Eslohe/Höxter. Der Altar im Kloster Corvey hat ein neues Altarbild. Es ersetzt ein zerstörtes Bild. Warum das Werk Ostern ins Heute holen will.
Der monumentale Barockaltar des Weltkulturerbes Kloster Corvey ist wieder komplett. Ein neues zeitgenössisches Osterbild des Künstlers Thomas Jessen aus Eslohe füllt die Lücke, die durch Kriegsverlust in dem Altar gerissen worden war. Mit einem Gottesdienst wurde das neue Altarbild am 25. September im Kloster Corvey enthüllt und vorgestellt. Auftraggeber ist das Bonifatiuswerk mit Sitz in Paderborn. „Wir freuen uns sehr, dass der Bilderzyklus mit dem neuen Osterbild wieder komplett ist. Das Gemälde steht für eine moderne Kunstform in einem barocken Rahmen. Dadurch können wir die für das Christentum zentrale österliche Auferstehungsbotschaft ins Bild und Gespräch bringen“, sagte Pfarrdechant Dr. Hans-Bernd Krismanek in einer Meldung des Bonifatiuswerks. Das Hilfswerk feierte mit dem Festakt das 50-Jahr-Jubiläum seiner Nordeuropahilfe.
Auf den ersten Blick steht der Betrachter vor einem Kirchenportal, mit Eingang und einem Fenster darüber. Es scheint ein uraltes Kirchlein zu sein. Auf den zweiten Blick will das schwarze Loch der Türöffnung alles Leben aus dem Bild saugen. Hinter dem Türbogen ereignet sich der Alptraum des Menschseins. Das Nichts. Das Ende. Die Öffnung führt tatsächlich in eine Grabhöhle. Und die ist leer. Aber das leere Grab ist auch das Fundament, auf dem die Kirche in jeder Wortbedeutung gebaut ist.
Osterdarstellungen sind für Künstler die größte Herausforderung. Wie malt man die Auferstehung angesichts der Trostlosigkeit eines Grabes ohne Corpus? Wie findet man Motive für das große Geheimnis der Verwandlung? Der Esloher Maler Thomas Jessen arbeitet derzeit an einer monumentalen Osterleinwand für den Hochaltar der früheren Benediktinerabtei Corvey. Das Weltkulturerbe stammt wurde 822 gegründet, in karolingischer Zeit, der Tripelaltar ist ein Meisterwerk des Barocks aus dem 17. Jahrhundert, und darin hängt ab Ende September das 4,50 Meter hohe und 3,20 Meter breite moderne Altarbild von Thomas Jessen.
Im Atelier musste Thomas Jessen auf ein fahrbares Gerüst, um die monumentale Leinwand bearbeiten zu können. Dort kann der Besucher das Werk aus der Nähe studieren. In der Kirche sieht der Betrachter das Bild erst aus rund 30 Metern Entfernung. „Je weiter man in die Kirche geht, desto weiter entrückt der Hochaltar. Das liegt an der gewaltigen Dimension des Chorraumes“, sagt Thomas Jessen.
Streit um Maria in Jeans
Der Esloher ist einer der bekanntesten Kirchenmaler Deutschlands. Er hat unter anderem die Porträts der deutschen Bischöfe geschaffen, die neue Tür zum Atrium des Paderborner Doms und den neuen Beichtstuhl in der Wallfahrtsbasilika Werl. Von weither pilgern Gruppen nach Drolshagen im Kreis Olpe, um seinen Marien-Altar in der St. Clemens-Kirche zu sehen, der für viele Menschen zum Türöffner wird, sich neu mit religiösen Fragen zu beschäftigen – der aber anfangs umstritten war, da er die Muttergottes in Jeans zeigt.
Und nun das große Altarbild für Corvey, die 1200 Jahre alte ehemalige Abtei, die seit 2014 Weltkulturerbe ist. Die Ausstattung der Kirche vereint Werke der besten Künstler des Sauerlandes und Westfalens: Der Zimmerer und Holzschnitzer Johann Sasse aus Attendorn, der Maler Anton Splithoven aus Beckum und die Bildhauerfamilie Papen aus Marsberg-Giershagen schufen das barocke Gesamtkunstwerk der Abteikirche. Die Mönche damals waren so reich, dass sie sich für den Mittelteil des Dreifaltigkeits-Hochaltars Wechselbilder leisten konnten. Es gibt insgesamt sechs davon zu den Hochfesten des Kirchenjahres. Ausgerechnet das wichtigste von ihnen, das Osterbild, wurde 1945 bei der Sprengung der nahen Eisenbahnbrücke durch die Druckwelle zerfetzt. Die Überreste sind seither verschollen. Thomas Jessen hat den Auftrag, das fehlende Gemälde zu ersetzen. Am 25. September, dem Jahrestag der Gründung des Klosters 822, wird es enthüllt.
„,Der Engel sagt den drei Frauen: Der, den ihr sucht, ist nicht hier. Er ist vorausgegangen nach Galiläa.‘ Über diesen Satz aus dem Evangelium habe ich viel nachgedacht und gemerkt: Man muss an den Anfang zurückgehen. Das Grab ist leer. Das leere Loch ist das Einzige, was sicher ist. Der Rest sind Geschichten“, erläutert Thomas Jessen die Konzeption seiner Arbeit.
- Warum der Künstler Thomas Jessen Schützenköniginnen malt
- Altar für St. Clemens Drolshagen: Maria im Bild
- Warum Maria in Drolshagen auf der Leiter steht
Jessen verschränkt in seinem Werk Zeit- und Realitätsebenen. Ein Schachbrett aus roten Kacheln bildet die Außenmauern und gleichzeitig die Bühne für die Bilderzählung des leeren Grabes – eine Verbeugung vor der karolingischen Fliesenkunst. Drei Frauen sind umrisshaft am rechten Bildrand zu erkennen. Es sind die drei Marien, die zum Grab gehen, zitiert nach einem karolingischen Elfenbeinrelief. Eine junge Frau blickt die Betrachter direkt an. Sie stammt aus der Gegenwart, trägt Jeans und Pullover, das Foto von ihrem Gesicht klebt an der Leinwand, denn das Altarbild ist nicht vollendet; Thomas Jessen arbeitet in seinem Atelier noch daran. „Ich habe noch eine weitere Frau gesucht, die da hingehört und die heute mal guckt, was denn in dem leeren Grab ist“, so der Künstler. Die Protagonistin hält einen Farbkasten in der Hand. Modell stand die Restauratorin Sina Theile aus Marsberg, die seit Jahren in Corvey arbeitet. Ihr Spezialgebiet sind bemalte Oberflächen. Als Restauratorin verbindet sie das Gestern mit der Gegenwart.
„Der erste Strich muss auf die Leinwand, und damit schließt man alle anderen Möglichkeiten aus.“
Mit der Einführung dieser Figur verankert Thomas Jessen die Ostererzählung nicht nur im Heute. Vielmehr erzeugt er eine neue Erzähl-Ebene. Denn seit dem Evangelisten Lukas, der als erster Porträtist der Muttergottes gilt, darf der Maler – oder hier die Restauratorin – mit Fug und Recht ins Bild, wenn von den großen Themen des Evangeliums die Rede ist. Übersetzt bedeutet dies: Es handelt sich um ein Bild von einer Sache, nicht um die Sache selbst, denn die Christen dürfen sich ein Bild machen, auch von Jesus Christus, welcher der Veronika ein Schweißtuch mit seinem Konterfei gab. Dieser Aspekt ist in der christlichen Kunstgeschichte wichtig, da im Islam und im Judentum jeweils ein Bildverbot existiert.
Die Dunkelheit des Grabes
Doch das, was man nicht sieht, ist trotzdem da, das gehört zu den Wundern meisterlicher Malerei. In der Dunkelheit des Grabes zeichnet sich das Golgatha ab, die Schädelstätte, mit dem Gekreuzigten, alles in Schwarz gemalt. Und die Überreste einer Schmetterlingspuppe liegen dort, so wie sich laut Lukasevangelium die Leinenbinden des Gekreuzigten am Boden der Grabkammer befanden. In dunklem Blau aber fliegt ein Schmetterling davon, in ein anderes Sein.
Die untere Bildebene ist nicht nur düster. Ein Forsythienstrauch blüht in flammendem Gelb. Er ist recht struppig, er hat schon einiges mitgemacht, aber seine Blüten lodern gegen das Nichts an. Forsythien sind Zeigerpflanzen für den Frühling, für das Osterfest. Daneben stellt ein neugeborenes Lamm seine kleinen Ohren auf – ebenfalls ein Verwandlungssymbol. Als Agnus Dei verkörpert das Lämmchen den Opfertod Jesu, begleitet von einer Kardendistel als Sinnbild für die Dornenkrone. Als Osterlamm steht das Tier zudem für den Sieg über den Tod.
Der gemauerte Torbogen deutet es bereits an: Das schwarze Loch ist begrenzt. Es kann das Bild nicht mit seiner Schwärze fluten. Denn die obere Hälfte der Komposition gehört einem riesigen Bogenfenster mit winzigen Bleiglasscheiben. Seit dem 5. Jahrhundert gibt es die ersten verglasten Fenster in Kirchengebäuden – und für lange Zeit auch nur dort. Erst die Fenster machen aus einem Gotteshaus ein himmlisches Jerusalem. Sie sind sichtbare Zeichen des Übergangs in eine andere Sphäre.
Thomas Jessen hat sein Fenster der Trinität gewidmet, dem größten Geheimnis des christlichen Glaubens. Die Dreifaltigkeit Gottes wird damit zur Transformation des leeren Grabes. Das schwarze Nichts füllt sich mit dem „Es werde“ des Schöpfers, dem ewigen Anfang, dem ewigen Licht, das mit Christus in die Welt kommt. Im Fenster erkennen die Betrachter wie von fern eine Gestalt im Leibschurz, Gottvater, dazu den gleichgestaltigen Gottessohn, der aus einer Wasserflasche trinkt, umhüllt vom unbegrenzten Feuer des Geistes. Eine Plastikwasserflasche? Muss das denn sein, ausgerechnet bei diesem Thema? Thomas Jessen hat das Motiv bewusst eingesetzt. „Jesus Christus ist Mensch geworden, er hat mit uns Menschen gegessen, und er hat mit uns Menschen getrunken“, sagt er. Und da die Geschichte nicht veraltet ist, trinkt der Sohn aus einer Wasserflasche und nicht aus einem Krug.
Das flammende Fenster ist ein Andachtsmotiv im klassischen Sinne, denn es gibt viele Rätsel auf. „Wo spielt sich dieser Raum ab? Wo kommt das Licht her? Von vorne? Von hinten?“, fragt der Maler. Jesus Christus wurde genau wie wir geboren, aber Gottvater? Wie stellt man den dar? Thomas Jessen: „Die unendliche Unendlichkeit. Damit ist man völlig überfordert.“ Frühere Maler haben sich Symbole einfallen lassen, ein Auge im Dreieck und den Geist als Taube. Alles das verdichtet das Unfassbare zu einer Chiffre, die vom Betrachter wieder entschlüsselt werden muss. Ein komplexer Prozess. Thomas Jessen erläutert: „In der Malerei sucht man Begriffe. Der erste Strich muss auf die Leinwand, und damit schließt man alle anderen Möglichkeiten aus. Aber das gefundene Motiv muss wieder unzählige Sichtweisen ermöglichen.“
Das, was in diesem Fenster dargestellt wird, entzieht sich dem rational Begreifbaren. Es spiegelt sich in den winzigen Fensterscheiben in eine Unendlichkeit jenseits von Zeit und Raum, ins Grenzenlose. Was wir sehen, ist nur ein Bild, eine Vorstellung von einem Geheimnis, an dessen Anfang ein Satz steht: Das Grab ist leer.