflebt. Aber nicht nur die Natur führt uns zur Transzendenz. Auch Musik und Kunst sind Dinge, die uns aus und über uns hinausführen und helfen, Resilienz zu entwickeln.
Nutzt Kunstbetrachtung gegen Rechtsradikalismus oder Trumps Lügen?
Ich denke schon, dass es etwas nutzt, das Gute zu schätzen. Dazu gehört auch die Frage, wie ich meinen Medienkonsum einschätze. Wie grenze ich mich ab? Abgrenzung ist das Stichwort, nicht Flucht. Und bei der Abgrenzung hilft positiv die Begegnung mit dem Echten, mit echter Erfahrung, echter Wahrnehmung, riechen, schmecken, fühlen, Kunst erleben und Musik. Es ist so wichtig, wirklich wahrzunehmen. Resilienz kommt von lateinisch „resilire“, das heißt wörtlich zurückspringen. Das meint konkret, etwas wirkt auf mich ein, hinterlässt Spuren oder wirft mich aus der Bahn. Und danach finde ich wieder meine Spur und kehre wieder in meine Form zurück, bin wieder bei mir. Genau das ist Stärkung und Ziel von Resilienz: wirklich bei sich sein zu können, bei sich zu Hause sein. Papst Gregor der Große beschreibt den hl. Benedikt als einen Menschen, der bei sich zu Hause war.
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Die durch Lügen und Hass gespaltene Wirklichkeit ist ebenso wie die Ausgrenzung der katholischen Kirche nicht fremd.
Sowohl in der Gesellschaft als auch in gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen, das heißt auch in Kirche, ist eine zunehmende Polarisierung festzustellen. Dann werden jene, die sich nicht der eigenen Meinung oder Weltsicht anschließen können oder wollen, als bedrohlich wahrgenommen oder gar abgelehnt. Der andere wird nicht mehr als Mensch gesehen, sondern steht für das Falsche, das mit allen Mitteln abgewehrt werden muss. Genau dieses Muster gefährdet unsere offene Gesellschaft und Demokratie. Dagegen ist es wichtig, im Gespräch zu bleiben, auch sich zu streiten, sich Dinge zu sagen. Der entscheidende Punkt dabei ist, dass mein Gegenüber merkt, dass ich sie oder ihn, bei aller Differenz in der Sache, als Person achte und wertschätze. Ein Grund dafür, dass viele sich der Kirche entfremden, ist, dass sie die Fixierung auf kirchenpolitische Positionen und Streitereien, die der aktuellen Wirklichkeit schon längst nicht mehr entsprechen, leid sind. Vielleicht sollten wir uns mehr darüber austauschen, was uns Kraft schenkt, was uns lebendig macht und stärkt, um so die Verbundenheit untereinander zu stärken, die wir brauchen, um den vielfältigen Herausforderungen und Krisen gemeinsam begegnen zu können.
Die Krise macht ja vor dem Kloster Königsmünster nicht Halt. Finanziell geht es ihnen nicht gut.
Ja, wir verfügen einerseits über sehr begrenzte Mittel und stehen angesichts unserer Gebäude, die unterschiedlichen Alters sind, und der Veränderungen in Kirche und Gesellschaft auch vor finanziellen Herausforderungen. So geht es auch vielen anderen Menschen. Und wie viele andere sollten wir diese kritische Situation als Möglichkeit nutzen, uns zu fragen, wohin es uns zieht, was wir wollen und können, was unsere Ziele sein sollten. Zugleich sollten wir zu den Menschen gehen und hören, was sie brauchen, ob und was sie von uns erwarten. Mut machen mir dazu die Erfahrungen meines ersten Jahres als Abt. Denn ich habe viele Menschen aus der Region kennengelernt und bin immer wieder überrascht, wie viel wohlwollendes Interesse und Zutrauen mir und meiner Gemeinschaft entgegengebracht wird.