Balve. Viele Kritiker waren da: Wie Cem Özdemir, Grüner und Landwirtschaftsminister, sich beim Bürgerdialog im Sauerland geschlagen hat.
Ulrich Brinckmann hat es geschafft. Der Schweinehalter aus Iserlohn hat den Bundeslandwirtschaftsminister aus der Reserve gelockt, er hat einen Punkt getroffen, der Cem Özdemir geradezu aufwühlt. Der 58-jährige Grünen-Politiker hatte sich bis dahin vor den rund 100 Bürgerinnen und Bürgern in der ehemaligen Grundschule in Balve-Langenholthausen als Ober-Realo präsentiert, als Mann des Ausgleichs, auch in seiner Wortwahl ein lebender Kompromiss.
Jetzt wird Özdemir aber deutlich: „Wollen Sie wirklich, dass man Sie wieder anlügt und Sie klatschen auch noch dazu, wie es seit 1991 immer wieder passiert ist? Wer Kompromisse sucht, hat bei mir 24 Stunden, sieben Tage in der Woche eine offene Tür. Was ich aber nicht machen werde, ist eine Märchenstunde zu halten.“ Ulrich Brinckmann, der Landwirt aus Iserlohn, hat Özdemir zuvor vorgeworfen, die Landwirte beim Düngegesetz über einen Kamm zu scheren. Man werde im Sauerland in Sippenhaft genommen bei den neuen Regelungen zur Nitratbelastung im Grundwasser, obwohl dies in der Region überhaupt kein Problem sei. Und der Minister kontert, dass er eine schon seit 1991 geltende EU-Verordnung umsetze, weil sonst eine Milliarde Euro Strafzahlung gedroht hätten, die den Landwirten dann an anderer Stelle gefehlt hätten. Viele Minister vor ihm hätten nicht die Wahrheit gesagt, er tue es jetzt.
Ulrich Brinckmann ist nicht zufrieden mit der Antwort, das macht er nach dem Bürgerdialog mit dem Bundesminister, den die Westfalenpost veranstaltet hat, deutlich. Er hat auch nicht viel Hoffnung, dass Özdemir tatsächlich seine Vorstellungen übernimmt oder gar durchsetzt. Aber er ist hier, er hört zu, er ist im Dialog mit dem Mann, dessen Ansichten ihm gar nicht passen.
100 Menschen mit ganz unterschiedlichen Einstellungen
Und das ist tatsächlich der größte Wert bei dieser Veranstaltung in der SoKoLa.de (Soziales und Kommunikation Langenholthausen.de) – so heißt die ehemalige Grundschule jetzt, die ein Dachverein in dem Sauerland-Dorf zu einem Begegnungszentrum umgebaut hat.
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100 Menschen sitzen hier beisammen, die ganz unterschiedliche Meinungen und Einstellungen haben. Viele Landwirte sind gekommen, die den Grünen-Politiker kritisch sehen. Es sind aber auch lokale Grünen-Mitglieder da, die Sympathien zeigen. Und ganz viele weitere interessierte Bürgerinnen und Bürger. Was sie eint: Sie hören sich gegenseitig zu, es findet ein echter Austausch statt. Jost Lübben, Chefredakteur der Westfalenpost, wird am Ende genau das würdigen: „Sie haben hier Applaus gespendet, Respekt gezeigt - trotz unterschiedlicher Auffassungen.“ Ein klarer Kontrapunkt zu aufgeheizten Debatten in der digitalen Welt.
Cem Özdemir ist an diesem Tag zuvor bei der Handwerkskammer in Arnsberg, zeigt sich nachher beeindruckt, dass hier im Sauerland sogar junge Menschen aus seiner Heimat Baden-Württemberg ausgebildet werden („Da konnt‘ ich Schwäbisch schwätzen“) . Er hat die Wepa-Papierfabrik besucht und dann einen Kaffee bei Bäcker Charly Grote in Langenholthausen getrunken, bevor er zu Fuß durchs Dorf zur SoKoLa.de gegangen ist, um sich dort das bürgerschaftliche Gemeinschaftszentrum genau erklären zu lassen. Der Bürgerdialog am Abend ist der Höhepunkt des Tages.
Ganz spezielle Fragen mit Sauerland-Bezug
Und Cem Özdemir, der nicht nur Minister für Landwirtschaft, sondern für den gesamten ländlichen Raum ist, beweist, dass er sich eingearbeitet hat in den vergangenen zweieinhalb Jahren, seit er als Überraschungskandidat das Ressort übernommen hat. Er kann spezielle Fragen zur Tierwohlverordnung, zu Düngegesetzen oder zur Vorsteuerpauschalierung beantworten. Und er wird mit vielen Fragen aus Sicht der Sauerländer konfrontiert. Dorothee Biermann aus Eslohe-Wenholthausen will etwa wissen, warum der Umbau von Schweineställen im Zuge der Tierwohl-Richtlinie mit bis zu 5 Millionen Euro bezuschusst werde. Das fördere doch weiter die Agrarfabriken und nicht die kleineren bäuerlichen Betriebe wie im Sauerland. Ein klassischer Kompromiss, antwortet Özdemir. In den ostdeutschen Großbetrieben werde die Summe noch als zu niedrig angesehen. Er müsse aber alle unter einen Hut bekommen.
Ulrich Naumann, der sich selbst als der „dicke Grüne aus Neuenrade“ vorstellt, duzt seinen Parteifreund Cem, gibt ihm aber auch deutliche Aufgaben mit auf den Weg: Er solle Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) am Kabinettstisch „mit der Hacke auf die Füße treten“, damit er sich besser um die marode Verkehrsinfrastruktur im Märkischen Kreis kümmere, die durch die gesperrte Rahmedetalbrücke immer weiter leide. Cem Özdemir sagt, dass er zwar nicht die Hacke nutzen werde, aber die Botschaft verstanden habe und seinen Ministerkollegen darauf ansprechen werde. Schon zuvor hatte Jens Helmecke, Leiter der WP-Wirtschaftsredaktion, als Moderator dem Minister die Forderung aus der Region nahe gebracht, dass es einen starken Brückenbeauftragten geben müsse, der die notwendigen Ersatzbauten entlang der A 45 tatsächlich schneller vorantreibt.
Am Ende Bild mit Fleischermeister und Vegetarier
All das hat Cem Özdemir nun im Gepäck, genauso wie einen Forderungskatalog, den Robert Gördes, Landwirt aus Sundern, Özdemir überreicht. Um Entbürokratisierung geht es darin, um die Düngeverordnung, um gekappte Schweineschwänze und auch um die Sorgen der Landwirte vor dem Wolf. Robert Gördes hat nicht die realistische Erwartung, dass Özdemir all dies im Sinne der Landwirte aus dem Sauerland auch tatsächlich umsetzt. Aber er ist froh, dass er hier die Forderung direkt platzieren kann: „Wir kämpfen weiter, immer weiter. Und deshalb ist es gut, dass es eine solche Veranstaltung gibt.“
Zum Schluss werden viele Fotos mit dem Landwirtschaftsminister gemacht. Unter anderem sind Adalbert Wolf und Cem Özdemir auf einem zu sehen – der Landesmeister des Fleischerverbands NRW und der bekennende Vegetarier.