Hagen. Nach dem Desaster bei der Europawahl: SPD, Grüne und FDP werden sich nach der Wahl wohl vor allem wieder mit sich selbst beschäftigen.

Die Frage ist rhetorisch, denn die Antwort lautet: Nein. Gab es eigentlich seit der Bundestagswahl im September 2021 einmal eine längere Phase, in der die Ampel-Koalition nachhaltig, störungsfrei und ohne internen Streit gute Politik machen konnte? Nun, nach dem mageren Ergebnis bei der Europawahl, wird sich das Dreier-Zweckbündnis nun wieder mit sich selbst beschäftigen. Und das in einer Zeit, in der internationale Krisen und eine schwächelnde Wirtschaft Stabilität und weise Entscheidungen fordern.

Klar, wir sprechen über eine Europawahl. Scholz steht nicht auf dem Stimmzettel, Merz auch nicht. Aber im Ergebnis spiegelt sich die Bundespolitik.

Die SPD: schlechtestes Ergebnis aller Zeiten bei einer bundesweiten Wahl, sogar hinter der AfD. Die Grünen: abgestraft. Die FDP: unter den eigenen Erwartungen.

Und zack – steckt die SPD wieder mitten in einer Personaldebatte (was eigentlich schon länger der Fall ist, aber mal mehr, mal weniger offensiv dementiert wird). „Wer bei mir Führung bestellt, der bekommt sie auch“, hat Bundeskanzler Olaf Scholz gesagt. Anders ausgedrückt: Wer führen will, der muss auch Verantwortung übernehmen. Scholz ist in der SPD umstritten, sowohl in der Partei als auch in der Fraktion. Seine Schwäche hat Boris Pistorius erst stark gemacht. Mögen Scholz und seine Unterstützer auch noch so oft die Besonnenheit, die Zurückhaltung, die vermeintliche innere Ruhe des Amtsinhabers loben: Für die Opposition, insbesondere Friedrich Merz, bietet der Kanzler mit seiner vermeintlichen Entscheidungsschwäche ein offene Flanke.

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Die Grünen müssen ihre Stimmenverluste vor allem der Chaospolitik im Zusammenhang mit der Energiewende zuschreiben. Das missglückte Heizungsgesetz klebt an Wirtschaftsminister Robert Habeck wie einst der Veggie-Day an seinen Parteifreunden. Noch nicht einmal von der Herabsenkung des Wahlalters konnten die Grünen profitieren. Als Friedenspartei gehen sie nicht mehr durch, weil auch sie angesichts Putins Überfall auf die Ukraine die realpolitische Zeitenwende einleiten mussten. Und der Klimawandel verschärft sich zwar weiter, verliert aber im Bewusstsein vieler Bürgerinnen und Bürger angesichts anderer existenzieller Krisen an Bedeutung. Offene Flanken bieten die Grünen gleich mehrere. Die entscheidende: Ihre Galionsfiguren Habeck und Baerbock kommen zwar sympathisch rüber, viel Fachkompetenz wird ihnen jedoch nicht zugewiesen. Das gilt vor allem für das Wirtschaftsressort. Merz schont die Grünen, weil er eventuell mit ihnen koalieren muss, in diesem Politikfeld wird er aber weiter auf Attacke setzen, auch um sich selbst zu profilieren.

„Ich werde nerven, bis sich was ändert“, hat FDP-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann plakatiert. Es ändert sich kaum was: Die FDP steht nicht besser da. Vielleicht nervt einfach die ganze Partei, die den Anschein erweckt, in der Koalition sei sie eigentlich die Opposition. Mit dieser Strategie wird sie nicht in den kommenden Bundestag einziehen.

Merz dagegen steuert mit der Union einen klaren Kurs. Die CDU hat aufgeräumt, auch inhaltlich, ist verlässlicher geworden. Das kommt bei den Wählern an. Und wer will jetzt eigentlich noch über den Kanzlerkandidaten streiten? Der Sauerländer ist durch, auch weil ein anderer Sauerländer, NRW-Spitzenkandidat Peter Liese, im EU-Parlament gute Arbeit macht.

Wie viele Stimmen das Bündnis Sahra Wagenknecht der AfD, den Linken und anderen abgeknöpft hat, werden die Analysen zeigen. Das Ergebnis der Rechtslinken ist zunächst ein Auftaktachtungserfolg. Mehr nicht.

Was Merz (noch?) nicht gelingt: die AfD in die Schranken zu weisen. Ihr Ergebnis ist mehr als ein erneuter Weckruf an alle demokratischen Parteien: Macht bessere, macht verständlichere, macht konstruktivere Politik. Streitet nicht, findet Lösungen. Die AfD ist nicht gut – die anderen sind zu schlecht