Menden. Niedrige Impfquoten, steigende Zahlen bei Corona und Grippe: Was Menschen dazu bringt, sich in einer Apotheke impfen zu lassen.
Sie wohnen nur wenige Meter von der Apotheke Köster entfernt. „Seit drei Jahren schon“, sagt Gerhard Bartsch (85). Er und seine Frau Heidemarie (80) kommen gemeinsam mit Rollator in die Apotheke an der Unnaer Straße in Menden gelaufen. Es ist kurz nach 19 Uhr. Die Unnaer Straße wird bereits von Straßenlaternen und Schaufenstern illuminiert. Regulär hätte die Apotheke gerade geschlossen und das Team hätte sich auf den Feierabend vorbereitet. Doch nicht heute.
Denn der Apothekerverband hat die lange Nacht des Impfens ausgerufen. Es ist eine Aktion, um die Durchimpfungsquote bei Grippe und Corona zu steigern. Von 700 impfenden Apotheken in NRW nehmen aber gerade einmal 50 teil. Eine davon ist die Apotheke Köster. Inhaber Andreas Köster erklärt, dass man mit 50 Impfungen über den Tag verteilt rechne. Online konnte man Termine buchen, die Termine für SARS-COV-2 waren am Dienstag bereits ausgebucht. Und doch ist um 19 Uhr in der Apotheke nicht viel los. Zehn Stühle stehen im Verkaufsraum, wo sonst Medikamente, Pflaster und allerlei andere Gesundheitsmittel verkauft werden. Sie sind alle verwaist. Das Ehepaar Bartsch setzt sich auf seine Rollatoren. Vor ihnen sind zwei weitere Paare, eins geht gerade in die Impfkabine, das andere erledigt mit einer Apothekerin den Papierkram.
Verunsicherung über Impfungen beim Arzt
„So hat jeder eine Chance!“
Die Eheleute Bartsch sind für die Grippeimpfung da, die Corona-Impfung haben beide schon fünf Mal erhalten. „Hier ist unsere Stammapotheke!“, sagt Gerhard Bartsch stolz. Das Ehepaar kennt die Impfaktion bereits aus dem vergangenen Jahr. „Daher haben wir auch dieses Jahr bei der Apotheke nachgefragt, ob es im Herbst wieder eine Impfaktion gebe“, erklärt der 85-Jährige weiter.
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„Die Ärzte wissen scheinbar gar nicht mehr selber, ob sie noch selber gegen Corona impfen werden“, zeigt sich Ehefrau Heidemarie Bartsch besorgt. Zudem sei ihr Hausarzt derzeit im Urlaub, weshalb das Angebot der Apotheke wie gerufen käme. „Es ist doch auch super für die, die sonst aus beruflichen oder welchen Gründen auch immer morgens nicht zur Impfung gehen können. So hat jeder eine Chance. Ich finde, dass das Angebot eine gute Sache ist“, zeigt sich Gerhard Bartsch begeistert. Auch Andreas Köster bestätigt, dass das Angebot der Apotheken von den Patientinnen und Patienten gut angenommen werde und viele dankbar seien. Er hätte sich nur gewünscht, dass man als Apotheke früher über einen solchen Aktionstag informiert werde. Er habe erst vor zweieinhalb Wochen davon erfahren.
Apothekenangebot hilft bei chronischer Krankheit
Die Eheleute Bartsch sind gerade in der Impfkabine verschwunden, da kommt ein weiteres Paar hinein. Die Beiden möchten ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Ob sie den Anamnesebogen bereits ausgefüllt haben, werden sie von einer Angestellten der Apotheke gefragt. Beide verneinen, sie hätten keinen Drucker zu Hause. Sie setzen sich auf die Stühle und füllen die Formulare aus.
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„Im Internet!“, antwortet der Mann auf die Frage, wie sie auf den Aktionstag aufmerksam wurden. „Sie hat es in den sozialen Medien gefunden“, sagt er und schaut zu seiner Freundin. Für die beiden ist das Impfangebot sehr wichtig: „Meine Freundin hat eine Lungenfibrose. Wir nehmen alles mit, was man kriegen kann“, so der Mann. Gerne hätte man Grippe- und Corona-Impfung in einem Abwasch erledigt, doch bei der Apotheke Köster war die Spritze gegen Corona für den Tag schon ausgebucht. „Die Corona-Impfung holen wir dann nach dem Urlaub nach“, sagt der Mann.
Auch andernorts Nachfrage
Auch in Arnsberg-Neheim wird das Angebot nachgefragt. „Wir haben, Stand Dienstagmittag, bereits 55 gebuchte Termine, plus mögliche Spontanimpfungen“, erklärt Nina Robel. Sie ist pharmazeutisch technische Assistentin (PTA) in der Park-Apotheke in Neheim. Die Park-Apotheke ist neben der Apotheke Köster eine von wenigen im Sauerland, die an der Aktion teilnehmen. Bereits seit 8 Uhr am Dienstag habe man in der Apotheke geimpft - bis spät in den Abend hinein. Ihr zufolge bietet die Apotheke seit vergangenem Jahr regelmäßig Impfungen an jedem Dienstag an. Dabei wird gegen Grippe und Corona geimpft. „Wir sind gerne bei allem dabei, was den Menschen hilft. Als jetzt die Nacht des Impfens ausgerufen wurde, waren wir direkt an Bord.“
„Wir sind der Meinung, dass ein solch niedrigschwelliges Angebot Sinn ergibt und möchten das unterstützen. Außerdem ist die Nachfrage nach Corona-Impfungen derzeit sehr hoch“, sagt auch Andreas Köster, der 39-jährige Apotheker aus Menden. Bis 22 Uhr bot Köster Impfungen an.
Bei den Hausärzten in Westfalen-Lippe wird das Thema „Impfen in Apotheken“ weiter kritisch gesehen. „Impfungen sind eine ur-hausärztliche Tätigkeit und gehören dementsprechend in die Hausarztpraxis“, sagt Lars Rettstadt, 1. Vorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe, gegenüber der WESTFALENPOST. Die Impfnacht bezeichnet er als „Marketingaktion“, die nicht nachhaltig zu einer Stärkung der Impfquote führe. Dass es Ärzte gebe, die Impfungen nicht mehr anböten, könne er nicht bestätigen. Das ganze Interview lesen Sie hier.
Impfquote ist noch gering
Die Durchimpfungsquote 2022/23 in der „wichtigsten Gruppe der über 60-Jährigen“ bei Grippe und COVID-19 liegt bei gerade einmal 40 Prozent, wie der Apothekerverband Nordrhein mitteilt. Aus diesem Grund habe man die „Lange Nacht des Impfens“ ausgerufen.
Schon zum zweiten Mal, doch „vergangenes Jahr war der Termin sehr kurzfristig anberaumt worden. Solche Impfaktionen benötigen aber Zeit für die Organisation“, sagt Dr. Nina Grunsky, Sprecherin des Apothekerverbands Westfalen-Lippe. Ihr zufolge waren durch den kurzen Vorlauf nur wenige Apotheken in Deutschland beim Aktionstag 2023 dabei. Anders sieht es in diesem Jahr aus. Nicht alle haben die Aktion am 1. Oktober durchgeführt. Die Aktion kann auch später noch stattfinden. Die Apotheken organisieren sich selbst.